Einführung in die Systemtheorie. Niklas Luhmann

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Einführung in die Systemtheorie - Niklas  Luhmann Systemische Horizonte

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Damit ist nicht die gesamte Biologie gemeint, also die Zellchemie oder das, was wir über Hormone wissen, auch nicht die Anatomie des menschlichen Körpers und dergleichen, sondern immer nur das, was ein Organismus leisten muss, um Verhalten zu ermöglichen, das heißt, um die Verhaltenskomponente des Handelns zustande zu bringen. Sie sehen hier übrigens, dass das sogenannte Subjekt, der Handelnde, aufgelöst wird; ein Teil davon ist eben dieser »behavioral organism«. Warum und mit wie viel Fantasie der »behavioral organism« in diese Box platziert wird, also instrumentelle Funktionen und außengerichtetes Verhalten erzeugen soll, ist eine Frage, über die man verschiedener Meinung sein kann, wie alle diese Zuordnungen einen gewissen Spielraum für Kritik offen lassen. Parsons hat es zunächst einmal so gesetzt. Er sieht den Organismus als diejenige Komponente von Handlung, mit der das Handeln sich Außenbedingungen anpasst oder auch langfristige Gleichgewichte mit externen ökologischen Bedingungen sucht. Das ist gerade unter neueren Interessen an Beziehungen zwischen Handlung oder auch Gesellschaft und Ökologie nicht uninteressant. Es sagt uns nämlich, dass die Ökologie, die Umwelt, auf das Handeln nur in dem Sinne einwirkt, als sie den »behavioral organism« beeinflusst, also einen Aspekt, und zwar nicht den kulturellen Aspekt des Handelns, stört oder auf dieser Ebene Anpassungen erfordert. Die Gesellschaft kann als Handlungsgesellschaft nicht überleben, wenn nicht der Organismus die Möglichkeit bietet, sich den ökologischen Bedingungen laufend anzupassen, und dafür eingerichtet ist. So muss er in einem Beispiel, das Parsons gerne gibt, die Bluttemperatur konstant halten können, um sein Gehirn regelmäßig mit Blut versorgen zu können, und dies in Anpassung an Temperaturschwankungen der Umwelt.

      Sobald man fragt, ob diese Box nicht auch ganz anders besetzt sein könnte, bekommt man Zweifel. Wenn man aber der parsonsschen Direktive folgt, findet man hohe Plausibilität und eigentümliche Einsichtsgewinne, die man sonst in der Soziologie vergebens suchen würde. Jedenfalls würde man sie nicht in einem Kontext finden, in dem es nicht auch andere Einsichtsgewinne gibt, das heißt in einem theoretisch-integrierten Kontext.

      Die nächste Box, die Box für »goal attainment«, ist durch »personality«, also durch »Persönlichkeit« besetzt. Hier sind die subjektiven – im Sinne von psychischen oder bewusstseinsmäßigen – Funktionen lokalisiert. Wieso hier und wieso diese hier? Offenbar kommt es Parsons darauf an, das psychische System als ein System einzuführen, das kontrolliert, ob Handlungen befriedigend (»consummatory«) ablaufen: also entweder im Vollzug der Handlung, im aristotelischen Sinne als »práxis«, befriedigen oder sich an Zielvorstellungen und am Zielerreichen erfreuen können, wenn man so will. Wiederum eine merkwürdige Sicht auf die Psychologie. Das Subjekt kondensiert gleichsam an der Funktion des Kontrolleurs von befriedigenden Zuständen des Handlungssystems, nicht nur des Subjekts selbst. Und es ist außenorientiert. Wieso dies? Vielleicht kann man sagen – aber das geht über das, was bei Parsons vorliegt, hinaus –, dass das psychische System in der Lage ist, ständig interne Präferenzen, also Selbstbewusstsein, Bewusstsein des Bewusstseins, mit externen Referenzen, also mit Wahrnehmung, zu vermitteln. Lässt man sich auf diesen Gedanken ein, sieht man, dass die eigentliche psychische Leistung sich im Unterschied zu einer langen europäischen Tradition vom Denken eher auf das Wahrnehmen verlagert und dass man die Umweltorientierung, die hier eine Rolle spielt und die in Bezug auf befriedigende Werte kontrolliert wird, in der psychisch ermöglichten Wahrnehmung sehen kann. Der »behavioral organism« hat ja nur die Möglichkeit, eigene Zustände zu kontrollieren. Das Nervensystem dient nur dazu, den Organismus oder vielleicht auch nur sich selber zu beobachten. Es ist komplett geschlossen und ist nur über Evolution, über evolutionäre Selektion, mit Umweltverhältnissen abgestimmt. Aber das psychische System kann unter dem Gesichtspunkt von Lust und Unlust – das ist übrigens ein parsonssches Forschungsthema aus den 50er-Jahren – sich selber in Bezug auf eine variable Umwelt kontrollieren.

      Wir haben also wiederum einen merkwürdigen Doppeleffekt. Einerseits ist zu fragen, warum nun gerade diese Option für diesen Kasten wahrgenommen wird; andererseits hat man dann doch den Anreiz, zu versuchen herauszubekommen, was man mit dieser Option sehen kann. Ich meine, wenn man die Entscheidung trifft, psychische Systeme dominant über Wahrnehmung zu thematisieren oder auch nur ihren Handlungsbeitrag über die Wahrnehmungsmöglichkeit, über die Wahrnehmungswelt der Psyche, zu thematisieren, dass man dann der parsonsschen Option in dieser Ecke des gesamten Modells hohe Plausibilität abgewinnen kann.

      Die nächste Box kombiniert konsumatorische und internale Richtlinien, Beziehungen, Funktionen, Variablen oder was immer. Hier setzt Parsons das »soziale System« ein. Auf den ersten Blick ist dies wiederum merkwürdig. Wieso dient das soziale System der Integration von Handlungen und warum wird Integration als Herstellung einer internen Ordnung unter konsumatorischen Aspekten, also unter Gegenwartsaspekten, verstanden? Der Gedanke von Parsons scheint zu sein, dass es darauf ankommt, die Handlungen verschiedener Organismen und Personensysteme zu koordinieren: dass es also darauf ankommt, Personen mit ihren Beiträgen in ein Handlungsnetz, das aus mehreren Personen besteht, einzufügen. Auffällig ist die deutliche Trennung von personalen Systemen und sozialen Systemen. Beide stehen unter dem Gesichtspunkt ihres Beitrags zum Zustandekommen von Handlung nebeneinander. Beide sind füreinander im Kontext der internen Differenzierung des Handlungssystems Umwelt. Zieht man außerdem noch den »behavioral organism« mit in den Blick, dann sieht man, dass eine Dekomposition der Einheit des Menschen, der sichtbaren, wahrnehmbaren Einheit des Menschen, in drei Komponenten vorliegt. Alles wird unter dem Gesichtspunkt gesehen, welche Komponenten was zum Zustandekommen von Handlung beitragen. Es geht nicht um eine Anthropologie. Die immer wieder modische, immer wieder aufkommende Frage »Wo bleibt der Mensch in der soziologischen Theorie?« ist hiermit auf eine spezifische Weise beantwortet.

      Schließlich der letzte, noch verbleibende Fall, der Fall der »latent pattern maintenance« auf der Ebene des allgemeinen Handlungssystems oder, anders gesagt, die Koordination von instrumenteller Orientierung – kein Verzicht, kein Fallenlassen von Strukturmustern in der Latenzphase – mit internalen Orientierungen, das heißt mit der Orientierung auf das Handlungssystem selbst und nicht auf die Umwelt. Hier setzt Parsons »Kultur« ein. Das scheint mir als Theorieentscheidung zunächst recht plausibel zu sein. Kulturmuster sorgen für die Reaktivierbarkeit von Verhaltensmustern, für die Reaktivierbarkeit etwa von Rollen und einzelnen Handlungstypen in zeitlich weit auseinander liegenden Situationen. Jedenfalls ist das eine von vielen möglichen Definitionen von Kultur. Parsons selbst ist mit diesem Kulturbegriff in Kontroversen geraten, die ich hier im Einzelnen nicht nachzeichnen kann, aber deren Interesse darin besteht, ausfindig zu machen, wie weit man in diesen Kulturbegriff technische Artefakte, zum Beispiel Handwerkszeug, Schrift und dergleichen, einbeziehen kann oder nicht. Innerhalb der Ethnologie, der Anthropologie, auch der Archäologie tendiert man manchmal dazu, alles für Kultur zu halten, was bei Ausgrabungen gefunden werden kann, und die semantische Komponente der Kultur zu unterschätzen oder wiederum nur als Werkzeug, das heißt nur über Sprache, zu thematisieren. Für Parsons ist dieser Unterschied weniger wichtig. Sein Kulturbegriff deckt auch die Wiederbenutzbarkeit eines Werkzeuges ab, die Wiederbenutzbarkeit sprachlicher Kombinationsmöglichkeiten, das heißt den Umstand, dass man sich an Wörter und an die Grammatik erinnert, die Wiederbenutzbarkeit eines Hammers, nachdem man ihn wochenlang nicht benutzt hat. Man weiß, wo er ist und wozu er dient. Dies alles benennt recht einleuchtend die Voraussetzung der Integrierbarkeit des gesamten Handlungssystems. Dabei wird Integrierbarkeit nicht im Sinne der spezifischen Funktion der Integration verstanden, sondern im Sinne der Systemintegration über Zeichen hinweg.

      Das Theorieprogramm sagt nun, dass diese vier verschiedenen Teilsysteme oder Funktionssysteme evolutionär primär differenziert sein müssen, bevor es zu weiteren Unterdifferenzierungen innerhalb der einzelnen Funktionssysteme kommen kann. Ich möchte, um diese Problematik zu veranschaulichen, jetzt nur noch auf das soziale System eingehen und zu zeigen versuchen, wie sich Parsons hier eine Subdifferenzierung nach dem AGIL-Schema vorstellt. Dies ist auch die am stärksten entwickelte Teilseite der Theorie oder, wenn man so will, die früheste, da Parsons das ganze System schließlich für Zwecke der Soziologie entworfen hat (Abb. 3).

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