Letzte Umarmung - Roland Benito-Krimi 3. Inger Gammelgaard Madsen

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Letzte Umarmung - Roland Benito-Krimi 3 - Inger Gammelgaard Madsen Roland Benito

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deinem Vater. Von ihm hast du die kohlrabenschwarzen Haare.« Rose sah wieder auf das Foto ihres verstorbenen Mannes. Ein kleines, liebevolles Lächeln, das ihre Züge milderte, erschien um ihren faltigen Mund. Plötzlich konnte Anne sehen, dass ihre Mutter wohl einmal hübsch gewesen war.

      »Alles in allem hast du nicht besonders viel über ihn erzählt«, meinte sie vorwurfsvoll. »Ich weiß nicht mal, wie er gestorben ist.«

      Rose schaute immer noch auf das Foto, als spräche sie mit ihm und nicht mit Anne.

      »Jonas war ein guter Mensch. Er war LKW-Fahrer und fuhr für verschiedene Firmen nach Dänemark. Ich hab ihn getroffen, als ich in einem Autobahncafé gearbeitet habe. Er kam immer rein und bekam ein Sandwich mit Hühnchen und eine Tasse Kaffee bei mir.«

      »Er fuhr nach Dänemark – von wo aus?«

      »Litauen. Er hieß Jonas Maldeikis.«

      »Mein Vater war Litauer?!« Anne konnte ihre Verblüffung nicht verbergen.

      Rose nickte. »Wir haben uns entschieden, dir nicht seinen auffälligen Nachnamen zu geben. Er war ein echter Kommunist.«

      »Wie ist er gestorben?«

      »Bei einem Autounfall an der polnischen Grenze. Du warst gerade zwei geworden.«

      »Warum hast du mir das nie erzählt?«

      Rose zuckte mit den Schultern. »Was hätte das gebracht? Du warst ja so klein. Im Jahr darauf traf ich Torsten, der stattdessen dein Vater sein sollte. Aber du hast ihn nie akzeptiert. Dann bist du weggelaufen. Du hast ihm nie eine Chance gegeben.«

      »Jetzt hör aber auf!« Aufgebracht räumte Anne die Becher vom Tisch ab. Ihr Kopf rauchte von der neuen Information, dass sie litauisches Blut in den Adern und eine unbekannte Familie dort drüben hatte. Bedeutete das etwas für ihre Zukunft? Konnte sie das überhaupt zu etwas gebrauchen? Sie hatte noch nicht herausgefunden, welchen Zweck ihre Mutter mit ihrem Besuch verfolgte, aber das tat sie, bevor sie mit den leeren Bechern die Küche erreichte.

      »Ich kann nicht zufällig ein paar Tage bleiben, Ann? In Nørrebro ist es so unsicher, ich trau mich nicht allein zu sein, und – ich hab nur dich.«

      4

      Henry Leander hatte Recht mit seiner Annahme bezüglich der Todesursache. Die Obduktion hatte gegenüber der Leichenschau keine neuen Erkenntnisse gebracht. Albert Hovgaard war brutal und rücksichtslos totgeschlagen worden.

      Roland lehnte sich im Stuhl zurück. Er hatte in den paar Stunden, in denen er die Möglichkeit gehabt hätte, nicht geschlafen. Er wollte Irene nicht wecken, indem er, so durchgefroren, wie er war, wieder ins Bett kroch. Daher hatte er sich auf das Sofa im Wohnzimmer gelegt, wo Angolo ihn sofort gefunden hatte. Er war sechs Monate alt und das niedlich Welpenhafte war verschwunden, sodass man nun sehen konnte, was für ein feiner Schäferhund er werden würde. Roland hatte sich eisern gegen Irenes Wunsch gewehrt, er solle Hundeführer werden, also war das Polizeihund-Training aufgegeben worden. Trotzdem ging Irene mit Angolo zum Training und die Erziehung des Hundes war tadellos. Besonders wenn Irene die Kommandos gab, aber er hatte sich auch sofort auf den Boden neben das Sofa gelegt, als Roland nachdrücklich Platz! gesagt hatte. Auch Salvatore interessierte sich für Angolo und liebte es, mit zum Training zu kommen. Er hatte die Erlaubnis, über Weihnachten und Neujahr zu bleiben. Tante Giovanna hatte es ihm voller Freude erlaubt. Sie war diejenige, die auf dem Aufenthalt bei ihnen in Dänemark bestanden hatte. Er versuchte, nicht an die Absicht dahinter zu denken. Mit dieser Mission war er nicht viel weiter gekommen. Es war nicht leicht, mit Salvatore darüber zu sprechen. So waren fünfzehnjährige Jungen halt. Sie waren der Meinung, schon erwachsen zu sein und alles zu wissen. Man konnte ihnen nichts mehr beibringen. Aber er sah aus, als hätte er sich eingelebt und hinterfragte nicht, warum er so plötzlich in den ›Urlaub‹ im kalten Norden geschickt worden war, daher ließ Roland die Sache vorerst auf sich beruhen. Jetzt war der Schnee gekommen. Massenweise. Mehr als Salvatore jemals in Neapel gesehen hatte. Das genoss er. Vielleicht wurden sie ihn nie mehr los – so war das oft in einer Familie. Er lächelte müde. Es war ein Vergnügen, ihn hier zu haben. Seine Muttersprache war wieder aufgefrischt worden, sodass er fast so flüssig italienisch sprach wie Salvatore, der ihm in vieler Hinsicht ähnelte. Die gleichen schwarzen Augen, der gleiche nervige Wirbel auf der rechten Seite, der das Haar immer in die Stirn fallen ließ. Den hatten sie von Rolands Vater geerbt. Die Erinnerung an ihn löste tief in ihm das Gefühl eines schlechten Gewissens aus. Es wurde ein bisschen dadurch erleichtert, der Familie jetzt helfen zu können. Das hätte er nicht gekonnt, wenn seine Mutter nicht mit ihm nach Dänemark geflohen wäre, als sein Vater von der Camorra getötet worden war. Und es war gerade Italien und besonders Neapel, von dem Salvatore dringend wegmusste. Von dem System, wie sich die Mafia in Neapel nannte.

      Gedankenversunken war er einen Umweg gefahren, den er mit Müdigkeit entschuldigte. Er konnte sich selbst auf die einfachsten Dinge kaum konzentrieren, obwohl er sich mit Kaffee abgefüllt hatte, seit er um acht hier eingetroffen war, aber er wachte abrupt auf, als es fest an der Tür klopfte und der Beamte Kim Ansager eintrat. Er hatte die hässliche Angewohnheit zu klopfen und hereinzustürmen, ohne auf eine Antwort zu warten. Warum sich dann überhaupt die Mühe machen zu klopfen? Er blieb in der Türöffnung stehen und hing mit den Armen daran wie ein Affe. Ein Brillenaffe. Er schob die schwarze Vintage-Brille, die fast schon Kultstatus hatte, mit einem Finger auf ihren Platz auf der Nase und sah so aus, als wäre er schon auf dem Sprung zurück in sein eigenes Büro. Das ließ auf eine wegen des Hochbetriebs kurze Nachricht schließen. Keine Zeit für Smalltalk. Die Finanzkrise beeinflusste auch das Präsidium. Die Krisenzeiten ließen bei denen, die ihre Arbeit verloren hatten, die Kreativität erblühen, hatte er in der Zeitung gelesen, aber es gab auch die, die sich mithilfe krimineller Kreativität durchschlugen. Die Anzahl der Einbrüche und der räuberischen Überfälle war drastisch gestiegen.

      »Die Kriminaltechnik hat Übereinstimmungen mit Fingerabdrücken von zwei anderen unaufgeklärten Einbrüchen in Ostjütland gefunden. Die kriminaltechnische Zentralstelle hat sie durch die AFIS-Datenbank laufen lassen, dort aber keinen Treffer gelandet. Die Täter sind offenbar neu in der kriminellen Szene. Jedenfalls keine früheren Verdächtigen oder Vorbestraften.«

      »Nein, hier bei uns nicht. Haben sie es bei Interpol versucht?«

      Kim Ansager zuckte mit den Schultern. »Davon geh ich mal aus.«

      »Davon gehst du aus? Hier geht’s um Mord! Das ist nicht nur ein unbedeutender Raubüberfall. Darauf hast du die hoffentlich aufmerksam gemacht!«

      Kim nickte verärgert. »Natürlich. Glaubst du nicht, du solltest heimfahren und ein bisschen schlafen, du klingst so ...«

      »Hat sich wegen des Autos niemand gemeldet? Die Diebe müssen doch in einem Fahrzeug angekommen sein, bei diesem Winterwetter waren sie wohl kaum zu Fuß unterwegs.«

      »Vielleicht sind sie auf Skiern gekommen!«

      »Im Ernst jetzt, Kim!«

      »Aber es gab keine Spuren von Reifenabdrücken oder von anderen Fahrzeugen. Es hat die ganze Nacht und am Morgen kräftig geschneit, und wir können ja kein Auto suchen, das wir nicht kennen. Kurt hat der Presse gesagt, dass sie gerne nach Zeugen suchen dürfen und dass die Leute uns kontaktieren sollen, falls sie Montagabend und -nacht etwas Verdächtiges gehört oder gesehen haben.«

      »Okay. Gut, dass sich Kurt darum gekümmert hat.«

      Plötzlich lächelte Kim. »Hast du übrigens gehört, dass das Tageblatt dichtgemacht hat? Nun gibt’s eine nervige Journalistin weniger.« Er grinste schadenfroh und war wieder weg.

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