Gestohlene Identität - Roland Benito-Krimi 5. Inger Gammelgaard Madsen

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Gestohlene Identität - Roland Benito-Krimi 5 - Inger Gammelgaard Madsen Roland Benito

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versessen darauf warst, damals, als du wegmusstest.« Dan versuchte ein bewunderndes Lächeln, das Josh jedoch nicht sah. »Und jetzt ziehen sie ja die Soldaten ab, also vielleicht passiert dem da ja gar nichts. Nicht alle enden als Kriegsveteranen.« Er wusste sofort, dass er das nicht hätte sagen sollen. Dass es als Kritik aufgefasst werden würde. Dass Kriegsveteranen in Joshs Augen das Gegenteil von Helden waren. Dass der Versprecher eine Strafe nach sich ziehen könnte.

      »Du Labertasche! Du hast bloß hier auf deinem flachen Arsch zu Hause bei den Alten gesessen, während ich für mein Land gekämpft habe und verstümmelt wurde.«

      »Der Golfkrieg war vorbei, als du dahin gekommen bist, Josh. Das war für friedenserhaltende Maßnahmen und nicht Kampf. Du bist auf eine Landmine getreten. Und ich war damals ja erst zehn.«

      Josh antwortete nicht, und Dan aß ohne Appetit. Er mochte den Ausdruck in den Augen seines Bruders nicht. Seine Manieren ebenso wenig. Er benutzte den Zeigefinger, um Essensreste aus seinen Zähnen und seinem Zahnfleisch zu entfernen, und wischte ihn danach am Tellerrand ab. Er hatte keine Haare auf dem Kopf. Als er Soldat gewesen war, hatte er einen Bürstenschnitt gehabt. Wie er selbst nun. Aber jetzt hatte er das Ganze abrasiert. Die Narbe in der Mitte des Scheitels war rot und auffällig und erinnerte Dan wieder daran, was passiert war. Er stand auf und trug die leeren Teller in die Küche. Stützte sich auf die Küchentischkante und atmete tief ein. Hatte Josh Recht, wenn er sagte, sein Gehirn sei vom radioaktiven Uranstaub der Granaten, die das amerikanische Militär benutzte, und dem Nervengas der irakischen Streitkräfte vergiftet worden? Oder lag es an den Medikamenten, die die Soldaten genommen hatten, um die Beeinträchtigung durch solche Gifte zu vermeiden? Hatte er wirklich eine Entschuldigung dafür und einen guten Grund, sich so massiv zu verändern, dass Dan ihn nicht wiedererkannte? Er hatte ihn immer respektiert. Zu ihm aufgesehen. Sahen nicht alle kleinen Geschwister zu ihrem großen Bruder auf? Jetzt war es kein Respekt mehr, sondern tiefe Furcht. Jede Minute zusammen mit seinem Bruder fürchtete er. Er wusste nie, was passieren konnte, und das Schlimmste kam jetzt, es fing immer mit diesen Worten an, die aus dem Wohnzimmer gerufen wurden:

      »Dannevang! Mein Bad muss vorbereitet werden!«

      Er antwortete nicht. Klirrte laut mit einigen Tellern, als ob er am Abwaschen wäre und ihn nicht hören könnte.

      »Jetzt, verdammt noch mal, Mann! Mein Penis juckt!«

      Dan ging ins Bad und öffnete den Wasserhahn. Mit der einen Hand kontrollierte er, ob das Wasser in der Badewanne passend war. Er wusste genau, welche Temperatur es sein musste. Nicht zu warm und nicht zu kalt. Das Klacken der Krücken auf dem Boden näherte sich. Die Gumminoppen unter ihnen waren abgefallen, sodass sie überall auf den alten Holzfußböden Spuren hinterließen. Es fühlte sich an, als ob das Geräusch in seinen Bauch drang und seinen Darm zu einem harten Knoten zusammenpresste, der hoch in seinen Hals gedrückt wurde; er musste sich übergeben. Josh mühte sich wie gewöhnlich beschwerlich nach unten, um auf der Bank zu sitzen, die für ihn in einer passenden Höhe angefertigt worden war. Erst ließ er die eine Krücke los und setzte sich, dann ließ er die andere los und stellte sie beide an die Wand. Der Beinstumpf ragte in die Luft, mit dem Armstumpf zeigte er auf Dan.

      »Zieh mich aus. Langsam«, kommandierte er, als ob sein Rang als Z-Soldat immer noch gültig wäre. Dan tat, wie befohlen. Der Knoten im Bauch wurde fester. Als er seinem Bruder die Unterhose auszog, war die Übelkeit dabei, ihn zu übermannen. Er schluckte angestrengt mehrere Male in dem Versuch, es zurückzuhalten, und nahm Joshs Schulter, um ihm in die Badewanne zu helfen, aber der Bruder machte sich mit einem Ruck los, und packte stattdessen Dans Nacken mit seiner außergewöhnlich starken linken Hand und presste sein Gesicht fest nach unten in seinen Schoß.

      »Nein, nimm den. Jetzt. Komm schon, schluck!«

      10

      Es war noch nicht sieben. Der Morgentau glänzte im Gras. Zum ersten Mal im Jahr roch sie den Herbst und spürte das Gefühl von Nachtfrost in der kühlen Luft, als sie das Fahrrad gegen den üblichen Baum lehnte und merkte, dass sie schnell anfangen musste, bevor sie zu frieren begann, nur mit Laufshirt und -hose bekleidet. Sie machte grundsätzlich keine Aufwärmübungen, betrachtete aber die Fahrradtour zum Fløjstrupper Wald als solche. Doch nun wurde der Schweiß kalt, sie machte einige schnelle Beinhebungen, um wieder warm zu werden; dann lief sie in den Wald, folgte dem Pfad und ließ ihren Gedanken freien Lauf.

      Viele schöne Ausflüge hatte sie in diesem Wald zusammen mit Opa gemacht. Er war erst vor wenigen Monaten gestorben. Ganz sicher an Altersschwäche. Er hatte ein langes und spannendes Leben gehabt, aber trotzdem vermisste sie ihn und konnte sich nicht damit abfinden, dass sie nicht länger hier spazieren gehen und vertraut zusammen reden sollten. Er hatte ihr so viel beigebracht, seit sie ein Kind war. Hatte ihr gezeigt, wie man buchstabiert. Zählt. Die Uhr liest. Der Letzte, der von ihren Großeltern noch übrig gewesen war. Er hatte erzählt, dass sie von einer hart arbeitenden Waldarbeiterfamilie abstammten und sie darauf stolz sein sollte. Vielleicht fühlte sie sich deswegen in dem schützenden Rahmen des Waldes so wohl. Das lag ihr im Blut. Ihr Ur-Opa, Ur-Ur-Opa und Ur-Ur-Ur-Opa hatten hier in den Wäldern von Aarhus gearbeitet und es gab immer noch Spuren von ihnen, die Opa ihr gezeigt hatte. Sie lief gerade an einer davon vorbei. Ein Hohlweg, der entlang der Böschung bis ans Wasser führte. Einst war er weitergegangen bis zu einem Platz, der Polterplatz hieß, hatte er erzählt. Das war die Stelle, wo man die gefällten Bäume aufbewahrte, bis die Waldarbeiter sie runter zur Küste schleppten, wo sie zu einem Frachtschiff in der Bucht gesegelt wurden. Vielleicht hatte einer ihrer Vorfahren mitgeholfen, diesen Hohlweg anzulegen. Es war nicht schwer, sich die schwer beladenen Pferdewagen vorzustellen, die vor über hundert Jahren diese tiefen Rinnen in die Erde gefahren hatten. Sie beschleunigte das Tempo ein bisschen. Weiter vorne auf dem Pfad liefen ein morgendlicher Hundebesitzer und ein schwarzer Hund mit der Schnauze am Boden ein gutes Stück vor ihm. Unwillkürlich verlangsamte sie das Tempo, der Hund drehte sich um und lief zurück zu seinem Besitzer, er nahm ihn am Halsband und hielt ihn vom Weg zurück, als sie sich näherte. Sie lächelten und grüßten, als sie passierte, obwohl sie sich nicht kannten. Ein bisschen weiter vorne auf dem Weg kam ihr ein älterer, sehniger Mann in engen Laufhosen entgegen. Kurz darauf musste sie einen anderen jungen Jogger überholen und sich dafür ordentlich anstrengen. Sie war jetzt sechs Kilometer gelaufen. An diesem Morgen fühlte sie sich gut in Form und machte einen Abstecher in den etwas dichteren Teil des Waldes, der an den Skaade Wald grenzte, wo sie so früh am Morgen selten andere Jogger und Leute mit Hunden traf. Erst lief sie einen Deich entlang, dem sie keine Beachtung geschenkt hatte, bis ihr Opa sie darauf aufmerksam gemacht hatte, dass er ein Überbleibsel aus alten Zeiten war. Damals im 19. Jahrhundert wurden Deiche gebaut, um Waldgebiete vor grasenden Tieren und Raubüberfällen zu schützen. »Du musst lernen, die Sinne dabei zu haben, wenn du dich in der Natur bewegst, meine Kleine. Renn nicht mehr mit diesen modernen iPods im Ohr durch die Gegend. Du sollst sehen, riechen und hören. Hier im Wald gibt es über dreihundert Spuren unserer Vorfahren, einige bis aus der Stein- und der Eisenzeit: Grabhügel, Hünengräber, die Straßensysteme und Felder der Vergangenheit«, hatte er sie mit einem Lächeln in den milden Augen, die aufgrund des Windes mit Wasser gefüllt waren, ermahnt. Sie vermisste ihn wieder und war kurz davor zu weinen. Es nahm ihr beinahe die Luft und sie verlangsamte das Tempo. Auf dem nächsten Wegstück hörte sie immer das Gurren der Waldtauben. Sie hatten sicher Nester hier, brüteten, soweit sie wusste, fast das ganze Jahr über, aber heute war es still. Fast kein Lüftchen regte sich. Sie beschleunigte das Tempo wieder ein bisschen. Ein Übelkeit erregender Gestank von Verwesung trieb ihr entgegen. Das, was stank, lag im Gras dicht am Weg. Bei dem Tempo sah sie nicht, was es war. Ein größeres Tier. Sie blieb stehen und ging atemlos zurück. Der Schweiß tropfte ihr von der Stirn und klebte die Kleidung an den Körper. Ihr Atem ging schwer. Sie starrte auf das tote Tier. Die Maden machten das blutige Fleisch lebendig, das, was übrig war. Unwillkürlich verspürte sie einen Brechreiz, aber es kam nichts mit hoch. Es war ein Fuchs. Er war zerfleischt. Die Eingeweide waren um ihn herum verteilt, einige lagen in Stücken zwischen den Bäumen. Sie beeilte sich weiterzulaufen, um sich nicht zu übergeben, aber der Gestank blieb in den

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