Abgerutscht. Marliese Arold

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Abgerutscht - Marliese Arold

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zu früh. Auch das noch. Als wäre nicht schon so alles kompliziert genug. Sie wühlte im Seitenfach ihres Rucksacks. Hatte sie dort nicht noch schnell einen Tampon hineingestopft, für alle Fälle?

      Sie fand ihn. Nachdem Nina die Kabine verlassen hatte, verbrachte sie einige Minuten vor dem Spiegel. Sie musterte sich intensiv.

      Große braune Augen, dunkelblondes langes Haar, das ihr locker über die Schultern fiel. Ein schmales Gesicht, eine kleine Nase, ein geschwungener Mund mit vollen Lippen, dahinter makellose Zähne.

      Mit ihrem Aussehen hatte sie nie Probleme gehabt. Sie brauchte dringend einen guten Friseur. Das würde hier in Hamburg sicher nicht schwer sein. Nina hatte alles Geld von ihrem Konto abgehoben. Zusammen mit dem Geburtstagsgeld von ihrer Oma waren es fast fünfhundert Euro. So viel hatte sie noch nie auf einmal in der Tasche gehabt. Ein Teil davon war allerdings schon für die Fahrkarte draufgegangen. Aber fürs Erste würde sie damit über die Runden kommen.

      Nina warf die Haare zurück und lächelte ihrem Spiegelbild zu.

      Ich hab’s geschafft, Leute, ich bin abgehauen. Ich werd auch den Rest schaffen. Bald hab ich eine tolle Wohnung und einen Superjob. Ab jetzt fang ich richtig an zu leben.

      Sie zog ihre Lippen nach, sammelte ihr Gepäck zusammen und verließ die Toilette. Gerade rechtzeitig, um den blonden Typen noch zu sehen, der eben mit einem zweiten Mann das Lokal verließ.

      Also war er tatsächlich zurückgekommen!

      Sie rannte ihm nach und fing ihn vor der Rolltreppe ab.

      „Hey, wart mal, Mann!“

      „Ach, da bist du ja“, meinte der Blonde. Er deutete auf seinen Begleiter. „Hughi kennt eine Adresse.“

      Hughi nannte eine Straße und Hausnummer. „Frag nach Klaus oder Eileen.“ Während er ihr noch umständlich erklärte, wie sie am besten hinkäme, zupfte der Blonde ihn am Ärmel. „Achtung, dort drüben sind Bullen.“

      Im Nu tauchten die beiden im Gewimmel unter.

      Nina nahm ihr Gepäck wieder auf. Sie war auch nicht sonderlich erpicht darauf, den Polizisten in die Arme zu laufen. Ob ihr Suchbild und ihre Personenbeschreibung schon überall durchgegeben worden waren?

      Verdammtes Herzklopfen!

      So harmlos wie möglich schlenderte sie weiter. Ein junges Mädchen auf Reisen, weiter nichts.

      Die Polizisten nahmen keine Notiz von Nina Reinhardt.

      2

      Fremde Gesichter, fremde Namen.

      Jungfernstieg, Gänsemarkt, Messehallen …

      Bei der nächsten Station musste Nina umsteigen. Das Gepäck war allmählich lästig, Schultern und Arme schmerzten vom Tragen. Zum Glück kam die U-Bahn, ohne dass sie lange warten musste. Noch ein paar Stationen, dann war sie dort.

      Was für eine Unterkunft das wohl sein würde?

      Ein leer stehendes Haus, besetzt von jungen Leuten? Vielleicht waren Strom und Wasser abgestellt?

      Sei’s drum, dachte Nina. Eine Nacht ohne Dusche würde sie nicht umbringen. Sie hätte sich nach der langen Reise zwar ganz gerne frisch gemacht, aber es würde auch so gehen.

      Sie tastete nach dem kleinen Lederbeutel, den sie zwischen ihren Brüsten trug. In dem Beutel war der Großteil ihres Geldes. Wenn jemand versuchte, sie zu beklauen, würde sie es merken.

      An der Haltestelle, die Hughi ihr genannt hatte, stieg sie aus und verließ die Station. Jetzt nach rechts oder nach links? Sie konnte sich nicht mehr erinnern.

      Aufs Geratewohl ging sie nach links. Nach zwei Querstraßen stieß sie auf die gesuchte Straße. Sie gratulierte sich zu ihrem Orientierungsvermögen. Auch die Hausnummer war schnell gefunden. Sie gehörte zu einem alten Haus, hoch und düster. Die Wände waren mit Graffiti besprüht. Es gab weder ein Türschild noch eine Klingel, nur ein paar schwarze Drähte hingen aus der Wand. Die Haustür war nicht abgeschlossen und gab beim Drücken nach.

      Sie betrat einen dunklen Flur. Es roch modrig. Nina erinnerte sich an ihr helles, sonniges Zimmer und verdrängte schnell das Bild. Wenn es zu schlimm war, konnte sie noch immer in ein Hotel gehen.

      Das Erdgeschoss war ganz offensichtlich unbewohnt. Die Holzstufen knarrten, als Nina nach oben stieg. Das Treppenhaus war eng und ständig streifte sie mit ihrem Gepäck das Geländer oder die Wand.

      Im ersten Stock gab es ein Namensschild: „E. Tender und K. Fink“.

      E. und K.? Eileen und Klaus?

      Nina drückte auf den Klingelknopf. Sie hörte, wie es drinnen läutete.

      Nichts rührte sich.

      Ausgeflogen, dachte Nina. Sie klingelte noch einmal. Davon wäre auch ein Toter wach geworden.

      Nichts.

      Nina hockte sich auf die oberste Treppenstufe.

      Fehlanzeige. Was jetzt?

      Sie könnte durch ein zerbrochenes Fenster ins Erdgeschoss steigen und dort die Nacht verbringen. Es widerstrebte ihr. Andere konnten da auch reinklettern und ihr die Kehle durchschneiden.

      Bekam sie jetzt etwa Muffensausen?

      Nina ärgerte sich über sich selbst. Sie holte einen Kaugummi aus dem Rucksack und schob ihn in den Mund.

      Ansehen kostete ja nichts. Vielleicht ließ sich ein Zimmer absperren oder sonst wie verbarrikadieren.

      Sie schulterte ihren Rucksack, griff nach ihren Taschen und stieg die Treppe wieder hinunter.

      Dann ging sie um das Haus herum.

      Die Fenster lagen hoch. Mit den Fingern konnte Nina das Sims gerade erreichen. Schade, dass sie sich so oft vor dem Sportunterricht gedrückt hatte. Jetzt ein Klimmzug und sich dann einfach nach oben hangeln …

      Nina sah sich um. Im Innenhof standen lauter kaputte Autos, eingedrückt und verbeult. Eine regelrechte Schrottparade.

      Weiter hinten entdeckte Nina eine Mülltonne. Wenn sie die herbeischaffte und unter ein Fenster rollte, dann konnte sie einsteigen …

      Eine der Rollen war kaputt, und die Tonne machte einen Heidenlärm, als Nina sie durch den Hof und zum Haus schob. Dann zog sie sich darauf hoch, stand auf dem Sims und langte durch die zerbrochene Scheibe zum Griff, um das Fenster ganz zu öffnen. Es ging nicht. Entweder war der Mechanismus kaputt oder das Fenster klemmte. Nina versuchte es einige Minuten lang, dann gab sie auf. Welcher Einbrecher stellte sich so dämlich an?

      Kurz entschlossen wickelte sie ihre Jacke um die Hand und stieß die Scheibe ganz ein. Klirrend fielen die Scherben auf den Boden und Nina konnte durch das Fenster kriechen.

      Sie sprang ins Zimmer und ging durch die Wohnung, die anscheinend schon seit längerer Zeit leer stand. Es waren große Räume mit hoher Decke. Ein ehemals weiß gekacheltes Bad, in dem die Wanne fehlte, und ein unappetitliches Klo. Nina zog probeweise

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