Gestohlene Identität - Roland Benito-Krimi 5. Inger Gammelgaard Madsen
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Читать онлайн книгу Gestohlene Identität - Roland Benito-Krimi 5 - Inger Gammelgaard Madsen страница 19
»Sagte der geehrte Dan Vang, wann er heute auftauchen wollte? Er wollte doch heute noch kommen?«
»Ja, irgendwann gegen Mittag. Dem Jungen ging es wohl ein bisschen dreckig.« Niels knüllte die Tüte vom Bäcker zusammen und wischte gleichzeitig die klebrigen Finger daran ab.
Roland knurrte verärgert, aber natürlich konnte man ja mitten in einer wichtigen Arbeit krank werden. Nicht, dass er selbst das versucht hätte. Eine Handvoll Aspirin half gegen das meiste. Aber diesen Trick kannte Dan bestimmt nicht.
»Also, wie in der Besprechung erwähnt werde ich noch mal mit der Oberärztin Mai Andersen sprechen, damit wir einen Überblick über die Medikamenteneinnahme der Patientin bekommen können. War sie überhaupt imstande, allein zu fliehen?« Er stand auf. Niels tat es ihm gleich und überragte Roland plötzlich um 40 Zentimeter. Seine Größe verursachte eine vornübergebeugte Haltung, als ob er versuchte, die gleiche Luft wie alle anderen zu atmen.
»Wissen wir, wer sie besucht hat?«
»Nein, darüber werde ich auch mit der Oberärztin sprechen. Wir brauchen die Besucherliste.«
»Ich finde Isabella und nehme sie mit zur Klinik. Es ist immer nett mit einer Frau an seiner Seite.« Er blinzelte nach unten zu Roland. Sie gingen gemeinsam zum Aufzug. Pat und Patachon, mochten die anderen denken, ging es Roland durch den Kopf. Wenn die jungen Leute heutzutage überhaupt wussten, wer die beiden waren. Jetzt hießen sie sicher Beavis und Butt-Head.
Am Nachmittag saß er wieder im Büro und versuchte einen verständlichen Bericht der heutigen Vernehmung zu schreiben. Wie es ihm geschwant hatte, hatte er keine Ahnung von den unterschiedlichen medizinischen Bezeichnungen, die die Oberärztin heruntergerattert hatte, und bei denen sie davon ausging, dass sie ihm geläufig waren. Tabletten gegen Angst, Tabletten gegen Unruhe, Tabletten gegen Depression und Tabletten dagegen, nicht völlig apathisch zu werden. Seine Frage, ob Sara Dupont imstande wäre, einen derart gewalttätigen Mord zu begehen und mit all den Medikamenten intus zu fliehen, war sie damit ausgewichen, dass sie ja nicht wüsste, ob Sara die Tabletten auch geschluckt hätte. Vielleicht hatte sie sie einfach wieder ausgespuckt, weil sie geplant hatte zu fliehen. Glücklicherweise hatte er die Oberärztin dazu überreden können, einen Zettel mit den Namen zu schreiben und wie viel Milligramm die Patientin an dem Abend eingenommen hatte, und er hatte gerade mit Henry Leander gesprochen, dem zuverlässigsten Arzt, den er kannte, auch wenn er der Arzt von Toten war, und es nicht viel ausmachte, wenn er einen verkehrten Schnitt setzte. Er bekam nie Beschwerden von einem Patienten. Aber er hatte sachlich beurteilt, dass es mit diesen Stoffen intus – also falls Sara sie eingenommen hatte – so gut wie unmöglich wäre, einem anderen Menschen die grausamen Verletzungen zuzufügen, die er im Obduktionsbericht beschrieben hatte.
Sara Dupont hatte an diesem Abend nur zweimal Besuch gehabt: Ihren Mann Kasper, der gegen 20 Uhr schnell wieder verschwunden war, und danach war eine Christina Toft Hansen als Freundin der Familie registriert. »Nettes Mädchen«, hatte Mai Andersen hinzugefügt und auf seine Aufforderung hin eine kurze Beschreibung gegeben, die auf nahezu jedes Mädchen heutzutage zutreffen konnte. Aber hier war kein Zeitpunkt registriert, wann sie die Abteilung verlassen hatte. Mai Andersen meinte, das müsse ein Versehen gewesen sein. Roland hatte Mikkel gebeten, das Mädchen ausfindig zu machen.
Es fiel ihm schwer, nicht auf den alten Bericht zu schielen, den Morten Holsted über die Kindstötung angefertigt hatte. Er war ein sehr kundiger Kollege und machte nie Fehler, daher zweifelte Roland nicht daran, dass in dem Mordfall korrekt ermittelt worden war. Aber irgendwie fehlte etwas. Er beschloss, sich mit Morten über den Fall zu unterhalten, auch wenn Kurt Olsen, als er ihm gegenüber die Sache erwähnte, ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht hatte, dass seine Priorität die Suche nach Sara Dupont sei. Aber konnte er die beiden Fälle trennen? Konnte er Sara finden, ohne die ganze Geschichte hinter ihrem Schicksal zu kennen?
Als das Telefon klingelte, war er ein wenig überrascht, dass es Henry Leanders Stimme war, die er wieder am Ohr hatte. Er hatte doch gerade erst aufgelegt.
»Kannst du gleich mal in die Rechtsmedizin kommen, Roland? Wir bekommen etwas rein, das sicher auch dich angeht.«
»Etwas? Was denn?«
»Ein Jogger hat im Fløjstrupper Wald einen makabren Fund gemacht. Das Gesicht ist weg und der Körper ziemlich zugerichtet. Aber es heißt, es sei eine Frau. Rothaarig. Schlank. Das könnte vielleicht die Gesuchte sein.«
Roland stand so schnell auf, dass der Bürostuhl über den Boden rollte und gegen die Wand knallte.
12
September, ein Jahr zuvor
»Bitte schön, trink das hier! Das Ganze!«
Benedikte Steenberg reichte ihrer Tochter auf dem Sofa, wohin sie sie beordert hatte, ein Glas Wasser. Wie immer verhätschelte sie ihr einziges Kind mehr als notwendig, obwohl Sara der Grund dafür war, dass sie das einzige Kind geblieben war. Während der Geburt waren Komplikationen aufgetreten, die dazu führten, dass sie ihr anschließend die Gebärmutter entfernen mussten, was natürlich ausschloss, dass Sara Geschwister bekam. Sara hatte nie gefragt, was eigentlich schiefgegangen war, wohl hauptsächlich wegen der Schuldgefühle, die sie wegen dieser Tragödie hatte, aber sie hatte trotzdem genügend von großen Fibromen, grünem Fruchtwasser und der Angst ihrer Eltern, sie zu verlieren, gehört. Aber das war nichts, worüber irgendeiner von ihnen Lust hatte zu sprechen. Erst recht nicht jetzt. Sara wollte nicht einmal daran denken.
»Mama, dass mir ein bisschen schwindelig ist, hat nichts zu sagen. Das ist ganz normal.«
»Denkst du daran, Eisen zu nehmen?«
»Natürlich. Frag einfach meinen Bauch danach.« Pflichtschuldig trank sie aus dem Glas.
»Iss ein paar Dörrpflaumen.«
»Ja, ja, Mama.«
Benedikte wrang den Lappen über dem Putzeimer aus und warf wieder einen besorgten Blick auf Sara, die aufstehen und weiterputzen wollte.
»Du bleibst schön sitzen, Fräulein. Ich bin richtig froh, dass ich hergekommen bin, als du mitten am Großreinemachen warst. Will Kasper das denn nicht für dich tun?«
»Doch, sicher bereitwilliger, als Papa es für dich tut. Aber ich will ja keine schwangere Ehefrau sein, die gar nichts kann.«
»Du bist im dritten Monat, Schätzchen. Du arbeitest die meiste Zeit des Tages und solltest dich ausruhen, wenn du heimkommst …«
»Heute ist mein freier Tag«, unterbrach sie.
»Eine Fehlgeburt innerhalb der ersten Monate ist recht häufig, wenn man nicht aufpasst. Das weißt du doch. Kasper sollte dir verbieten, so ein Projekt im ganzen Haus im Alleingang anzufangen. Aber so wie ich dich kenne, weiß er das bestimmt nicht mal«, fuhr ihre Mutter beharrlich fort.
Sara zuckte bloß die Schultern, stand auf und stellte das leere Wasserglas in die Spüle. Dann brachte sie den Müll raus, das dürfte sie ja nicht belasten.
Der Garten sandte Herbstdüfte in den dunstigen Vormittagssonnenschein. Das Laub mancher Bäume färbte sich schon golden. Die frische Luft ließ den Schwindel verfliegen. Erleichtert setzte sie sich auf die Bank beim Gartentisch und schloss die Augen, das Gesicht der Sonne zugewandt, immer noch mit der warmen Glut des Sommers, aber nicht so intensiv. Sie faltete die Hände über dem Bauch, wie um den kleinen