Im Schatten der Vergeltung. Rebecca Michéle

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Im Schatten der Vergeltung - Rebecca Michéle

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style="font-size:15px;">      »Was können wir nur tun?«

      Philipp war genauso ratlos wie sie. So standen sie schweigend am Bett, bis der Anfall vorüberging und Laura in einen unruhigen Schlummer fiel.

      »Degnish …«, wiederholte Maureen flüsternd, um ihre Mutter nicht zu wecken. »Ich habe den Namen noch nie zuvor gehört.«

      Philipp zuckte mit den Schultern. »Vielleicht stammt sie von dort?«

      »Meine Eltern haben mir nie darüber gesprochen, wo sie vor meiner Geburt gelebt haben. Ich bin immer davon ausgegangen, sie stammen aus der Gegend um Tomnavoulin, wo ich geboren wurde.«

      Es blieb Maureen und Philipp nichts anderes übrig als abzuwarten, bis es Laura wieder besser gehen und sie Einzelheiten erzählen konnte.

      Gegen Abend brachte der Wirt einen Topf mit einer dicken und herzhaften Kartoffelsuppe. Mit den entsprechenden Münzen hatte Philipp dafür gesorgt, dass Laura einmal täglich eine warme, kräftige Mahlzeit erhielt. Missmutig stellte der Wirt den Topf auf den Tisch. Das Geld nahm er zwar gerne, musste er deswegen gleich die Frau bedienen? Seltsame Leute waren das, die seit Wochen hier ein- und ausgingen. Engländer … Was die wohl mit der armen Frau zu schaffen hatten? Einmal hatte er versucht, an der Tür zu lauschen, aber diese englische Lady schien durch Wände sehen zu können. Sie hatte ihn verjagt und ihm sogar gedroht, sollte er es noch einmal versuchen. Der Wirt würde froh sein, wenn sie wieder verschwunden waren.

      Laura war von ihrem letzten Anfall sichtlich geschwächt, löffelte die Suppe aber mit großem Appetit. Nachdem sie einen Teller geleert hatte, wiederholte sie ihre Bitte.

      »Ich habe euch mit meinem Anliegen verwirrt«, sagte sie. »Vielleicht wird man sentimental, wenn man den Tod so dicht vor Augen hat. Auf jeden Fall sehne ich mich danach, in Degnish meine letzte Ruhestätte zu finden, dort, wo meine Wurzeln sind. Das Dorf liegt an der Westküste, einige Meilen südlich von Oban, direkt am Loch Melfort.«

      »Du hast mir nie von diesem Ort erzählt«, sagte Maureen vorwurfsvoll.

      »Warum hätte ich das tun sollen? Ich hatte vor, zu meinen Lebzeiten niemals nach Degnish zurückzukehren.«

      »Ihr Mann ist hier in der Stadt begraben«, gab Philipp zu bedenken. »Möchten Sie nicht an seiner Seite ruhen?«

      Laura schüttelte den Kopf.

      »John würde meinen Wunsch verstehen. Einst haben wir gemeinsam den Loch Melfort verlassen, und er hat seine Heimat ebenso wenig wie ich jemals vergessen.«

      »Wenn Vater ebenfalls von dort stammt, dann liegen am Loch Melfort auch meine Wurzeln«, sagte Maureen. »Warum habt ihr mit mir niemals darüber gesprochen? Weshalb habt ihr mich in dem Glauben gelassen, ihr hättet immer in den Grampiens gelebt? Gibt es noch Verwandte an der Westküste?«

      »Ich kann dir sagen, warum ich nie darüber gesprochen habe: Weil ich, nachdem ich fortgegangen war, keinen Kontakt mehr zu meinen Eltern hatte und diesen auch nie wieder wollte.«

      »Das scheint bei euch in der Familie zu liegen«, entfuhr es Philipp, Laura reagierte nicht auf seine Bemerkung.

      »Ich weiß gar nicht, ob meine Eltern noch leben«, fuhr sie fort. »Wahrscheinlich nicht, und es ist mir auch gleichgültig. Trotzdem ist meine Heimat der schönste Platz auf der Welt.«

      »Wenn du dich kräftig genug fühlst, können wir gemeinsam an die Westküste reisen. Noch zeigt sich der Herbst von seiner schönen Seite, und die Straßen sind gut befahrbar«, schlug Maureen vor.

      »Nein!« Das Wort war ein lauter Schrei. »Erst nach meinem Tod! Keinen Tag eher!« Sie atmete tief durch. »Ich dachte mir, ihr könnt einen zuverlässigen Rechtsanwalt beauftragen, der sich, wenn meine Zeit gekommen ist, darum kümmern wird, dass meine armseligen Überreste nach Degnish kommen. Ich weiß, es ist viel verlangt und ihr habt keinen Grund, mir diese Bitte zu erfüllen, so ablehnend wie ich besonders dir, Philipp, begegnet bin. Ich würde verstehen, wenn ihr mich einfach meinem Schicksal überlassen würdet.«

      »Aber Mutter!« Maureen fasste nach Lauras Hand und drückte sie fest. »Deinen letzten Wunsch werden wir selbstverständlich respektieren und erfüllen. Beantworte mir aber bitte noch eine letzte Frage: Wie lautete dein Name, bevor du Vater geheiratet hast? Wie die Namen meiner Großeltern?«

      Laura zögerte, und Maureen erwartete bereits, dass sich Laura weigern würde, den Namen preiszugeben, doch dann gab sie sich einen Ruck.

      »McCorkindale, aber ich möchte niemals wieder mit diesem Namen in Verbindung gebracht werden. Auf meinem Grabstein soll ganz schlicht Laura stehen, mehr nicht!«

      3. Kapitel

      Nachdem sie Laura verlassen und in das Haus am Charlotte Square zurückkamen, war Maureen erleichtert, dass Frederica bereits schlief. Lauras Eröffnung über den Bruch mit ihren Eltern hatte sie aufgewühlt, und sie wollte in Ruhe ihre Gedanken ordnen. Schnell zog sie ihren Mantel aus und ging in den Salon. Philipp folgte ihr, schenkte zwei Gläser Wein ein, reichte eines Maureen, dann setzten sie sich vor den Kamin, in dem Jenny bereits ein Feuer entzündet hatte. Auch Philipp hatte während der Fahrt von der Altstadt bis hierher kein Wort gesprochen. Nachdenklich starrte er in die Flammen.

      »McCorkindale ...«, murmelte er. »Wo habe ich diesen Namen schon einmal gehört?«

      Maureen zuckte die Achseln.

      »Es ist wahrscheinlich ein gängiger schottischer Name, so wie MacDonald, Fraser oder Cameron.«

      Philipp schüttelte den Kopf.

      »Nein, ganz im Gegenteil, Maureen. McCorkindale ist ein eher seltener Name, deswegen ist er mir ja im Gedächtnis geblieben. Es ist schon lange her, aber da gab es mal einen Vorfall ... damals, als ich in Schottland stationiert war.« Er machte eine Pause. »Ich bekomme es nicht mehr zusammen, aber ich kann versuchen, im Stadtarchiv nachzuschlagen. Auch in Schottland ist wie bei uns in England jeder Grundbesitz mit den jeweiligen Eigentümern eingetragen. Das Zentralregister befindet sich bestimmt hier in der Hauptstadt.«

      »Das würdest du tun? Maureen schenkte ihm ein dankbares Lächeln. »Kannst du auch herausfinden, ob jemand der McCorkindales noch lebt? Es ist ein seltsames Gefühl zu erfahren, dass man vielleicht noch Großeltern oder weitere Verwandte haben könnte.«

      Philipp nickte, dann schwieg er, starrte wieder ins Feuer, bis er schließlich leise sagte: »Maureen, bei allem Verständnis für die Krankheit deiner Mutter, wir müssen an unsere Heimreise denken. Du hast alles getan, was möglich ist, gegen Lauras Starrsinn kommst du aber nicht an. Sie ist entschlossen, in Schottland zu bleiben, das müssen wir akzeptieren. Ich bin bereit, noch ein, höchstens zwei Wochen zu warten. Das gibt mir genügend Zeit, um mit einem Anwalt die Formalitäten zu regeln, damit Laura nach ihrem Tod in ihre Heimat überführt wird. Sobald das erledigt ist, müssen wir nach Hause zurückkehren.«

      Gedankenverloren sah Maureen in ihr Weinglas. Philipp hatte recht, trotzdem war ihr bei dem Gedanken, die Mutter krank und hilflos zurückzulassen, unwohl. Sie war hin- und hergerissen zwischen zwei Pflichtgefühlen: Auf der einen Seite gehörte sie zu Philipp und besonders zu Frederica, aber sie konnte Laura auch nicht einfach im Stich lassen. Was sollte sie nur tun?

      In dieser Nacht fand Maureen keinen Schlaf. In den letzten Tagen hatte sie sich ihrer Mutter näher gefühlt als jemals zuvor in ihrem Leben. Maureen spürte, dass der Panzer um Lauras Herz zu bröckeln begann. Die Vorstellung,

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