Letzte Umarmung - Roland Benito-Krimi 3. Inger Gammelgaard Madsen

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Letzte Umarmung - Roland Benito-Krimi 3 - Inger Gammelgaard Madsen Roland Benito

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E auszusprechen. Ihr sehr markanter Nørrebro-Dialekt war auch nicht zu verkennen.

      »So lange her, dass es zu spät ist«, unterbrach Anne mit eiskalter Stimme. »Warum bist du gekommen? Was willst du?«

      »Ich kann dir alles beantworten, wenn du mich reinlässt. Rieche ich da Kaffee?« Sie inhalierte den Duft aus der Küche, sodass sich ihre Nasenlöcher weiteten.

      »Wir haben ganz bestimmt nichts zu bereden!«

      Der graue Blick bohrte sich in ihren. Ihre Augen waren voller Reue und Verzweiflung. Es war wie ein Blick in den Spiegel. Die gleiche graublaue Farbe und der etwas schläfrige Ausdruck wegen der großen Augenlider, die mit Lidschatten toll aussahen – also, wenn man ihn richtig auftrug.

      »Okay, dann komm halt kurz rein«, sagte sie willenlos. »Aber ich hab viel zu tun«, beeilte sie sich hinzuzufügen und versuchte ein bisschen Stress in ihre Stimme zu legen. Was machte sie hier? Warum suchte sie sie nach so vielen Jahren auf? Wenn nur Torsten nicht dabei war und plötzlich auch auftauchte. Sie schaute zur Sicherheit ins Treppenhaus hinunter, bevor sie die Tür schloss und verriegelte. Nein, er saß wohl immer noch ein. Falls er nicht schon wieder auf Bewährung entlassen worden war.

      Nervös sah sich die Frau in der Wohnung um, als wagte sie es nicht, sich zu setzen.

      »Setz dich einfach, Mama«, sagte Anne und stellte einen weiteren Becher auf den Tisch. Ihre Mutter sah schnell zu ihr hinüber und sie erschrak selbst darüber, dass das Wort aus ihrem Mund kam. Es wieder zu sagen war überraschend leicht, doch es ohne Zorn auszusprechen war schwer. Sie hatte sie einfach nie anders genannt; »Rose Teresa Larsen« passte nicht zu ihr. Eigentlich passte »Mama« auch nicht zu ihr.

      Rose setzte sich, während ihr Blick weiter alle Sachen von Anne inspizierte.

      »Sieht so aus, als kämst du gut zurecht, Ann. Bist eine bekannte Journalistin mit festem Job und gutem Gehalt geworden. Eigene Wohnung. Möbel und eine Menge schöner Dinge.« Der Blick verharrte jäh bei einem Foto im Regal. Sie lächelte blass. »Du hast immer noch deinen Vater hier stehen, wie ich sehe.«

      »Was willst du? Ich habe seit bald – ja, wie lang mag das sein? – dreizehn, vierzehn Jahren nichts von dir gesehen oder gehört? Und dann tauchst du plötzlich mitten am Vormittag hier auf – unangemeldet!«

      Rose sah ihre Tochter lange an. »Du warst erst vierzehn, ja. Ich erinnere mich genau.« Ihr Blick flackerte, und sie beeilte sich, ein Päckchen Zigaretten aus der Tasche zu suchen. »Es tut mir leid, was zwischen dir und Torsten passiert ist, ich wollte ...«

      »Was wolltest du? Mir helfen? Nein, verdammt, das wolltest du nicht. Du hast nur an diese vier Mistkinder gedacht – seine Nachkommen. Die haben dir mehr als deine eigene Tochter bedeutet!«

      »Nein, Ann. Das stimmt nicht! Natürlich warst du am wichtigsten. Aber du warst so ...«

      Sie schaute sie prüfend an. »Du hast dich sehr verändert. Nur deine schwarzen, widerspenstigen Haare sehen noch wie früher aus. Damals warst du ein wandelndes Nadelkissen, überall Metallstifte und das schwere, schwarze Make-up und deine Klamotten, du sahst ja furchtbar aus.« Sie lachte heiser und konzentrierte sich darauf, ihre Zigarette anzuzünden. Das Feuerzeug klickte ein paarmal, bis es gelang.

      Anne starrte sie böse an.

      »Und niemand hat uns verstanden. Einen Dreck habt ihr verstanden!« Sie zündete sich ebenfalls eine Zigarette an, ihre Hand zitterte.

      »Wir haben für Gerechtigkeit gekämpft. Aber wie sollte ich Gerechtigkeit in der Welt fordern, wenn sich herausstellt, dass mein Stiefvater ein gemeiner Drogendealer und Mörder ist und meine Mutter ihn darin auch noch unterstützt!«

      Rose zupfte nervös an ihren Ärmeln, ihre Augen waren auf die fast geschmolzenen Eiskristalle an der Fensterscheibe gerichtet. Sie hatte den Mantel nicht ausgezogen und Anne bat sie auch nicht darum, denn sie sollte bald wieder gehen.

      »Du hast bestimmt mitbekommen, was heutzutage in Nørrebro passiert, oder?! Nennst du das Gerechtigkeit?« Ihre Mutter schaute sie wieder an. »Wir können nicht auf die Straße gehen, ohne Angst haben zu müssen, von verirrten Kugeln rivalisierender Banden getroffen zu werden. Heute gibt es wirklich etwas, worum man in Nørrebro kämpft, wenn man Gerechtigkeit haben will. Damals war das nicht so. EU-Abstimmung und – ein Jugendzentrum!« Sie schnaubte das Wort zusammen mit dem Rauch aus, der aus beiden Nasenlöchern kam.

      So kannte sie ihre Mutter. Anne hatte nie etwas getan, das in ihren Augen gut genug gewesen wäre. Natürlich war sie von zu Hause abgehauen, ohne zu sagen, wo sie sich aufhielt. Aber hatte ihre Mutter sie als vermisst gemeldet? Hatte sie überhaupt nach ihr gesucht? Sie hätte tot sein können. Ermordet!

      »Wie hast du mich eigentlich gefunden? Damals hast du mich doch auch nicht gefunden«, fragte sie zurückhaltend.

      »Das war Torsten, Schätzchen. Er hatte mir versichert, es wäre am besten, dich in Ruhe zu lassen. Dass du deine eigenen Erfahrungen machen würdest.«

      »Okay – als Vierzehnjährige?!« Anne zog vorwurfsvoll eine Augenbraue hoch und schüttelte missbilligend den Kopf. »Und auf Torsten hast du immer gehört. Weißt du, dass er mich aufgesucht hat, als er auf Bewährung freigelassen wurde?« Sie schaute die kleine Frau direkt an, die unter ihrem Blick noch weiter zu schrumpfen schien.

      »Nein, das hat er nicht erwähnt. Ich besuche ihn nicht mehr so oft. Ich kann es nicht ausstehen, in dieses Gefängnis zu gehen. Er hat dir doch wohl nichts getan?« Sie klang aufrichtig besorgt.

      »Ich hab’s überlebt, wie ich es immer ohne deine Hilfe geschafft habe – und mit ein paar zusätzlichen Narben als Erinnerung.«

      »Du wirst doch wohl verstehen, dass ich nicht eingreifen konnte, wenn er dich geschlagen hat. Dann hätte er mich totgeschlagen. Das weißt du doch!«

      »Hätte er sich nur mit Schlagen begnügt. Du hättest von ihm wegziehen können, Mutter! Warum sind wir nicht einfach umgezogen?« In ihrer Stimme lagen Tränen, wie damals bei dem kleinen Mädchen, das seine Mutter anflehte umzuziehen, ohne dass die zuhörte. Das tat sie jetzt auch nicht. Sie hatte eine Ausgabe des Tageblatts aus einem Stapel auf dem Boden genommen und sie beiläufig durchgeblättert. »Das ist also die Zeitung, die du machst«, stellte sie mit mütterlichem Stolz in der Stimme fest.

      »Ich mach die nicht. Darin sind nur ein paar Artikel, die ich geschrieben habe.« Der Themenwechsel kam ihr sehr gelegen. Sie wollte über die Vergangenheit und Torsten am liebsten weder reden noch nachdenken.

      »Du musst gut verdienen, wenn du es dir leisten kannst, hier zu wohnen. Ich bin in eine kleine Einzimmerwohnung in Nørrebro gezogen. Konnte mir nichts anderes leisten, die alte wurde renoviert und die Miete stieg um mehr als das Doppelte. Die andere ist billig, aber das ist auch eine alte Bruchbude.« Sie seufzte und legte die Zigarette auf den Rand des Aschenbechers, während sie weiterblätterte. Anne überlegte, was wohl aus ihren Stiefgeschwistern geworden war, aber fragte nicht. Wollte es eigentlich gar nicht wissen.

      »Hast du Arbeit?«, fragte sie stattdessen.

      »Nee, was kann ich machen? Einen Dreck. Ich habe nicht deine Fähigkeiten. Aber glücklicherweise wohnen wir ja in einem Land, das sich um die Schwachen kümmert, obwohl es hart sein kann, in diesem System zu sein. Die fordern heutzutage so viel von uns, es wird immer schlimmer und das Geld immer weniger.« Sie hatte die letzte Seite erreicht und schmiss die Zeitung gleichgültig zurück auf den Stapel. Anne saß unruhig auf dem Stuhl. Sie wollte nie wie ihre Mutter enden, so viel stand

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