Gestohlene Identität - Roland Benito-Krimi 5. Inger Gammelgaard Madsen

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Gestohlene Identität - Roland Benito-Krimi 5 - Inger Gammelgaard Madsen Roland Benito

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Schnitt«, lobte Roland zum Dank.

      »Das ist meine größte Leidenschaft. Topiary works, wie es in der Fachsprache heißt, ich habe seit vielen Jahren …«

      Der Mann könnte sicher den Rest des Tages und die ganze Nacht über den Formschnitt von Büschen und Bäumen reden. Er war genau der Typ dafür; ein Mann in Rente, während die Frau noch arbeiten ging. Schade, dass er keinen größeren Garten hat, dachte Roland, bevor er ihn unterbrach, indem er ihm noch einmal dankte und die Autotür fest zuschlug. Isabella versuchte ein Lächeln zu verbergen.

      »Fahren wir direkt zum Kongresszentrum oder warten wir, bis Lærke Bendixen nach Hause kommt?«

      »Ich finde, es könnte interessant sein zu hören, worüber Sara Duponts beste Freundin einen Vortrag hält«, antwortete Isabella und schnallte sich an.

      »Okay, das war auch mein Gedanke. Hauptsache es geht nicht um Topiary works«, murmelte Roland, bevor er das Auto anließ und mit einem letzten Blick über die Hecke auf den hochkonzentrierten Gärtner rückwärts aus der Einfahrt fuhr.

      »Das ist doch ein hübscher kleiner Garten, den er da hat. Was hast du eigentlich gegen Gärten, Büsche – oder vielleicht Gärtner?«, fragte Isabella mit schlecht verhülltem Amüsement. Sie setzte eine dunkle Sonnenbrille auf. Die Sonne war durch die Wolkendecke gebrochen und blendete von den weißen Mauern der Reihenhäuser. Roland hasste es, wenn er Leuten nicht in die Augen sehen konnte, sondern stattdessen sein eigenes Spiegelbild sah. Er antwortete nicht. In Wahrheit plagte ihn sein schlechtes Gewissen. Es war immer Irene gewesen, die sich um den Garten bei der Villa in Højbjerg gekümmert hatte, die ihr Elternhaus war. Nun war es seine alleinige Verantwortung, und Gartenarbeit war noch nie sein Ding gewesen. Das Gras war viel zu lang, in den Beeten musste Unkraut gejätet und die Büsche und Bäume zurückgeschnitten werden. Der Herbst war eine arbeitsreiche Zeit für Gartenbesitzer. Er könnte Irene selbstverständlich einen natürlichen Garten vorschlagen, der wild wuchs wie der der Duponts, aber darauf würde sie sich nie einlassen. Gepflegtheit und saubere Linien entsprachen ihr eher. Er fürchtete den Laubfall, der bald kommen würde, obwohl die vielen verrotteten Blätter natürlich sein Versäumnis verbergen könnten. Aber Irene sah es. Oft saß sie da und schaute aus dem Fenster des ersten Stocks in den Garten hinunter, sagte aber nichts. Er musste sich einfach zusammenreißen und in die Gänge kommen, nicht in Selbstmitleid baden, sondern mehr Mitgefühl für Irene aufbringen, die gern im Garten arbeiten würde, körperlich aber nicht dazu in der Lage war.

      Isabella war diejenige, die das Schild als Erste entdeckte, das den Weg zu dem Raum wies, in dem Lærke Bendixen ihren Vortrag hielt. Roland nahm eine der Broschüren mit, die in ordentlichen, kleinen Reihen in einem Aufsteller vor der Tür standen, und las die Überschrift Wir haben mehrere Persönlichkeiten und den Untertitel Persönlichkeitsspaltung ist NICHT Schizophrenie. Vortrag von Psychotherapeutin Lærke Bendixen.

      »Ach nein, nicht eine von diesen selbsternannten Therapeutinnen«, seufzte er und steckte die Broschüre zurück in den Aufsteller.

      »Sie ist sicher mehr als das. Sie hat eine dreijährige Ausbildung an der Akademie für Psychotherapie in Kopenhagen absolviert und zwei Jahre als selbständige Therapeutin gearbeitet. Steht auf der Rückseite.« Isabella faltete die Broschüre zusammen, stopfte sie in die Tasche ihrer Lederjacke und öffnete vorsichtig die Tür zu dem Raum. Darin war es dunkel. Wechselnde farbige Bilder mit Säulen, Zahlen und Diagrammen blinkten auf einer Leinwand auf. Der Raum war nicht voll besetzt und Roland und Isabella setzten sich auf die ersten freien Stühle direkt an der Tür. Nur wenige drehten sich um und sahen sie an, konzentrierten sich jedoch schnell wieder auf die ruhige, tiefe Stimme der Rednerin.

      »Wie das Diagramm hier zeigt, wird bei jedem zehnten psychiatrischen Patient in den USA DIS diagnostiziert. Oft ist die Diagnose Kindheitstraumata geschuldet, in der Regel sexueller Missbrauch, aber eine neue Theorie ist, dass auch gesunde Menschen die Persönlichkeit wechseln. Es ist einfach eine Notwendigkeit, mehrere Persönlichkeiten zu haben, um sich dem wechselnden Alltag der Gegenwart anzupassen.«

      Roland schluckte ein weiteres Mal. Er war selbst in zwei Personen aufgeteilt; Roland auf der Arbeit und Rolando in seinem Privatleben.

      »DIS ist eine der umstrittensten psychiatrischen Diagnosen, weil sie oft mit Kriminalität verknüpft wird. Seit sie als psychische Krankheit bekannt ist, haben mehrere Verbrecher diese Diagnose benutzt und erklärt, dass sie für ihre Handlungen nicht verantwortlich gemacht werden könnten. Bei diesen Fällen spricht man von einer pseudologischen Störung.«

      Lærke Bendixen blickte auf einige Papiere vor sich. Sie setzte eine moderne Brille auf, während sie in einem fast unbemerkten Augenblick eine Karte las und dann den Blick wieder auf die Leinwand richtete, als ein neues Bild von einer Frau mit langen Haaren, lila Halstuch und einem sympathischen Lächeln erschien.

      »Simone Reinders vom King’s College in London ist der Ansicht, dass es mehrere Typen gibt. Ihrer Meinung nach ist DIS eine Krankheit, die sowohl von den Behandelnden als auch dem juristischen System differenziert betrachtet werden muss. Simone Reinders leitete 2003 einen DIS-Versuch, wo sie mit Hilfe von PET-Scans nachgewiesen hat, dass DIS-Patienten traumatisches Material im Gehirn unterschiedlich behandeln, je nachdem, in welchem Persönlichkeitszustand sie sich gerade befinden. Elf Patientinnen waren an dem Versuch beteiligt. Alle konnten mit Hilfe eines Therapeuten zwischen ihren beiden Persönlichkeitszuständen wechseln. Die eine Persönlichkeit erinnerte sich an traumatische Erlebnisse, über die die andere nichts wusste. Der Versuch zeigte also, dass Menschen, die an DIS leiden, verschiedene Identitäten haben, von denen jede Zugang zu unterschiedlichen Erinnerungen haben kann.«

      Das Bild der Forscherin verschwand, und es wurde dunkel im Raum, bis die Deckenlampen angeschaltet wurden und die Zuhörer dazu brachten, die Augen zusammenzukneifen. Lærke nahm die Brille ab und schaute über ihr Publikum. Roland schien es, dass sie ihn direkt anschaute. So empfanden das sicher alle in dem Raum. Das war das Kennzeichen einer routinierten Rednerin.

      »Persönlichkeitsspaltung wird gebraucht – oder missbraucht – in der Welt des Films und der Literatur. Bestimmt erinnern sich alle an Robert Louis Stevensons Novelle von 1886 über Dr. Jekyll und Mr. Hyde?«

      Das wurde wie eine Frage gesagt und wie in einer Kindersendung im Fernsehen ertönten vereinzelte bestätigende Antworten aus dem Publikum.

      »Auch Gollum aus Der Herr der Ringe hat eine ausgeprägte Persönlichkeitsstörung.« Hier lächelte Lærke, und das stand ihr.

      »Im Alltag denken wir nicht darüber nach, dass die meisten von uns rein faktisch die Identität wechseln und dass wir unterschiedliche Persönlichkeiten aufweisen in unterschiedlichen Zusammenhängen und je nachdem, mit wem wir gerade zusammen sind. Wir würden Probleme bekommen, würden wir nicht die Elternrolle ablegen, wenn wir mit Kollegen und Freunden zusammen sind, und die geschäftsmäßige Rolle, wenn wir mit unseren Kindern spielen.«

      Sie trank aus einem Wasserglas, und Roland wunderte sich darüber, wie still es in dem Raum war. Niemand hustete, niemand nieste, niemand tuschelte – es war beinahe, als ob sie nicht einmal atmeten. Andere als er selbst saßen sicher nun da und dachten an ihre verschiedenen Persönlichkeiten. Doch dann schloss Lærke Bendixen mit den erlösenden Worten: »Machen Sie frei von ihren unterschiedlichen Persönlichkeiten Gebrauch. Sie sind deshalb noch nicht gleich schizophren. Viel zu viele suchen nach ihrem wahren Ich, aber wir sollten für alle unsere Persönlichkeiten dankbar sein und uns daran erinnern, sie konstruktiv zu gebrauchen, um das Beste daraus zu machen.«

      Ohne Zweifel waren dies die abschließenden Worte. Einige standen auf und Roland ärgerte sich darüber, dass sie nicht etwas früher in den Vortrag gekommen waren. Er schien interessant gewesen zu sein. Lærke Bendixen verstand es, ihr Publikum mit ihrem psychologischen

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