Einführung in die Systemtheorie. Niklas Luhmann

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Einführung in die Systemtheorie - Niklas  Luhmann Systemische Horizonte

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Faktoren eine Rolle spielen, damals sprach man vom »Kapitalismus«, die es unmöglich machten, zu einer gerechten Verteilungsordnung, zu einem die gesamte Bevölkerung der Erde erfassenden Fortschritt zu kommen. Natürlich konnte man auch innerhalb von Industriegesellschaften solche Beschränkungen des Positiven leicht beobachten. Auch hier blieben Klassenphänomene erhalten, auch hier war an eine gleichmäßige Verteilung von Wohlstand nicht zu denken. Auch hier war Demokratie zwar eingerichtet, aber sie war zu einer Parteiendemokratie geworden, die unfähig war, alle Impulse, die politisch an das System herangetragen wurden, wirklich in Politik umzuformen. Auch hier war gerade von der Soziologie aus sichtbar geworden, dass es bei aller Forschungsoffenheit des politischen Systems oder anderer Anwendungssysteme doch mehr oder weniger unmöglich war, soziologisches Wissen und vor allen Dingen kritisches Wissen in die Praxis hereinzutragen.

      Es gab vielerlei im Rückblick auch verständliche Gründe dafür, dass der Bedarf für eine sehr viel radikalere, kritische Theorie aufkam und mehr und mehr Aufmerksamkeit und Intellektuelleninteressen an sich zog. Das ließ es dann als überflüssig erscheinen, sich mit den Details, mit den Verdiensten und Schwierigkeiten, mit den Vorteilen und Nachteilen einer systemtheoretischen Behandlung sozialer Fragen noch eingehend zu befassen. Das System wurde, und dies nicht ohne Grund, als etwas eher technisches, als ein Planungsinstrument, als ein Instrument der Modellierung sozialer Institutionen verstanden, als ein Hilfsinstrument für Planer, die doch nichts anderes im Sinn hatten, als die herrschenden Verhältnisse zu wiederholen, zu verbessern, zu rationalisieren.

      Es gab, um dies zusammenzufassen und abzuschließen, mithin verschiedene Gründe für einen Stopp in der Weiterentwicklung des Bestandsfunktionalismus oder der strukturfunktionalen Theorie, einerseits immanente Schwächen, aber andererseits, und das war das Dominierende, eben auch eine ideologische Kritik, einen Bedarf an einer modernen Verhältnissen entsprechenden kritischen Gesellschaftstheorie – der dann aber nur mit relativ kruden Rückgriffen auf marxistisches Gedankengut eingelöst wurde.

       2. Parsons

      Vielfach herrscht nun die Vorstellung, die parsonssche Theorie sei diesem Strukturfunktionalismus ohne Schwierigkeiten zuzuordnen. Ich selbst habe es in den 60er-Jahren auch so gesehen. Tatsächlich hat Parsons diese Version jedoch nie wirklich akzeptiert. Er hat sich später, vor allem in den 60er-Jahren, ganz offen vom Strukturfunktionalismus abgewendet und hat seine eigenen Theoriebemühungen davon unterschieden. Aber auch das ist nur begrenzt richtig. Parsons hatte in den späten 40er-Jahren und in der Phase seines Schaffens, die zu dem Buch The Social System (1951) geführt hat, dazu beigetragen, dem Strukturfunktionalismus die theoretische Rechtfertigung zu geben, auch wenn er selbst ihn immer als die »zweitbeste Theorie« charakterisiert hatte. Parsons hatte in Harvard Forschungen angeregt und zum Teil auch in sein eigenes Werk übernommen, die der Frage nach den Bestandsvoraussetzungen sozialer Systeme nachgingen. Er hat sich im Rahmen von strukturfunktionalen Überlegungen bemüht, Probleme der Devianz, der Beschränkungen sozialer Kontrolle, der Wertwidersprüche und so weiter in seine Theorie einzubauen. Er hat also Entscheidendes zur Förderung dieses Strukturfunktionalismus beigetragen. Dennoch ist es, glaube ich, verkehrt, Parsons umstandslos diesem Systemtrend einzuordnen, denn sowohl in seiner Anfangsphase, markiert durch das Buch The Structure of Social Action von 1937, als auch gegenüber der Entwicklung, die in den 50er-Jahren mehr und mehr dominiert, hat Parsons eine unabhängige und eigenartige Version von Systemtheorie entwickelt.

      Der Ausgangspunkt für diese These war für Parsons zunächst einmal eine Bestandsaufnahme soziologischer Theorie, das heißt der Versuch zu erkennen, ob bei so verschiedenen Klassikern wie etwa Max Weber, Émile Durkheim, Alfred Marshall oder Vilfredo Pareto etwas Gemeinsames zu finden ist. Das Ergebnis war in der Tat, dass die Gemeinsamkeit in Zusammenhängen zwischen Systembildungen, übergreifenden Ordnungen einerseits und Handlungen als basalen Operationen andererseits zu finden sei. Parsons bezieht, wenn man das sehr vergröbert sagen darf, die Handlungskomponente seiner Theorie aus dem Werk von Max Weber und die Systemkomponente seiner Theorie aus dem Werk von Durkheim. Er weist aber zugleich nach, dass Weber Systemkomponenten in sein System aufnehmen musste und andererseits Durkheim nicht umhinkam zu fragen, aus welcher Art von Material denn Gesellschaften gebildet seien. Es gibt endlose Kontroversen darüber, ob diese Interpretation von Klassikern nicht sehr eigenwillig gewesen ist und ob sie den ursprünglichen Autoren wirklich gerecht wird. Darüber kann man streiten, aber das ist mehr oder weniger uninteressant und nur für eine Geschichte der Soziologie interessant. Interessant ist für uns, wie, mit welchem Begriffsapparat, mit welchen begrifflichen und methodischen Bemühungen Parsons erreichen kann, den Eindruck zu erwecken, sagen wir einmal vorsichtig, dass es sich um ein und dieselbe Theorie handelt.

      Parsons geht davon aus, dass Handlung, die einzelne Handlung, der unit act, eine emergent property, eine emergente Eigenschaft der Realität schlechthin sei. Dass es, mit anderen Worten, Komponenten gebe, die zusammenkommen müssten, um Handlungen zu ermöglichen. Die Aufgabe des soziologischen Analytikers wäre dann, diese Komponenten zu identifizieren und von dort aus eine analytische Theorie des Handelns zu entwerfen. Parsons spricht von »analytischem Realismus«, und er meint damit, dass insofern ein »Realismus« vorliege, als es um die Emergenz wirklichen Handelns gehe. Es gehe nicht um eine begriffliche Konstruktion, sondern um eine Theorie, die den Bedingungen der Möglichkeit des Handelns Rechnung trage und insofern auf alle Fälle ansprechen könne, in denen Handlung als Handlung vorkommt. »Analytisch« wäre diese Theorie insofern, als sie Komponenten des Zustandekommens von Handlung identifiziert, die nicht ihrerseits wiederum Handlungen sind. Sie zerlegt gewissermaßen das Phänomen Handlung in Einzelelemente, die als solche nicht in die Kette von Handlungen oder in ein System, das aus Handlungen besteht, als eine Minihandlung unter anderen eingefügt werden können.

      Die Begriffe, mit denen diese Analyse durchgeführt wird, variieren etwas. Zunächst einmal geht es im Anschluss an eine Bemerkung von Max Weber um die Differenz von Zweck und Mittel: Für ein primäres Handlungsverständnis, nicht für spätere strukturelle und so weiter Analysen ist es nötig, zunächst einmal Zweck und Mittel zu unterscheiden: Wozu setzt ein Handelnder (1) sein Handeln ein, was will er (2) damit erreichen

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