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Ihr habt Euch vergangen!« stößt der Garde mit einem Blick hervor, als wolle er sich auf ihn stürzen.

      Der Presi röchelte. Plötzlich schoß er auf und faustete. Dann sank er entkräftet auf einen Stuhl – ächzte – und nach einer Weile stöhnte er wirr: »Jetzt ist es klar. – Fränzi – das hat mich immer gewundert, wohin das Kind an jenem Morgen aus meiner Stube verschwunden ist. – – Bini – Bini. – – Seppi Blatter – Fränzi – ihr seid grausam gegen mich!«

      Der Presi schwieg, nur die Lippen zitterten. Erst als seine Wut in eine weinerliche Wehmut überging, die dem gewaltigen Mann fast komisch stand, sagte der Garde feierlich: »Ich will Euch eine Geschichte erzählen, ich habe sie von Fränzi.«

      Der Presi krümmte sich unter dem Namen.

      »Hört, Presi! Auf der Burg zu Hospel saß ein Ritter. Seine Tochter liebte einen Knappen. Zornig darüber ließ der Vater den Jüngling über den Felsen, auf dem die Burg stand, werfen, die Jungfrau aber stürzte sich aus Verzweiflung in den Strom. Bald darauf machte der Ritter eine Bußfahrt nach Rom. Als er über den Gletscher kam, da standen im Eis weit voneinander die armen Seelen der Liebenden. Sein Töchterlein lächelte. Da fragte der Ritter: ›Warum lächelst du, Kind, während du doch so frierst?‹ Sie antwortete: ›O Vater, siehst du nicht, daß ich und mein Liebster bald beisammen sind?‹ Er sah zwischen ihnen nur das weite harte Eis. Als er aber nach drei Jahren zurückkehrte, da waren die armen Seelen einander so nahe gekommen, daß sie sich mit den Händen erreichten. Bestürzt darüber, daß das Eis barmherziger war als er und nachgab, bereute er seine Härte bitterlich. Da hörte er eines Tages eine Stimme vom Berg: ›Vater, trauere nicht mehr!‹ Da wußte er, daß die große Liebe das Eis ganz überwunden hatte und die armen Seelen dicht beisammen standen.«

      »Wozu das?« fragte der Presi dumpf. »An die armen Seelen glaube ich nicht!«

      »So – meinetwegen – aber glaubt Ihr, Ihr seid stärker als der Ritter von Hospel? – Ihr seid stärker als der Gletscher?«

      Der Presi stöhnte.

      »Josi und Binia,« fuhr der Garde mit getragener Stimme fort, »es giebt kein schöneres Paar im Glotterthale, aber auch nicht zwei so wilde Herzen wie sie.«

      »Ich mag aber nicht der Narr sein im Spiel,« stöhnte der Presi in wehem Zorn, – »ich will nicht, daß mein Kind nur so über mich hinwegschreitet. – Das verzeihe ich Bini nie!«

      »O Presi, das Verzeihen werdet Ihr schon lernen. Ich an Eurer Stelle würde auf ein schönes Alter denken. Wenn Ihr aber den Kopf zu stark setzt, so seht zu! Dann kommt der Tag, wo Ihr auf den Knieen zur Lieben Frau an der Brücke rutschen würdet, wenn Ihr Bini nur Josi geben könntet und sie friedlich wüßtet. Gönnt ihnen beizeiten ein grünes Plätzchen zum Glück, sonst steigen auch sie auf die Berge und halten dort oben wie der Knappe und das Fräulein Hochzeit als schuldige Seelen.«

      »Ihr meint an den Weißen Brettern!«

      Der Presi sprach es mit stieren Augen. Er zitterte und sein Gesicht hatte sich verzerrt.

      »Was sagt Ihr?« fragte der Garde überrascht.

      »O Garde – es ist nur ein schrecklicher Traum, aber er ängstigt mich. Ich habe Binia mit blutendem Haupt neben dem jungen Blatter an den Weißen Brettern gesehen.«

      »Herrgott im Himmel, was sagt Ihr, Presi? Das herrliche Kind, wie nicht alle hundert Jahre eins im Berglande wächst, stand blutend an den Weißen Brettern?«

      »Ja, mein Kind, meine Bini, die ich so unendlich liebe und dies mich so elend macht.«

      Und die Wehmut überwog den Zorn.

      »Presi! Träume sind Schäume, sagt man, der Traum aber kommt aus dem Gewissen – es steht böse darin – macht Ordnung – an Seppi Blatter, an Fränzi habt Ihr es verbrochen – macht es am Sohn gut – spürt Ihr nicht, wie das Schicksal Josis und Binias Zug um Zug über Euch ist. – Merkt Ihr es nicht, Presi? – Macht Ordnung!«

      Wie Hammerschläge fallen die Worte des Garden auf die Brust des Presi. Er bebt, er schwitzt.

      »Wohl, ich merk' es – ich merk' es, Garde, sonst hätte mir das meine Binia nicht angethan – ich hätte den Josi Blatter nicht nach Indien gehen lassen sollen. – O Garde! – Mir ist, ich könnte ihn lieb haben.«

      Wie aus gebrochenem Leib stöhnte es der Presi.

      Schon glaubte der Garde ihn gewonnen zu haben. Da trat Frau Cresenz in die Stube und wischte die Scheiben des zerschmetterten Glases zusammen. Ohne daß sie recht wußte, was vorgefallen war, jammerte sie: »Das Kind ist halt ganz der Vater, das kann man nicht ändern, das sind zwei harte Köpfe.« Und dann wandte sie sich an den Presi und tröstete ihn mit fraulicher Milde, aber mit Worten, die nicht tief geholt waren und nicht tief gingen.

      Der Garde hätte viel darum gegeben, die Frau wäre nicht gekommen oder wenigstens rasch wieder gegangen, als sie aber blieb, da wurde er über die Störung wild und ging selbst.

      »Sie ist eine wohlmeinende und rechtschaffene Frau, aber das Weib, die Mutter von unergründlich tiefem Herzen, das an diesen Posten gehört, ist sie nicht.«

      So knurrte er, als er über die steinerne Treppe hinunterschritt.

      Als er am anderen Tag mit dem Presi reden wollte, war dieser hart wie Glas, die beiden gewaltigen Männer, die sich sonst so gut verstanden hatten, überwarfen sich und der Verkehr von Haus zu Haus hörte auf. Nur Vroni und Binia sahen sich noch zuweilen.

      »Bini ist eine Spinnerin geworden!«

      So sagten die Leute von St. Peter und streckten dabei den Zeigefinger gegen die Stirn. Man munkelte, sie sei im Kloster Madonna del Lago mißhandelt worden. Um den bösen Segen, den sie und Josi von Kaplan Johannes empfangen haben, zu vertreiben, hätten ihr die Nonnen jede Nacht unter Gebet so viel Wasser, Tropfen um Tropfen, auf das Haupt gespritzt, daß mit dem bösen Segen auch ein Stück guter Seele von ihr gewichen sei. Und das suche und suche sie in Gedanken.

      Die thörichten Leute! Binia war allerdings, nachdem sie aus dem Kloster gekommen, eine Weile blaß und wankte wie ein Schatten einher, aber nicht die Nonnen hatten sie, den lustigen Wildling von ehemals, zu der Schweigerin gemacht, die, wieviel in ihr lebte, der Welt nichts als die großen dunklen Augen wies.

      Ein einziges, gräßliches Wort des Vaters!

      Und jetzt warb er nicht um sie wie einst – er setzte sich nicht an ihr Bett, er flüsterte nicht: »Meine Maus – mein Gemslein.« Er sagte nicht: »Du lieber, lieber Vogel.« Jetzt war auch keine Fränzi mehr da, die ihr zu mitternächtiger Stunde das wirre Köpfchen zurechtsetzte.

      Droben in ihrem Kämmerlein schluchzte sie: »Mutter – liebe tote Mutter: Es ist schrecklich – wie mich der Vater verachtet. – Und er ist doch so ein herrlicher Mann. – Und Josi muß ich halt lieben.«

      Manchmal wußte sie nicht, war es die Empörung gegen den Vater, war es die Liebe zu ihm, die stärker in ihr wüteten. Ein Blick – ein herzliches Wort – sie wäre jubelnd an seine Brust geeilt. Aber sein Ton blieb kalt wie das Eis der Gletscher, sein sonnenhelles Auge wurde, sobald er sie erblickte, lauernd und mißgünstig. Und das entsetzliche Wort, das er ihr entgegengeschleudert – das saß!

      Allein es ist nun wunderbar! In einem jungen Herzen kann die Hoffnung nie sterben. Dazu muß der Mensch alt sein

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