Im Schatten der Vergeltung. Rebecca Michéle

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Im Schatten der Vergeltung - Rebecca Michéle

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eine andere Unterkunft und außerdem eine geeignete Pflegerin suchen, die sich um sie kümmerte. Diese Gewissheit entband Maureen zwar nicht von der Sorge um ihre Mutter, beruhigte sie jedoch ein wenig. Laura war eine erwachsene Frau, und Maureen konnte sie nicht zwingen, mit ihnen zu kommen. Sie musste auch an Frederica denken, die nach Hause wollte, denn die Baines würden die Stadt in einigen Tagen verlassen. Für ein junges Mädchen gab es hier nur wenig Zerstreuung, und wenn Maureen sich um ihre Mutter kümmerte, würde Frederica sich selbst überlassen sein.

      Maureen und Frederica saßen bei einem späten Frühstück, als Philipp, der das Haus bereits bei Sonnenaufgang verlassen hatte, das Zimmer betrat. Das neblig-kalte Herbstwetter lockte weder zu einem Spaziergang noch zu einem Einkaufsbummel, und Maureen spürte Fredericas zunehmende Langeweile. Philipp hauchte Maureen einen flüchtigen Kuss auf die Stirn, strich seiner Tochter über die Wange und setzte sich.

      »Meine Erinnerung an den Namen McCorkindale hat mich nicht getäuscht. Ich war heute Morgen bei der Stadtverwaltung und habe tatsächlich einen Eintrag über Bothy Castle bei Degnish gefunden. Als Eigentümer ist ein Archibald McCorkindale angegeben, ein mittlerweile recht betagter Mann, aber er lebt offenbar, zumindest noch vor ein paar Wochen, als die letzte Zahlung der Pacht fällig war.«

      »Mac was?«, warf Frederica kauend ein.

      »McCorkindale. Das ist der Vater deiner Großmutter, also der Großvater deiner Mutter und folglich dein Urgroßvater«, erklärte Philipp und lächelte Frederica zärtlich an.

      »Und wo lebt er? Werden wir ihn auch besuchen?«

      »Möchtest du nicht bei Linda Baines vorbeischauen?«, wechselte Maureen das Thema. »Du kannst ihr sicher beim Packen helfen.«

      »Keine Lust, Mama«, erwiderte Frederica. Ihre Neugierde war geweckt worden. Laura, ihre Großmutter, die dem Mädchen unglaublich alt erschien, besaß tatsächlich noch einen Vater. Der musste ja steinalt sein! Frederica rührte sich nicht vom Fleck und sah ihre Mutter erwartungsvoll an.

      »Komm schon, Maureen«, sagte Philipp, als er merkte, dass seine Frau in Gegenwart von Frederica nicht sprechen wollte. »Unsere Tochter ist alt genug, um die Wahrheit zu erfahren.« Er schenkte sich in aller Ruhe eine Tasse Kaffee ein, bevor er preisgab, was seine Nachforschungen noch ergeben hatten. »Archibald McCorkindale war zu Zeiten des alten Clansystems ein sehr vermögender und mächtiger Mann. Er herrschte zwar nur über ein verhältnismäßig kleines Gebiet, das im Westen an die Irische See grenzt, unter den Clanchiefs hatte sein Wort aber Gewicht. Der Besitz liegt wie eine Enklave im Hoheitsgebiet der Campbells. Daher kam mir der Name auch bekannt vor, denn ich war längere Zeit in Fort Augustus stationiert. Ältere Offiziere erzählten von einem durchtriebenen Schotten, der es angeblich geschafft hatte, die gesamte englische Armee hinters Licht zu führen. Nach der Schlacht bei Culloden wurden Listen mit den Namen der Clanführer, die nicht auf dem Schlachtfeld gestorben waren veröffentlicht, und der Name Archibald McCorkindale stand ganz weit oben. Man hatte ihm nachweisen können, dass der verräterische Prätendent in seinem Haus genächtigt hatte und McCorkindale seine Finger bei dessen Flucht im Spiel gehabt hatte. Der Schotte sollte dafür verhaftet und vor Gericht gestellt werden, plötzlich konnte er jedoch nachweisen, ein treuer Anhänger von König George zu sein. Er leugnete ebenso jegliche Beziehungen zu Charles Edward Stuart wie auch eine Beteiligung an den Aufständen. Es gelang ihm, sich von allen Anschuldigungen reinzuwaschen. Wie er das bewerkstelligte, wurde niemals geklärt. Auf jeden Fall wurde die Anklage gegen Archibald McCorkindale fallen gelassen, und er lebt noch heute unbehelligt in seiner Burg am Rande des Loch Melfort.«

      »Dann habe ich tatsächlich noch einen Großvater«, stellte Maureen verblüfft fest.

      »Sofern Laura nicht gelogen hat, und sie wirklich die Tochter von Archibald McCorkindale ist. Schau mich nicht so entsetzt an, Maureen! Ich kann deiner Mutter einfach nicht trauen.«

      »Du hast keinen Grund, an den Worten meiner Mutter zu zweifeln«, entgegnete Maureen erstaunt. »Sie verhält sich zwar nicht immer höflich, warum hätte sie uns aber den Namen McCorkindale nennen sollen, wenn dieser nicht ihr Vater wäre?«

      »Ganz einfach, meine Liebe, weil McCorkindale einst ein angesehener Clanführer war und Bothy Castle ein herrschaftlicher Besitz«, erklärte Philipp. »Sollte Laura wirklich seine Tochter sein, dann stammt sie aus einem weitaus älteren Adelsgeschlecht als die Trenance und ist damit unserer Familie um einiges überlegen, auch wenn die schottischen Adligen ihre Rechte verloren haben. Du erlaubst, dass ich diese Vorstellung zunächst einmal in Zweifel ziehe.«

      »Kann das denn möglich sein?«, flüsterte Maureen mit kalkweißem Gesicht. »Warum hat meine Mutter darüber immer geschwiegen?«

      Frederica rutschte aufgeregt auf ihrem Stuhl hin und her. Es war ihr schwergefallen, der Unterhaltung schweigend zu folgen, jetzt platzte sie heraus: »Ich kenne kein anderes Mädchen, das noch einen Urgroßvater hat. Wann besuchen wir ihn?«

      Maureen hob abwehrend die Hände.

      »Meine Mutter wird ihre Gründe haben, warum sie mir ihre Familiengeschichte verheimlichte. Ich muss erst noch einmal in Ruhe mit ihr sprechen. « An Philipp gewandt fuhr sie fort. »Kaum zu glauben, dass meine Mutter keineswegs ein armes Bauernmädchen war, für das sie gehalten wurde. Jetzt verstehe ich, warum ich immer dachte, sie wäre etwas Besonderes und sie passe nicht in die Kammer über den Stallungen. Obwohl alles um sie herum verkommen und schmutzig war, machte Laura immer den Eindruck, als wäre sie ... eine Lady.« Sie seufzte und schenkte sich eine Tasse Kaffee ein. »Sie muss eine hervorragende Erziehung genossen haben und doch führte sie dieses ärmliche Leben an der Seite meines Vaters.«

      »Also, ich finde das sehr romantisch«, warf Frederica ein. »Wahrscheinlich hat sich Großmutter in einen einfachen Stallburschen verliebt, der nicht standesgemäß war, und ist mit ihm durchgebrannt. Sie ist einfach ihrem Herzen gefolgt, so wie auch du, Mama. Ich muss Großmutter unbedingt fragen, welch aufregende Abenteuer sie erlebt hat.«

      Sie zwinkerte ihrer Mutter keck zu, und Maureen wusste, dass Frederica auf George Linnley und ihre Drohung anspielte, jederzeit mit ihm durchzubrennen, sollten sich die Eltern weiter gegen eine Heirat stellen.

      Philipp lachte und strich Frederica übers Haar.

      »Mein kleines Mädchen, überall vermutest du eine Romanze. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Laura aus Liebe zu einem Mann alles im Stich gelassen hat und ihm in die Armut gefolgt ist.«

      Maureen stimmte Philipp zu. In ihrer Erinnerung waren ihre Eltern zwar höflich und freundlich miteinander umgegangen, von großer Liebe oder gar Leidenschaft hatte sie jedoch niemals etwas bemerkt. Laura war immer unnahbar gewesen und hatte nie jemanden an sich herangelassen. Weder ihre Tochter noch ihren Ehemann.

      »Ich werde versuchen, mit ihr über Archibald McCorkindale zu sprechen«, sagte sie bestimmt.

      »Dabei wünsche ich dir viel Glück. So, wie ich Laura kenne, wird sie wie immer schweigen«, erwiderte Philipp zweifelnd.

      Auch dieses Mal sollte Philipp sich nicht geirrt haben. Maureen besuchte ihre Mutter am frühen Nachmittag desselben Tages. Nach einem gemeinsamen Gang zum Friedhof saßen sie in der kleinen, muffigen Kammer und tranken Tee. Als Maureen das Gespräch auf McCorkindale brachte, nahm Lauras Blick den für sie typischen abweisenden Ausdruck an. Sie sah an Maureen vorbei und sagte scharf: »Ich bat dich einzig und allein um den Gefallen, mich in Degnish beisetzen zu lassen. Wenn ich gewusst hätte, dass dein Mann ausschweifende Nachforschungen anstellt, hätte ich den Wunsch niemals geäußert.«

      Hektische rote Flecken bildeten sich auf ihren Wangen, die sich von ihrer sonst fahlen Haut abhoben. Für einen Moment bereute Maureen,

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