Wörterbuch des besorgten Bürgers. Группа авторов
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Nun ist die Geschichte der Demokratie lang und kompliziert. An ihrer griechischen Wiege war sie jener mächtige Impuls der Anteillosen, die mittun wollten. Sie war der Name für die Einsicht, dass es keinen natürlichen Grund für irgendeine Ordnung gibt, dass nichts aus sich heraus Macht und Herrschaft begründet. Der Ort der Macht müsse leer bleiben, brachte der Philosoph Claude Lefort diese wichtige Kontur »eigentlicher« Demokratie auf den Begriff. Die gegenwärtigen Staatsformen, die diesen Namen tragen, lassen einen solchen Impuls kaum erkennen, was seit längerer Zeit heftige Kritik auf den Plan ruft. Die Defizite deutscher und europäischer Institutionen, deren demokratische Kontur bestenfalls blass erkennbar ist, wird vom besorgten Denken in eine andere Richtung aufgelöst: Man muss nur das Diktat der völkischen Beobachter, um ihren Vorteil bemüht und jede Form von Pluralität für widernatürlich haltend, als eigentliche Demokratie definieren. [rf]
deutsche Frau
Ein Blick auf die klassische Verteilung der Geschlechterrollen, die nicht nur im AfD-Programm beschworen werden, zeigt: Die deutsche Frau soll nicht modern sein. Die Erziehung der drei Kinder findet in den ersten Jahren daheim statt, die Frau besinnt sich auf familiäre, nicht berufliche Verpflichtungen (
Die Diskussionen um die Ereignisse der Silvesternacht 2015 in Köln zeigten, wie scheinheilig dieser Beschützerinstinkt ist. Noch 1997 stimmten 138 Bundestagsabgeordnete dagegen, auch Vergewaltigung in der Ehe zu bestrafen, darunter Horst Seehofer (CSU) und − nicht ganz so männlich, aber ähnlich reaktionär − Erika Steinbach (damals noch CDU). Bis Köln wurde die »Nein-heißt-Nein«-Debatte abgetan als hysterisches Gekeife einiger Nachfolgerinnen der damals schon nervigen 68er-Feministinnen. Seitdem wollen vorrangig besorgte Männer entscheiden, wann ein Pograpscher im Büro rein freundschaftlich ist und der anzügliche Blick eines Nichtdeutschen einer Vergewaltigung gleichkommt.
Im Kern ist die Debatte vor allem sexuell aufgeladen: Besorgte Männer wie Frauen, die zuvor das Einfordern von Frauenrechten als zickiges Abwerten von Männern im Allgemeinen verstanden und nicht als Konzept von Gleichberechtigung, konnten es plötzlich nicht lassen, sich einzumischen − gepaart mit von eigenen sexuellen Fantasien angetriebener Geilheit.
Die Feindbilder des männlichen Besorgten sind Frauen, die ihre eigenen Entscheidungen treffen und auf sich selbst achten. Für diese Männer bedeutet das: Sie werden nicht mehr gebraucht − weder als Ernährer, Unterstützer, Chef, noch als Sexualpartner. Plötzlich haben sie neben der Kastrationsangst (
deutsche Sprache
Sie nennen sich Patrioten und wollen die deutsche Sprache retten. Sie tauschen Handynummern, packen Babys in Plüsch, wenn sie zur Grillparty gehen, sie mögen Auto und Vorgarten, kuscheln bei Kaffee mit dem Onkel und rauchen Zigaretten, bis ihnen blümerant um die Rosette wird. Sie haben Respekt vor Chef und Sporttrainer, lieben Wein, aber verachten andere Drogen, leben vielleicht ihre Emotionen auf der Toilette aus und machen eine Szene, wenn das Militär schlecht wegkommt. Von kriminellen Handlungen distanzieren sie sich prinzipiell, denn sie sind moralisch integer. Alle kursivierten Begriffe haben einen anderen Ursprung als Germanisch.
Besorgte wie Peter Hauk (CDU) fordern eine Deutschpflicht im Internet, die CSU will sie auch in Moscheen. Schließlich reden die alle so komisch, da weiß man nie, was die wieder planen! (Dass zur freien Religionsausübung auch die Sprache gehören muss, kann man getrost ignorieren, denn in katholischen Kirchen wird ausnahmslos auf Deutsch gebetet. Wobei, Halleluja ist hebräisch.) Mit diesen zum Scheitern verurteilten Attacken versuchen Besorgte nicht nur, arabisch- oder türkischsprachige Gruppen zu germanisieren, sondern auch, Einfluss auf einen Bereich zu nehmen, der lebendig, dynamisch und zwangsläufig nie abgeschlossen ist. Sprachkontrolle funktioniert selbst in Ländern mit strikteren Vorgaben (Frankreich oder Island) kaum, weil sich Sprache im Ganzen nicht steuern lässt. Man mag einzelne Begriffe kritisieren, aber pauschale Sprachpflichten untergraben Vielheit, die einigen gefährlich, weil
Die wenigsten besorgten Urlauber oder gar Auswanderer werden sich daran halten, ausschließlich die Sprache des Gastlandes zu sprechen; etwa Holger Apfel, vormals NPD und mittlerweile Kneipier auf Mallorca, oder Lutz Bachmann, der in Südafrika vermutlich wenig Afrikaans oder eine der vielen anderen Amtssprachen des Landes gelernt hat − und für seinen neuen Arbeitsmittelpunkt Teneriffa auch kein Spanisch-Diplom mitbringt. Die Besorgten fordern, die »Neuen« sollten »genau wie wir damals« diese komplizierten Grammatik- und Rechtschreibregeln lernen. Gut gebrüllt, Löwe. Wir haben aufgehört, die Fehler in besorgten Statements zu zählen.
Die Idee einer homogenen Sprache, die sich nicht verändert und nur aus sich selbst heraus Wortschatz generiert, ist so alt wie absurd. Schade nur, dass es im besorgten Umkreis noch keine Lexikvorschläge à la Dörrleiche für Mumie oder Jungfrauenzwinger für Kloster gibt. Zu Hochzeiten des deutschen Sprachpurismus im 17. und 18. Jahrhundert war Latein des Bösen Wurzel; heute ist es Englisch. Aber sogar Michael Klonovsky, früher beim Focus, später publizistischer Berater von Frauke Petry, nannte sich selbst Spindoctor. »Propagandabeauftragter«