Nebelrache. Nancy Farmer

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Nebelrache - Nancy  Farmer

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Die übrigen waren an Kälte und Nässe gestorben; etliche krochen über den Boden oder zappelten schwach im Schlamm herum. Mutter hatte in der Nähe ein Feuer entzündet – nicht zu nah, weil auch Rauch den Tieren schadete – und hatte mit Honig bestrichene Brotstücke ausgelegt. Die Insekten drängten sich gierig um das Futter.

      „Es sind die Letzten einer königlichen Zucht“, sagte Mutter traurig, „die die Römer mitgebracht haben. Die Frauen meiner Familie hüten sie schon seit urdenklichen Zeiten. Keine angelsächsische Biene ist so stark und fleißig, aber es grenzt an ein Wunder, wenn sie den Winter überleben.“

      Der Barde spielte Harfe und Mutter sang dazu und setzte die kleine Magie ein, mit der sie nervöse Tiere beruhigte. Ihre Stimme klang so ähnlich wie das Summen zufriedener Bienen. Sie erzählte von sonnigen Tagen, die kommen würden, von neuen Blüten und warmer Luft.

      „Wie steht es um deinen Vorrat an Kerzen?“, fragte der Barde sie, als er die Harfe wieder an Jack abgegeben hatte.

      „Ich weiß, woran Ihr denkt“, antwortete sie. „Die Ernte ist vernichtet, und wenn wir den Winter überleben wollen, müssen wir Getreide eintauschen. Was immer ich habe, gehört Euch.“

      „Auf dich kann ich immer zählen, Alditha“, sagte der Barde freudig und nahm ihre Hände in seine.

      Jack und der Barde machten sich auf den Weg zum Haselwald, der im Schatten des Eichenwaldes lag. Hier war der Boden zwar überall mit abgebrochenen Ästen übersät, aber ansonsten war das Waldstück verschont geblieben. Zwischen den Bäumen und knorrigen Wurzeln führten gewundene kleine Pfade hindurch, die mit Glockenblumen bewachsen waren. Im Haselwald konnte man alles Mögliche sehen – langohrige Hasen, Dachse, einen Wolf, der durchs Zwielicht huschte, und manchmal sogar einen Bären. Es war ein geheimnisvoller Ort, den man nach Einbruch der Dunkelheit nicht ohne guten Grund aufsuchte. Aber jetzt funkelten die Blätter schon fast unheimlich hell und die Luft war frisch und angenehm.

      „Hier sieht es aus, als hätte es das Gewitter nie gegeben“, stellte Jack verblüfft fest.

      „Haselwälder sind geschützt“, sagte der Barde. „An der Bardenschule – wo ich übrigens ein hervorragender Schüler war – musste jeder Neuankömmling eine Nacht in einem Haselwald verbringen. Am Morgen haben ihn die Lehrer dann gefragt, was er gesehen hat. Du kannst dir nicht vorstellen, wie manche der Jungen sich in dem Versuch, das zu sagen, was die alten Barden hören wollten, förmlich verknotet haben. Aber wer log, wurde fortgeschickt und durfte nie wiederkommen.“

      „Nur dafür?“, murmelte Jack und musste daran denken, wie oft er schon gelogen hatte, um den Prügeln seines Vaters zu entgehen.

      „Der Erdmagie zu dienen ist eine ernste Sache“, verkündete der Barde.

      „Was habt Ihr gesehen, Herr?“, fragte Jack mutig, denn der Barde beantwortete gewöhnlich keine Fragen über sich selbst.

      Der alte Mann schob mit seinem Stab einen abgebrochenen Ast zur Seite. „Gerade jetzt sehe ich Steinpilze.“ Am Fuß eines Baums wuchs eine ganze Gruppe der Pilze mit den braunen Kappen. „Wir haben Glück, Junge. Die geben ein leckeres Abendessen ab.“

      Jack hockte sich hin, um die Pilze zu ernten, und ihr erdiger Duft ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen.

      „Haselwälder sind voller Erdmagie“, fuhr der Barde fort und schob weitere Äste aus dem Weg. „Sie liegen dicht an den Grenzen zwischen den neun Welten, und unter ihrem Laub verbirgt sich so mancher geheime Weg. Ein wahrer Barde weiß, wie man einen solchen findet.“

      Jack verspürte einen Anflug von Angst, versuchte ihn aber schnell zu unterdrücken. Seine Erfahrungen mit anderen Welten waren überwiegend unerfreulich gewesen. Es hatte allerdings auch Momente gegeben – zum Beispiel, als er und Thorgil das Tal von Yggdrasil gefunden hatten –, die so glorreich gewesen waren, dass ihm bei der Erinnerung daran auch jetzt noch die Tränen kamen. Und dann kam ihm ein schrecklicher Gedanke: Was, wenn der Barde ihn gerade jetzt auf die Probe stellte? Vielleicht würde sich jetzt erweisen, ob er das Zeug zu einem wahren Barden hatte oder ob er lieber zu seinen Rüben und den Schafen zurückkehren sollte.

      Jack sah sich um, in der Hoffnung, dass sich die Blätter auflösen und ihm einen geheimen Pfad zeigen würden. Aber es tat sich nichts. Es war ein ganz normales Wäldchen voller Moos und Flechten. Die Bäume am Rand der Felder waren knapp über dem Boden abgesägt worden, damit gerade Äste nachwuchsen, die als Zaunpfähle taugten. Ein Eichhörnchen zeterte von einem Ast herunter, und er sah, wie der buschige rote Schwanz zuckte.

      „Was siehst du?“, fragte der Barde halblaut.

      Jack schnürte es die Kehle zu. Das Sonnenlicht schwebte über dem schützenden Blätterdach. Eine Drossel klappte den Schnabel auf und fing laut an zu singen. Ein Spinnennetz schwang in einem Windstoß hin und her. „Ich sehe … ach, Mist! Ich sehe gar nichts. Nein, das stimmt nicht. Ich sehe ein Eichhörnchen, einen Käfer, eine Drossel, ein Spinnennetz, aber nichts von Bedeutung. Ich werde nie ein wahrer Barde sein!“

      „Und was könnte mehr Bedeutung haben als ein Eichhörnchen, ein Käfer, eine Drossel und ein Spinnennetz?“, fragte der alte Mann.

      „Wieso …?“ Jack schaute zu ihm auf.

      „Genau. Seit du mein Lehrling bist, habe ich dich gelehrt, die Dinge zu sehen, wie sie sind. Solange du das nicht kannst, brauchst du auch keine Hoffnung haben, darüber hinauszusehen. Ich werde schon bald von dir verlangen, dass du eine Nacht hier verbringst.“

      Jack schluckte nervös. Bei Tage wirkte der Wald friedlich und sicher, aber er wusste, dass sich manche Dinge nach Einbruch der Dunkelheit änderten.

      „Du hast gefragt, was ich bei meiner Prüfung an der Bardenschule gesehen habe“, sagte der alte Mann. „Beim ersten Mal sind mir dieselben Wesen begegnet wie dir – ein Igel, eine Fledermaus, eine Ricke mit ihrem Kitz. Aber beim zweiten Mal –“ Er verstummte.

      Was war beim zweiten Mal?, dachte Jack panisch. Der Barde setzte sich wieder in Bewegung und an seinem energischen Schritt erkannte Jack, dass er keine weiteren Fragen beantworten würde.

      Sie folgten einem der vielen Wege durch den Haselwald. Glockenblumen streiften ihre Knöchel, und sie hörten das Plätschern eines Baches.

      „Sieh dorthin“, verlangte der Barde. Jack stockte der Atem. Wo noch vor Kurzem uralte Eichen dicht an dicht gestanden hatten, war jetzt eine Schneise geschlagen worden, als hätte jemand ein gigantisches Schwert geschwungen und sich einen Weg durch das Herz des Waldes gebahnt.

      „Typisch für Olaf und seine Bande von Dickschädeln, dass sie so eine Verwüstung hinterlassen“, bemerkte der Barde und ließ den Blick über die Schneise schweifen.

      „Hatte Thorgil recht?“, fragte Jack. „Hat Odin hier wirklich eine wilde Jagd angeführt?“

      „Irgendetwas hat diese Eichen vernichtet.“

      Die breite Schneise war mit Zweigen und Ästen übersät und in der Mitte, wo der Boden tiefer gefurcht war, standen Pfützen. „Wenn es eine Jagd war“, sagte Jack nachdenklich, „was war dann die Beute?“

      „Nicht Gog und Magog, die armen Kerle. Sie hatten nur das Pech, den Jägern in die Quere zu kommen“, sagte der Barde. „Die wilde Jagd treibt das Unglück vor sich her. Und es folgen ihr Seuchen, Hungersnöte und Kriege. Ich denke, dass uns eine interessante Zeit bevorsteht.“

      Der Himmel war so strahlend blau, als wäre

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