Gestohlene Identität - Roland Benito-Krimi 5. Inger Gammelgaard Madsen
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Читать онлайн книгу Gestohlene Identität - Roland Benito-Krimi 5 - Inger Gammelgaard Madsen страница 8
»Können wir einen Moment mit Ihnen sprechen?«
Lærke schob die Papiere in ihre Tasche und schloss sie. Dann stöpselte sie den Projektor aus und rollte ohne Eile das Kabel auf.
»Selbstverständlich, womit kann ich Ihnen helfen?«
Die Stimme war sachlich, sie rechnete sicher damit, dass es um den Vortrag ging, der auch für die Polizei brauchbar sein könnte. Das Polizeipräsidium könnte eine Einladung bekommen haben, die in der ›Ablage P.‹ unter dem Schreibtisch gelandet war wie so vieles andere.
»Das war ein guter Vortrag. Was bedeutet DIS eigentlich?«
Lærke sah sie lächelnd an, während sie fortfuhr, das Kabel aufzurollen.
»Sie waren sicher nicht von Anfang an hier. Sie waren diejenigen, die am Ende des Vortrags gekommen sind, richtig?«
Isabella nickte.
»DIS ist eine Abkürzung für Dissoziative Identitätsstörung, englisch DID, Dissociative Identity Disorder.«
Sie legte das Kabel zu dem Projektor auf einem Rolltisch. Es war kein Equipment der modernen, drahtlosen Art.
»Ich hoffe, Sie konnten mit dem, was Sie gehört haben, etwas anfangen. Es wäre sehr nützlich, wenn die Polizei mehr über dieses Leiden wüsste.«
»Und Ihre Freundin, Sara Dupont, ist ihre Diagnose auch DIS?«, fragte Roland geradeheraus.
Lærke Bendixen erstarrte fast unmerklich.
»Nein, Sara leidet nicht an DID. Geht es um sie? Es ist doch wohl nichts passiert?«
»Sara ist gestern Abend aus der Gerichtspsychiatrie geflohen. Bevor sie verschwunden ist, hat sie einer Krankenschwester den Kopf zertrümmert.« Isabella konnte sich auch kurz fassen.
Jetzt verhärtete sich Lærkes Haltung sichtlich, während sie mehrmals den Kopf schüttelte. »Nein, das kann nicht sein. Sara ist keine Mörderin!«
»Sie sind vielleicht auch der Meinung, dass sie nicht am Mord ihres Sohnes schuld ist?«
»Doch, aber … nein, anfangs nicht. Es konnte einfach nicht sein, aber dann kamen ja die Beweise ans Licht, sodass wir …« Sie geriet ins Stocken und starrte hinauf an die leere, weiße Projektor-Leinwand.
»Haben Sie nicht versucht, Sara zu helfen? Als Psychotherapeutin, meine ich«, fragte Isabella.
»Doch, doch. Natürlich habe ich das, aber ich kann nicht mit ihr über das, was passiert ist, reden. Ich bin sicher auch viel zu dicht dran, wir kennen uns seit dem Gymnasium. Aber sie bleibt dabei, die Schuld auf alle anderen zu schieben und will keine Verantwortung für ihre Handlungen übernehmen. Das ist eine schwierige Situation, die bessere professionelle Behandlung erfordert, als ich sie als Therapeutin geben kann. Die sie in der Gerichtspsychiatrie bekommen hat. Ist sie wirklich geflohen …?«
»Wann haben Sie sie zuletzt gesehen?«
»Ähm, das ist sehr lange her, sicher einen Monat. Ich war in letzter Zeit so mit Vorträgen beschäftigt, daher …«
»Wie ist denn Ihre Einschätzung ihres Zustandes? Wie war sie, als Sie sie vor einem Monat gesehen haben?«
»Das ist schwer zu sagen … aufgrund der Medikamente war sie sehr umnebelt und es war sehr schwierig, sich mit ihr zu unterhalten. Sie müssen die Dosis wohl verringert haben, da sie ja flüchten konnte, und …« Gedankenvoll geriet sie wieder ins Stocken. Plötzlich wirkte sie unsicher und war nicht länger die eloquente Referentin, der sie gerade gelauscht hatten. Auch sie jonglierte offenbar mit mehreren Identitäten.
»Ihre Einschätzung ist also, dass sie ansonsten außerstande gewesen wäre auszubrechen?«
»Ja, das meine ich – ganz bestimmt. Es sei denn, ihr wurde dabei geholfen …«
»Und wer, glauben Sie, hätte ihr helfen sollen?« Isabella steckte die Hände in die Jackentasche. »Sie vielleicht?«
Lærke sah schnell zu ihr. »Ich? Warum in aller Welt hätte ich ihr raushelfen sollen, wenn ich finde, dass sie genau die richtige Hilfe bekommt, dort wo sie ist … war. Ich finde, es ist schrecklich, dass sie nun ohne Behandlung ist.«
Roland glaubte ihr; der überrumpelte Ausdruck war echt. Sie richteten alle drei die Aufmerksamkeit auf die Tür, als sie lautlos geschlossen wurde, aber nicht lautlos genug. Jemand hatte gerade den Raum verlassen.
4
Anne Larsen rutschte auf dem Stuhl unwillkürlich ein kleines Stückchen tiefer, als sie sah, wer durch die Tür gekommen war, obwohl sie deutlich versuchten, das unbemerkt zu tun; es waren Kommissar Roland Benito und die Beamtin. Sie erinnerte sich nicht an den Namen der jungen Blonden mit Pferdeschwanz, die nun so oft anstelle des Kriminalbeamten Mikkel Jensen der Partner des Kriminalkommissars war, dass es sehr verdächtig wirkte. Würde sie Roland nicht so gut kennen und nicht zuletzt seine liebevolle Ehrerbietung gegenüber seiner Frau, hätte sie glatt auf den Gedanken kommen können, dass zwischen ihnen etwas lief. Sie setzten sich auch ziemlich dicht zusammen, ahnte sie, auch wenn es halbdunkel war. Und das, obwohl die Beamtin mit Mikkel Jensen zusammenwohnte. Auch im Polizeipräsidium gab es Schmutz und Intrigen. Sie hatte überhaupt kein Gefühl mehr dafür, was dort vor sich ging. Nicht, seit sie ihren Job als Kriminalreporterin verloren hatte, als das Tageblatt aufgrund finanzieller Schwierigkeiten schließen musste wie so viele andere kleine lokale Zeitungsredaktionen. Damit verlor sie auch ihren Zugang zu Roland Benitos kleinem, unaufgeräumtem Büro. Aber vielleicht änderte sich das jetzt, wo sie in vollem Gange war, auf Freelancebasis etwas zusammen mit ihrem früheren Praktikanten Nicolaj zu starten. Deswegen war sie hier. Nach dem Putzjob, den sie leider immer noch beibehalten musste, um die Miete bezahlen zu können, hatte Nicolaj sie zu dem Vortrag im Scandinavian Congress Center geschickt, obwohl sie an einem anderen Artikel über die illegale Zucht von Kampfhunden arbeitete. Der Vortrag handelte von Persönlichkeitsspaltung und wie Verbrecher die Diagnose gebrauchen könnten, um das Strafmaß zu verringern. Nicolaj hatte sie geschickt, weil sie sich weigerte, an solche Krankheiten zu glauben. Sie hatten darüber diskutiert, als er ihr von dem Vortrag erzählte. »Wir haben nur eine Persönlichkeit, und die haben wir durch Gene, Erziehung und Umwelt. Wir schaffen sie selbst im Laufe des Lebens«, hatte sie gesagt. Aber nun sah sie, dass der Vortrag auch ihr Stoff zum Nachdenken und für die Arbeit als Kriminalreporterin gab. Ein Wissen, das nützlich werden könnte. Es freute sie, dass Nicolaj darauf bestanden hatte, sie teilnehmen zu lassen. Redakteur Thygesen beim Tageblatt hatte sie nie zu Vorträgen oder Kursen geschickt. Das sei nur Zeitverschwendung, meinte er. Vielleicht existierte die Redaktion deswegen nicht mehr. Sie waren einfach nicht ehrgeizig genug gewesen. Hatten den Finger nicht am Puls der Zeit gehabt.
Sie setzte sich in die hinterste Reihe. Der Kriminalkommissar saß ganz vorne an der Tür am anderen Ende der gleichen Reihe, sodass er sich hätte vorbeugen und die Reihe entlang schauen müssen, um sie zu entdecken. Sie freute sich insgeheim darüber, nicht besonders groß zu sein, sodass sie sich gut verstecken konnte. Wenn der Beamte sie sähe, würden sie ihr Anliegen hier sicher verschieben, selbst wenn Roland natürlich nicht das Geringste von ihrer Zusammenarbeit mit Nicolaj und davon, dass sie vielleicht wieder auf dem Weg in die Branche war, ahnte. Er glaubte sicher, dass sein Quälgeist für immer weg war und zur Putzfrau verdammt. Aber was machten