Abgerutscht. Marliese Arold

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Abgerutscht - Marliese Arold

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      Nina kippte den Inhalt des Lederbeutels auf die Matratze. Dann schüttete sie die Münzen ihrer Geldbörse dazu und zählte.

      Sie hatte nur noch knapp hundert Euro!

      Dabei hatte sie gar nicht viel gekauft. Spannlaken, Bettbezug, eine Decke zum Schlafen, Farbe fürs Zimmer, ein paar Lebensmittel und einige Artikel zur Körperpflege. Gestern Abend hatte sie Klaus noch die Miete für einen Monat im Voraus bezahlt.

      Hätte sie sich bloß den Friseurbesuch verkniffen! Aber sie hatte nicht widerstehen können. Und mit dem Ergebnis war sie sehr zufrieden.

      Ihre Haare kräuselten und lockten sich, es war eine Pracht. Genau, wie sie es sich gewünscht hatte. Sie erkannte sich im Spiegel kaum wieder. Das hätte der Friseur zu Hause nie geschafft.

      Nein, die Ausgabe hatte sich gelohnt, selbst wenn in ihrer Kasse nun schon fast Ebbe war.

      Sie musste sich eben so bald wie möglich einen Job suchen.

      Aber zuerst wollte sie das Zimmer renovieren, selbst wenn sie nur kurze Zeit hier wohnen sollte. Sie mochte keine provisorischen Lösungen. So ein lausiges Loch drückte aufs Gemüt und das konnte sie nicht gebrauchen. Wenn schon, dann wollte sie sich wohlfühlen.

      Sie ging in die Küche, um sich Tee zu kochen. Weil sie noch kein eigenes Geschirr hatte, benutzte sie einen Kochtopf und eine Tasse, die auf der Anrichte herumstanden. Die Küche war groß und hätte ganz gemütlich sein können, wären da nicht die dunkelgrünen Schränke und Kästen gewesen. Die waren so wuchtig, dass man sich fast von ihnen erschlagen fühlte.

      Nina hockte sich an den Küchentisch, trank ihren Tee und aß ein paar Kekse, die sie am Vormittag gekauft hatte.

      Im Nebenzimmer rührte sich etwas. Nina stutzte. Sie hatte geglaubt, dass sie allein in der Wohnung sei. Wenig später kam Eileen in die Küche. Sie trug einen Schlafanzug, darüber einen Kimono.

      „Hallo! Wie nett, dass ich heute nicht allein frühstücken muss.“ Sie gähnte und fing an, am Herd zu hantieren.

      Eileen war ungefähr Ende zwanzig. Nina hatte sie am Abend zuvor kurz kennengelernt und sie gefiel ihr sofort. Eileen war klein und zierlich, hatte schwarzes Haar, dunkle Augen und einen getönten Teint. Nina fand, dass sie irgendwie exotisch aussah.

      „Ich hab einfach irgendeine Tasse genommen“, sagte Nina. „Hoffentlich stört’s dich nicht. Im Topf ist noch Malventee.“

      „Ich brauch jetzt erst einen richtigen Kaffee“, antwortete Eileen, musste wieder gähnen und lachte. „Sonst werde ich heute überhaupt nicht mehr wach.“ Sie deutete auf die Wanduhr. „Es ist ja schon gleich eins. Aber heute Nacht ist es wieder mal verdammt spät geworden. Die letzten Gäste wollten einfach nicht gehen.“

      Nina erfuhr, dass Eileen als Bedienung in der Alsterjungfer arbeitete.

      „Und du?“, fragte Eileen. „Hast du gut geschlafen?“

      „Es geht“, wich Nina aus.

      Sie hatte fast die ganze Nacht kein Auge zugetan, so schlimm waren ihre Periodenschmerzen gewesen. Außerdem war ihr alles Mögliche durch den Kopf gegangen, lauter düstere Gedanken. Hatten ihre Eltern inzwischen die Polizei benachrichtigt? Würde man die Suche bis nach Norddeutschland ausdehnen? Und was, wenn man sie finden würde? Wie sollte bloß alles weitergehen?

      Nina war froh gewesen, als es endlich hell geworden war und sie aufstehen konnte.

      „Ich hab mir Farbe gekauft“, erzählte sie nun. „Ich will mein Zimmer streichen.“

      „Und beim Friseur bist du auch gewesen“, stellte Eileen fest. „Die Locken hast du gestern noch nicht gehabt. Du siehst toll damit aus, wirklich!“

      „Danke.“ Die Bestätigung tat ihr gut.

      Unwillkürlich wanderten Ninas Gedanken zu Steffen zurück.

      Dieses Schwein!

      Während sie mit ihren Eltern im Urlaub gewesen war – natürlich Mallorca, wie jedes Jahr! –, hatte er mit Daniela geschlafen. Nicht nur einmal, sondern öfter. Und hinterher hatte er sich eingebildet, mit Nina und ihm sei alles okay.

      Nie wieder würde sie auf so einen Typen reinfallen, das hatte sie sich geschworen.

      „Was nicht in Ordnung?“, fragte Eileen, der Ninas finstere Miene nicht entgangen war.

      Nina zwang sich zu einem Lächeln. „Doch, alles okay. Habt ihr alte Zeitungen? Ich brauch was zum Abdecken, wenn ich streiche. Ich hab zwar feste Farbe gekauft, aber das tropft manchmal trotzdem.“

      Sie bekam von Eileen nicht nur einen Stoß Zeitungen, sondern auch noch Lappen, Putzmittel und einen Eimer.

      „Hast du das schon mal gemacht?“, fragte Eileen.

      „Ich hab mal einer Freundin geholfen“, antwortete Nina und versuchte mühsam, den Deckel vom Farbbehälter abzuziehen.

      „Du bist zu Hause abgehauen, wie?“

      Es traf Nina wie ein Schlag, als Eileen ihr das auf den Kopf zusagte. Sie wurde blass.

      „Wie kommst du denn auf die Idee?“

      „Weil ich mit sechzehn selbst abgehauen bin, darum.“

      Nina strich sich die Haare aus der Stirn. Jetzt störte sie das ungewohnte Gekräusel. War ja auch hirnrissig! Sie hätte erst nach dem Streichen zum Friseur gehen sollen. Aber alles genau zu planen, war eben nicht ihre Art.

      „Na gut“, sagte sie ruppig. „Schön, ich bin abgehauen. Macht’s dir was aus? Die Miete hab ich schon für einen Monat bezahlt, also bleibe ich auch.“

      Eileen legte ihr kurz die Hand auf die Schulter. „Ich hab’s nicht so gemeint, wirklich. Ich bin damals von zu Hause fort, weil ich schwanger war.“

      Nina beruhigte sich. „Schwanger bin ich nicht.“ Das hätte gerade noch gefehlt! Ein Kind von Steffen!

      „Ich hatte eine Fehlgeburt im siebten Monat“, erzählte Eileen weiter. „Kurz darauf hab ich mich auch mit meinem Freund zerstritten und es ging auseinander. Damals kam ich mir vor wie der einsamste Mensch auf der Welt. Das Schrecklichste war, dass ich niemanden hatte, mit dem ich über all die Sachen sprechen konnte. Manchmal frage ich mich, ob es anders gekommen wäre, wenn das Baby gelebt hätte.“ Eileen zuckte mit den Schultern.

      „Das war bestimmt schlimm für dich“, sagte Nina mitfühlend.

      „Na ja, ich hab mich irgendwie über Wasser gehalten. Ich hab dann auch bald wieder einen Freund gehabt, das heißt, eigentlich waren es mehrere. Es ging immer nur ein paar Monate lang. Dann hab ich mich wieder total verliebt …“ Über Eileens Gesicht huschte ein Schatten. „Das war die nächste Katastrophe.“

      „Warum?“

      „Ach, das erzähl ich dir lieber ein andermal. Jetzt hab ich schon genug geredet und du willst ja anfangen.“ Eileen deutete auf die Wand, von der Nina schon den Tisch weggerückt

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