Gestohlene Identität - Roland Benito-Krimi 5. Inger Gammelgaard Madsen

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Gestohlene Identität - Roland Benito-Krimi 5 - Inger Gammelgaard Madsen Roland Benito

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In nur sechs Monaten würde das Kind ein Teil ihres Lebens sein. Ein kleiner Mensch, der total abhängig von seinen Eltern war. Wie oft hatte sie nicht versucht, eine nervöse Mutter zu beruhigen, die Angst hatte, der Verantwortung nicht gerecht zu werden. Aber sie hatte überhaupt nicht gewusst, wie sich diese Angst anfühlte. Bis jetzt nicht. Plötzlich war sie nicht länger diejenige, die auf Baby-Blogs im Internet Ratschläge gab, jetzt war sie diejenige, die sie suchte. Ihre Mutter war keine Hilfe. Im Gegenteil. Selbstverständlich könnte sie abtreiben, aber wieso sollte sie?

      »Genau! So sollst du dich entspannen.« Benedikte setzte sich neben sie auf die Bank und zog ein paar hellblaue Haushaltshandschuhe aus. »Jetzt ist das Schlimmste überstanden. Die Böden glänzen, sodass man sich darin spiegeln kann.«

      »Danke, Mama.« Sara drückte ihre Finger, trotzdem dankbar für die Hilfe, die anzunehmen sie unerwartet gezwungen war. Sie genossen die Stille und die vermutlich letzte Wärme des Herbstes. Der Gesang der Amseln war längst verklungen.

      »Was hat es mit diesem Schmuck auf sich?«, fragte Benedikte plötzlich aus heiterem Himmel.

      »Welchem Schmuck?«

      »Der, von dem du ein Bild auf Facebook gestellt hast. Dieses kleine Schmuckstück mit den sonderbaren Schnüren. Hat sich der Besitzer gemeldet?«

      »Ach, das.« Unwillkürlich zog Sara ihre Hand von der ihrer Mutter weg, als ob die Berührung verraten würde, was sie selbst vor Kasper verborgen gehalten hatte. Manchmal vergaß sie, dass alle auf Facebook diese Posts sehen konnten, nicht nur die, für die sie sie gedacht hatte.

      »Wie hast du den gefunden?«

      »Ähm, das ist lange her, ich kann mich gar nicht daran erinnern. Ist ja auch egal. Willst du einen Kaffee? Es ist doch schönes Wetter. Wir können hier draußen sitzen.«

      »Kein Kaffee für dich, Fräulein. Mein Enkelkind verträgt kein Koffein.«

      »Nein, Mama. Natürlich nicht.« Sie eilte in die Küche und füllte den Wasserkocher. Draußen am Tisch hatte ihre Mutter eine Zigarette angezündet. Das tat sie nicht, wenn Sara in der Nähe war. Wegen des Kindes. Sollte sie das Foto wieder löschen? Niemand hatte sich als Besitzer des Schmuckes gemeldet. Vielleicht hätte sie es herausbekommen können, falls er dem Dieb gehörte. Dem, der die Tasche in Venedig gestohlen, deren Inhalt samt ihrem Portemonnaie mit Kreditkarten und ihrem Pass geleert und sie wieder zurückgegeben hatte. Hatte diese diebische Person ihren Schmuck darin verloren, ohne es zu wissen? Sie beschloss das Bild zu löschen. Sie hatte es vor zwei Monaten hochgeladen, und wenn sich bis jetzt keiner gemeldet hatte, war es wohl auch für niemanden von Bedeutung.

      »Kaffee ist fertig!«

      Benedikte zerquetschte die Kippe schnell auf den Fliesen und hielt sie zwischen zwei gespreizten Fingern, als ob sie es eklig fände. Sara suchte nach einem Aschenbecher im Schrank und nahm ihn mit hinaus auf den Tisch.

      »Ich dachte, du hättest damit aufgehört.«

      »Dachte ich auch. Aber jetzt hast du mich so damit erschreckt, dass du beinahe umgefallen bist, daher musste ich …«

      »Du musst dir meinetwegen keine Sorgen machen, Mama. Und erzähl es nicht Papa; du weißt, wie er ausflippen wird.« Und dann habe ich ihn heute Abend hier sitzen, dachte sie, und trank aus ihrem Wasserglas.

      »Nein, nein, das werde ich nicht.« Benedikte lächelte über die Zurechtweisung ihrer Tochter.

      »Geht’s Papa ansonsten gut?«

      »Papa geht’s bestens. Aber er hat angefangen die Tage zu zählen, bis er pensioniert wird. Also mit Grausen. Er weiß nicht, was er machen soll, wenn er die Tiere nicht mehr hat.«

      »Es ist noch fast ein Jahr, bis er pensioniert werden soll. Wieso jetzt darüber spekulieren?«

      »Du kennst doch deinen Vater. Ich habe ihm gesagt, er sollte stattdessen lieber darüber nachdenken, was er sich für lustige Hobbys zulegen könnte, die die Zeit ausfüllen.«

      »Ich verstehe einfach nicht, dass er die Tierklinik schließen will. Die Tiere sind doch sein Leben. Und deins auch.« Sie schenkte ihrer Mutter Kaffee nach. Plötzlich war der Wind kühl geworden.

      »Papas Rücken macht das nicht mehr mit. Ich bin mir sicher, er findet etwas anderes, wenn es so weit ist. Das Gleiche gilt für mich. Er kann sich ja auch für die Rücken-OP entscheiden, an die er sich nicht traut, obwohl sie ihm vielleicht helfen kann, dann könnte ich ihn pflegen und wir würden beide unsere Arbeitslosenprobleme zur gleichen Zeit lösen.«

      Sara nickte nur. Sie unterstützte ihren Vater darin, sich in seinem Alter nicht mehr einer so großen Operation zu unterziehen. Vielleicht könnte sie ihm helfen, aber es könnte auch das Gegenteil der Fall sein. Das Schlimmste könnte passieren. Das schlimmste Denkbare. Um seine Haltung zu pointieren, hatte er seine Familie mehrfach an den Zwischenfall erinnert, als er einen ansonsten starken und aufrechten Vollbluthengst wegen einer Rückenverletzung operiert hatte. Es endete damit, dass er lahmte und kurz darauf eingeschläfert werden musste. »Das kannst du nicht vergleichen, Poul«, hatte Mama gesagt. »Das war etwas Unvorhersehbares, das schiefgegangen ist.« »Und wer sagt, dass ich nicht an einen genauso großen Quacksalber wie mich selbst gerate?«, hatte er mit einem Kloß im Hals erwidert. »… und es war nicht deine Schuld«, hatte Mama sofort hinzugefügt. Poul Erik Steenberg war ein kompetenter Tierarzt. Aber Sara hatte die Furcht in seinen Augen gesehen, und was ihr wirklich Angst einjagen konnte, war der Gedanke, ihn zu verlieren. Sie beide. Vielleicht eine kleine gerechte Rache für damals, als sie fürchteten, sie zu verlieren.

      Es wurde kalt, als die Wolken kamen und den Himmel wie mit einer Decke überzogen. Sie gingen hinein in ein Haus, das nach Putzmitteln roch, und nicht eine Staubflocke war zu sehen. Benedikte litt an unkontrollierter Putzwut, mit der Sara aufgewachsen war. Nicht, dass sie diese Last sonderlich geerbt hätte. Der Reinlichkeitswahn ihrer Mutter war, wenn man so wollte, eine Folge der Arbeit ihres Vaters, als sie sich nämlich entschied, mithelfende Gattin zu werden; in einer Tierklinik musste es genauso klinisch rein sein wie in einem Krankenhaus. Oft hat Sara gedacht, dass es in ihrem Elternhaus sauberer war als in sämtlichen Krankenhäusern der Stadt. Ein weiterer guter Grund, ihren Vater dort nicht für eine komplizierte Rücken-OP einzuweisen.

      Sie bot ihrer Mutter an, zum Essen zu bleiben. Kasper würde nach Hause kommen. Er hatte ab Mittag frei genommen, um mit seiner schwangeren Freundin an ihrem freien Tag zusammen zu sein, deswegen hatte sie mit dem Großreinemachen frühmorgens angefangen, damit es sauber und gemütlich war, wenn er heimkam. Sie hatte auch ein Mittagessen geplant, wie er es mochte. Aber Benedikte wollte nach Hause, Sara sollte es sich mit Kasper gemütlich machen. Stattdessen bekam sie eine Umarmung, einen Kuss auf die Wange und weitere Ermahnungen.

      Sara setzte sich mit einem müden Lächeln hin, als die Reifen von Mamas Chevrolet über den Kies knirschten und sie mit hohem Tempo auf die Straße bog. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie einen Strafzettel für zu schnelles Fahren bekäme.

      Sara fing an, das Mittagessen vorzubereiten, nachdem sie sich ein bisschen ausgeruht hatte, trank noch ein paar Gläser Wasser und genoss die saubere Umgebung, von der sie wusste, dass auch Kasper Wert darauf legte. Kartoffelsalat und Frikadellen waren das geplante Menü. Kasper liebte das. Mitten beim Kartoffelschälen klingelte das Handy, das wie immer in der Nähe lag. Das war eine Anweisung von Kasper; falls etwas passieren sollte. Alle machten sich solche Sorgen, dass es auch sie ganz besorgt machte. Sie nahm das Telefon mit zwei nassen Fingern und klemmte es zwischen Schulter und Kinn fest, sodass sie während des Gesprächs weiter Kartoffeln schälen konnte.

      »Sara«,

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