Einführung in die Systemtheorie. Niklas Luhmann

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Einführung in die Systemtheorie - Niklas  Luhmann Systemische Horizonte

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Diese Frage war Parsons durch Durkheim diktiert, das heißt durch die Annahme, dass die Gesellschaft primär eine moralische Einheit sei, also nur möglich sei, wenn genügend moralischer Konsens zustande komme könne. Das wiederum heißt, dass sowohl die Wahl der Zwecke als auch die Limitation von Mitteln nicht allein dem Handelnden überlassen bleibe, sondern dass es soziale Vorgaben gebe, etwa die berühmten nichtvertraglichen Grundlagen der Verträge. Eine Gesellschaft ist, bevor jemand in ihr handeln kann, immer schon moralisch oder über Werte oder über normative Symbole integriert. Sie ist anders als System nicht möglich. So jedenfalls dieser Ausgangspunkt von Parsons. Es geht, mit anderen Worten, nicht nur um eine Optimierung des Zweck-Mittel-Verhältnisses, sondern auch um die Bedingungen der Möglichkeit und die Freiheitsgrade, die dem Individuum oder anderen Bereichen einer sozialen Ordnung für ein solches Arrangieren von Zwecken und Mitteln erlaubt sind.

      Die Fragestellung, die auf diese Weise in die Theorie eingeht, muss man oder kann man wissenssoziologisch vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise sehen, auf die Parsons mit seiner Theorie reagiert. Parsons hat sich immer sehr betont gegen eine rein utilitaristische Begründung von Soziologie gewandt. Seine Frage war: Mit welchen Werten beschränkt die Gesellschaft die individuelle Wahlfreiheit in der Kombination von Zwecken und Mitteln?

      Dies führt nun auf ein weiteres Problem, nämlich die Frage, wie eigentlich der Handelnde selbst, der »actor«, in diesen Kontext der Handlungstheorie eingeht. Wenn man vom Handlungsbegriff ausgeht, würde man annehmen, der Handelnde ist derjenige, der handelt; ohne Handelnde kommt keine Handlung zustande. Handlung ist in gewisser Weise ein Ausdruck einer Äußerung des Willens von Handelnden und insofern subsidiär. Bei Parsons sieht die Sache umgekehrt aus. Parsons stellt sich vor, dass Handlung zustande kommt, wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, also wenn Zwecke und Mittel unterschieden werden können, wenn es kollektive Wertvorgaben gibt und wenn ein »actor« zur Verfügung steht, um die Handlung durchzuführen. Der Handelnde ist nur ein Moment im Zustandekommen von Handlung. Er ist gleichsam akzidentell vorhanden. Es könnte auch jemand anderes diese Handlung durchführen, aber irgendeine Handlungsbereitschaft, irgendeine Konkretisierung von Handlungspotenzial muss in der Gesellschaft vorhanden sein, damit Handlung zustande kommen kann. Es wird also nicht die Handlung dem Handelnden untergeordnet, sondern der Handelnde der Handlung. So weit die Ausgangslage im Buch The Structure of Social Action von 1937.

      Parsons hat sich dann als Soziologe in den 40er- und frühen 50er-Jahren zunächst einmal der Theorie sozialer Systeme zugewandt und ist ebendeshalb in die Nähe zum Strukturfunktionalismus geraten, aus der sich seine Theorie nur sehr allmählich wieder freigearbeitet hat, und zwar, wie ich meine, mit einem Rückgriff auf die generelle Vorstellung, »Action is system«. Das Ergebnis liegt in den berühmten und berüchtigten Kreuztabellen vor. Parsons stellt sich vor, dass es vier Komponenten gibt, die zusammenwirken müssen, damit eine Handlung entsteht. Er konstruiert, das ist seine Theorietechnik, diese vier Komponenten durch Kreuzklassifikation, das heißt durch eine Gegenüberstellung von zwei verschiedenen Variablen. Die eine Variablenreihe, das ist in der schematischen Darstellung die Horizontale, unterscheidet »instrumental« und »consummatory«. »Instrumental« bezeichnet die Mittel des Handelns. »Consummatory« bezeichnet den befriedigenden Zustand, der erreicht werden soll, also das Erreichen des Zweckes. Damit ist nicht die bloße Vorstellung eines Zweckes gemeint, sondern konsumatorisch ist das, was eintritt, wenn der Zweck erreicht ist, wenn eine befriedigende Lage, fast sollte man sagen: eine Perfektion des Systems zustande gekommen ist. Die Achse »instrumental«/»consummatory« präsentiert also die Handlungskomponente des Satzes »Action is system«. Die andere, die vertikale Variablenreihe, unterscheidet »external« und »internal«, also die Außenbeziehungen des Systems und die internen strukturellen Gegebenheiten. Das ist die systemtheoretische Seite des Paradigmas »Action is system«.

      Wenn man mit diesen Randvariablen eine Kreuztabelle zeichnet, kommen vier Boxen zustande, die von Parsons Namen bekommen. Für diese Benennung gibt es keine deduktive Anweisung, keine klaren methodologischen Richtlinien. Parsons selbst hat in der Anweisung geschwankt, gibt aber auf Anfrage offen zu, dass es nicht um eine logische Deduktion, um ein deduktives Verfahren gehen kann, sondern eher um plausible Benennungen dessen, was letztlich immer verstanden werden muss, wenn man sieht, welche Randvariablen kombiniert werden (Abb. 1).

      Bei der Kombination von instrumenteller und externaler Orientierung geht es um das, was Parsons Anpassung nennt, »adaptation«. Das System instrumentalisiert, wenn man so sagen darf, die Außenbeziehungen und versucht, einen Zustand zu erreichen, der als Mittel geeignet ist, befriedigende Verhältnisse zwischen System und Umwelt herzustellen. Im Falle des sozialen Systems ist das für Parsons hauptsächlich die Funktion der Wirtschaft.

      Der nächste Fall ist die Kombination von Außenbeziehungen und konsumatorischer Werteverwirklichung. Hier geht es um das, was Parsons »goal attainment« nennt. Es ist wiederum wichtig zu sehen, dass es um einen konsumatorischen Zustand geht, also um das Erreichen der Ziele, nicht nur um die Projektion künftiger Zustände. Während instrumentelle Orientierungen die Zukunft präsentieren, sind konsumatorische Orientierungen gerade gegenwartsbezogen. Handeln muss, anders gesagt, befriedigende Zustände erreichen, oder es unterbleibt. Im Bereich sozialer Systeme wird darin die Funktion von Politik gesehen. Die Politik muss durch ihre Fähigkeit, »to get things done«, wie Parsons sagt, befriedigende Zustände erreichen, oder sie versagt als Politik.

      Die letzte kombinatorische Möglichkeit schließlich betrifft »instrumental« versus »internal«. Hier setzt Parsons den merkwürdigen Ausdruck »latent pattern maintenance« ein. Dahinter steht folgende Überlegung: Strukturen müssen dauerhaft verfügbar sein, aber sie werden nicht ständig aktualisiert. Man geht nur hin und wieder zur Bank, um Geld abzuholen. Man liebt nicht unaufhörlich. Man geht nicht immer zur Kirche. Und die Frage ist dann, was inzwischen geschieht oder wie garantiert werden kann, dass Strukturen verfügbar sind und aktiviert, aktualisiert werden können, auch wenn sie in Zwischenphasen latent bleiben. Deshalb das Problem der »latent pattern maintenance«, der Stabilisierung von Strukturen auch im Falle ihrer Nichtbenutzung. Für Parsons charakterisiert dies die Kombination von »internal«, denn es handelt sich um systemeigene Strukturen, und »instrumental«, denn es muss dafür gesorgt werden, dass auch für die Zukunft solche Strukturen verfügbar sind.

      Das Ergebnis dieser Überlegung einer Kreuztabelle ist das berühmte »AGIL«-Schema, das Vier-Funktionen-Schema, bestehend aus »adaption« (A), »goal attainment« (G), »integration« (I) und »latent pattern maintenance« (L). Parsons insistiert ganz obstinat, dass es nur diese vier Funktionen geben kann und dass dieses Schema eine Gesamtrepräsentation der Handlungsmöglichkeiten des Handlungssystems erlaubt und dass alles Weitere eine Artikulation dieses Vierersatzes ist. In Spätphasen seines Werkes meint er sogar, dass die Kreuztabelle die

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