MATTHEW CORBETT in den Fängen des Kraken. Robert Mccammon
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу MATTHEW CORBETT in den Fängen des Kraken - Robert Mccammon страница 19
»Es freut mich, dich zu sehen«, sagte Matthew und meinte jedes Wort. Er musterte sie kurz und sah, dass sie sich entschieden hatte, ihr Äußeres ein wenig zu verändern, indem sie die kleinen Metallringe, die ihre Unterlippe und den rechten Nasenflügel verziert hatten, entfernt hatte. Sie war klein, schlank und drahtig, und als Matthew sie kennengelernt hatte, war sie vor was man als unanständige Gelüste bezeichnen konnte fast aus den Schuhen gesprungen. Jetzt trug sie ihre kohlschwarzen Haare zurückgekämmt und mit einem braven Schildpattkamm verziert. Ihre blauen Augen, die so darauf aus gewesen waren, Matthew im Paradies zu einem Stelldichein hinter die Kirche in den Wald zu locken, wurden von nachhaltigen Zweifeln überschattet – daran, ob sie hier oder in der Stone Street 7 willkommen war, nahm Matthew an. Sie trug ein graues Kleid mit weißem Kragen, nicht unähnlich ihrer Uniform im Paradies. Dies warf in Matthew die Frage auf, ob sie den Goldring und roten Stein überhaupt für Geld eingetauscht hatte. Er wollte sie gerade danach fragen, als die Hölle losbrach.
Oder zumindest ein kleiner Teil der Hölle, der sich auf den angrenzenden Raum beschränkte, denn im nächsten Moment ertönte ein gewaltiges Krachen, das Geräusch von zerbrechendem Glas und ein Männer- und Frauenchor überraschter Aufschreie. Matthews erster Gedanke war, dass der Fußboden eingebrochen war oder dass eine Kanonenkugel in die Decke eingeschlagen hatte.
Er stürzte an Opal vorbei, um zu sehen, was geschehen war, und sie folgte dicht hinter ihm.
Die Bohlen waren noch intakt und keine Kanonenkugel war aus der Nacht geflogen gekommen, aber etwas Schreckliches war definitiv passiert. Der Tisch, auf dem die edle Glasschale mit dem Apfelmost, die Keramiktassen und Indianerblutteller mit dem Zuckerkuchen gestanden hatten, war einfach wie ein Pferd mit gebrochenem Bein umgestürzt. Apfelmost rann wie ein Hochwasser führender Bach über den Fußboden. Der Zuckerkuchen würde unter den Füßen sowohl der Ladys als auch der Gentlemen zertreten. Überall waren Glas und zerbrochenes Geschirr. Chaos herrschte.
»Ich schwöre es!«, wurde die gepeinigte Stimme von Effrem Owles laut. »Ich hab mich kaum auf den Tisch gestützt! So gut wie gar nicht!«
Matthew sah Berry neben Effrem stehen und bis unter die Haarwurzeln erröten. Ihre Augen hatten sich angesichts der Situation verdunkelt. Er wusste, was sie dachte: Es lag an ihrem Pech, das schon so viele ihrer Verehrer so vieles gekostet hatte und ihr Leben auch sonst durch eine Serie unglücklicher Zufälle kompliziert gestaltete. Ihr Pech war erwacht und hatte – wie Mr. Vincents Handschuh – einen Schlag auf den Kopf des armen, unschuldigen Effrem ausgeteilt. Und was für einen Schlag! Für jemanden, der meistens äußerst schüchtern war und nie im Mittelpunkt stehen wollte, war dies wahrlich Effrems Albtraum. Und wo er doch versuchte, Berry zu beeindrucken! Matthew tat dieser Gedanke im Herzen weh und der Anblick noch mehr.
»Es macht nichts! Wir richten es wieder!«, sagte Sally Almond, die bereits eine Magd anwies, ein Wischtuch zu bringen.
Aber Matthew sah, wie Effrem hinter seinen Brillengläsern vor Scham die Tränen in die Augen stiegen. Er wollte einen Schritt auf seinen Freund zugehen und ihm eine tröstende Hand auf die Schulter legen, wurde aber fast von Opal Delilah Blackerby beiseite gestoßen, die in die Apfelmostströme trat, sich auf den Boden kniete und die zerbrochenen Glasstücke in ihre Schürze zu sammeln begann.
»Opal!«, sagte Matthew und stieß sich zu ihr durch. »Was machst du da?«
Sie sah zu ihm auf und dann zu Sally Almond, die sie ebenso erstaunt anstarrte. Opal stand auf, die Glasscherben auf ihrem Rock umklammernd. Ihre Augen hatten einen benommenen Ausdruck, als hätte sie einen Moment lang vergessen, wo sie war. »Oh!«, sagte sie zu Matthew. »Verzeiht! Ich wollte nur … ich meine … ich bin es so gewohnt, sauberzumachen … ich wollte nur … das ist halt, was ich tue, versteht Ihr?«
»Ihr seid ein Gast hier«, sagte Sally. »Und keine Magd.«
»Jawohl, Ma’am.« Opal runzelte verwirrt die Stirn. »Entschuldigt, aber … ich glaube, ich weiß nicht, wie man ein Gast ist.« Sie hielt immer noch die Vorderseite ihres Kleides mit den Glasstücken hoch, und als die Scheuermagd kam, um den verschütteten Most mit einem Stapel Tücher aufzuwischen, streckte Opal die Hand aus, um eins davon zu nehmen. Überrascht wich das Mädchen ihr aus.
»Opal!«, sagte Matthew und packte sie am Ellbogen. »Niemand erwartet von dir, dass du für jemand anderes saubermachst. Komm, wir stehen im Weg.«
»Aber … Matthew«, sagte sie. »Das ist, was ich arbeite. Auch grad erst gestern, in ‘ner Schänke an der Poststraße. Ich meine … was anderes hab ich noch nie gearbeitet. Oh«, machte sie und blickte auf die Finger ihrer rechten Hand. Sie bluteten. »Ich muss mich wohl ’n bisschen geschnitten haben.«
Matthew zog sofort sein Taschentuch heraus. Aber er war nicht schnell genug.
»Hier, Miss! Lasst mich mal sehen!«
Und Matthew wurde Zeuge eines ganz und gar unerwarteten Ereignisses. Als Opal Delilah Blackerbys blaue Augen in die braunen Augen von Effrem Owles schauten, konnte man fast ein deutliches Plopp hören wie das eines Kiefernzapfens, der im heißen Kaminfeuer aufplatzt. Matthew war überzeugt davon, dass Effrem nur als ein Gentleman wie üblich handelte und sich vielleicht auch die Schuld dafür gab, dass dieses Mädchen sich geschnitten hatte – aber in diesem Sekundenbruchteil geschah noch etwas anderes. In diesem Sekundenbruchteil fand ein Austausch statt, vielleicht ein gegenseitiges Erkennen, irgendetwas … Es war ein durchschlagender, mächtiger Sekundenbruchteil, und Matthew sah, wie das Mädchen, das nichts anderes kannte, als sauberzumachen, und das schon so lange nach ein bisschen Wärme suchte, mit den Wimpern klimperte. Und der schüchterne Sohn des Schneiders, der gern Schach spielte und einem anderen Herzen so verzweifelt gern etwas bedeuten wollte, bekam leicht rote Wangen und musste von ihr wegschauen. Aber sie reichte ihm ihre Hand. Er nahm sie, und als er sein Taschentuch auf die Verletzung presste, lenkte er seinen Blick wieder auf ihren und Matthew sah ihn lächeln – nur ein kleines, schüchternes Lächeln. »Das wird schon wieder«, sagte Effrem.
»Ist nichts weiter«, antwortete Opal, aber sie entzog ihm ihre Hand nicht. Matthew sah zu Berry hinüber, die diesen kleinen Austausch auch bemerkt hatte. Sie nickte fast unmerklich, als wollte sie sagen: Ja, aber vielleicht ist es doch etwas.
Und in diesem Moment spürte Matthew die Welt erzittern.
Oder, um genauer zu sein, den Fußboden. Matthew war nicht der Einzige, der es merkte, denn Gespräche stockten und Berry blinzelte überrascht, weil sie es ebenso gespürt hatte. Nach dem Beben knurrten die Planken wie alte braune Löwen, die aus dem Schlaf geschreckt worden waren. Dann flog die Tür der Schänke auf und das weiße Gesicht von Gilliam Vincent schrie unter der schiefen gelben Perücke und aus seinem schwarzen Mantel schmerzerfüllt: »Das Dock House Inn ist in die Luft gegangen!«
Im großen Gedränge, auf die Nassau Street hinauszugelangen, wurde die Etikette vernachlässigt und das Tanzen war vergessen. Matthew lief inmitten der Menschenmenge zur Tür hinaus und fand sich neben John Five und dessen Braut Constance wieder. Berry wurde gegen Matthews Seite geschubst, als sie alle in Richtung Hafen auf die Rauchwolken und Flammenexplosionen starrten, die hoch in die Nacht schlugen.
»Oh, Jesus!«, schrie Gilliam Vincent. Er begann die Nassau Street in Richtung Süden hinunter auf den Brand zuzulaufen, der vielleicht neun Querstraßen weit entfernt war. Matthew sah Vincents Perücke zu Boden fallen und eine bleiche Glatze entblößen, auf der ein paar vereinzelte graue Haarsträußchen kerzengerade wie ins Mark erschütterte Soldaten auf einem leeren Schlachtfeld standen. Trotz seiner Eitelkeit war Vincent seine Perücke nicht so wichtig wie das Schicksal seines geliebten Dock House Inn, wo er