Hypnosystemische Therapie bei Depression und Burnout. Ortwin Meiss
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Die Ergebnisse Kirschs haben die Antidepressiva nachhaltig in Verruf gebracht. Dennoch wurde wenig an der Verordnungspraxis der Antidepressiva geändert. Der Direktor der Psychiatrischen Klinik der Universität München Prof. Hans-Jürgen Möller bezeichnet die Verordnung von Antidepressiva als »State of the Art« (Ärztezeitung vom 3.3.2008) und beklagt die Verunsicherung der Patienten. Entscheidend sei, dass die Antidepressiva von Behörden zugelassen sind. Ob die Zulassung durch die Behörden die Verabreichung der Medikamente rechtfertigt, darf bezweifelt werden. In einer 2015 im British Medical Journal publizierten Re-Analyse einer Original-Studie der Wirksamkeit der zugelassenen Medikamente Paroxetin und Imipramin konnte das Forscherteam aus Großbritannien und den USA nachweisen, dass die Medikamente nicht wirksamer als ein Scheinpräparat sind, jedoch zu starken Nebenwirkungen führen, wie Verhaltensauffälligkeiten und körperliche Beschwerden, und sie zudem die Suizidneigung der Patienten verstärken (Stöcker 2008).
Sport und Antidepressiva
Eindeutig belegt ist die positive Wirkung von Sport bei depressiven Erkrankungen. Gelingt es den Patienten, Sport zu machen, erreichen sie die gleichen positiven Effekte wie bei der Einnahme von Antidepressiva, allerdings ohne die unerwünschten Nebenwirkungen wie z. B. Gewichtszunahme, Libidoverlust etc. In einer von Kirsch referierten Vergleichsuntersuchung zwischen einer Medikamenten-, einer Sport- und einer Sport+Medikamenten-Gruppe erreichte die Kombinationsgruppe Sport plus Antidepressiva die besten Ergebnisse. Allerdings war die Rückfallhäufigkeit nach zehn Monaten in der Kombinationsgruppe viermal so hoch wie in der Gruppe, die nur Sport gemacht hatte. Die Sportgruppe war der Medikamenten-, und der Kombinationsgruppe deutlich überlegen. Man kann die Ergebnisse dahingehend interpretieren, dass die Antidepressiva auf Dauer die positive Wirkung von Sport zunichtemachen (Kirsch 2009).
Praxis der Verordnungen
Die Haltung des »Weiter so!« wirkt aufgrund der augenblicklichen Forschungslage irritierend. Da man vermuten kann, dass vielfach die Durchführung und Interpretation der Studien interessengeleitet sind, da die Hersteller der Medikamente sowohl Forschungen als auch Kliniken subventionieren, wäre ein gewisses Maß an Skepsis bezüglich der Medikamente angebracht. Man sollte bei der Verabreichung zurückhaltender sein, bis weitere Forschungen ein klareres Bild liefern. Stattdessen berichten mir immer wieder Patienten, dass sie sich in einigen Kliniken geradezu genötigt fühlten, Antidepressiva zu nehmen. Einwände dagegen wurden beiseitegewischt, die erheblichen Nebenwirkungen und die Probleme beim Absetzen verschwiegen oder verharmlost. Weigern sich die Patienten dennoch, die Medikamente zu nehmen, wird ihnen vorgeworfen, die Behandlung zu boykottieren und nicht mitzuarbeiten.
Psychotherapie – ein Placebo?
Auch die Effekte der psychotherapeutischen Methoden, die bisher im Bereich der depressiven Erkrankungen angewendet wurden, sind nach den Studien von Kirsch gering, auch wenn es Hinweise dafür gibt, dass langfristig positivere Ergebnisse erzielt werden. Entsprechen die von Kirsch erhobenen Daten der Wirklichkeit, so muss man ernüchternd feststellen, dass selbst langjährige Psychotherapie-Ausbildungen nicht dazu befähigen, kurzfristig gesehen eine deutlich stärkere Wirkung zu erzielen als ein aktives Placebo. Dies stützt die Hypothese des Neurobiologen Gerhard Roth (2015), der die Wirkung vieler ärztlicher und psychotherapeutischer Behandlungen der positiven Zuwendung zuschreibt, welche der Patient vom Behandler bekommt.
Motivation zu diesem Buch
Die von Kirsch veröffentlichten Ergebnisse, dass weder die Antidepressiva noch die bisher angewendeten psychotherapeutischen Methoden eine wesentliche Wirkung entfalten, die deutlich über die Wirkung von aktiven Placebos hinausgeht, haben mich zu diesem Buch bewegt.
Grundsätzlich stimme ich der Ansicht zu, dass eine gute Beziehung zum Patienten eine wesentliche Voraussetzung für das Gelingen einer Therapie ist. Zuwendung heilt, wie sich sowohl aus den Studien Kirschs wie auch aus den Ergebnissen der Neurobiologie ableiten lässt. Deshalb widmen sich die Kapitel zu systemischen Ansätzen vor allem der Beziehungsgestaltung und zeigen, wie diese gelingen kann. Ebenso muss ich feststellen, dass ich ohne die in diesem Buch beschriebenen hypnotherapeutischen Methoden und Techniken mit vielen Patienten nicht wirklich vorangekommen wäre. Diese Methoden und Techniken bilden den zweiten Schwerpunkt dieses Buches. Es hat nicht den Anspruch einer wissenschaftlichen Arbeit, vielmehr möchte ich Psychotherapeuten, insbesondere denjenigen mit Grundkenntnissen in systemischen und hypnotherapeutischen Ansätzen, die Möglichkeit geben, ihren eigenen Ansatz um effektive Techniken zu bereichern.
Systemische und hypnotherapeutische Ansätze
Es mag im ersten Moment verwundern, dass ein Verfahren wie die Hypnotherapie, das sich auf die Nutzung von Hypnose gründet, mit der systemischen Therapie vereinbar ist. Systemische Ansätze sehen lebende Organismen als sich selbst organisierende Wesen. Hypnose dagegen wird noch immer mit Fremdsteuerung und Ursache-Wirkungs-Modellen assoziiert. In dieser Vorstellung bewirkt der Hypnotiseur, dass der Hypnotisierte in Trance fällt, er verursacht das, was der Hypnotisierte an Reaktionen zeigt. Dieses Modell der Hypnose ist überholt und mit moderner Hypnotherapie nicht vereinbar. In dem modernen Verständnis der Hypnose ist Trance eine natürliche Fähigkeit des Gehirns, bestimmte Bereiche hochaktiv werden zu lassen, während andere in ihrer Aktivität reduziert werden. Der hochaktive Gehirnbereich kann seine Fähigkeiten und Potenziale optimal entwickeln, da die anderen ihn dabei nicht stören, es zu keinen Interferenzprozessen kommt. Diese gezielte Aktivierung nutzen Menschen und auch höhere Tiere in Anforderungssituationen, in denen alles, was nicht relevant ist, ausgeblendet wird (Halsband 2015). Die Hypnotherapie hilft dem Patienten, diese Fähigkeit für die Veränderung seiner Problematik und für das Finden von kreativen Lösungen zu nutzen.
Hypnotherapie verstehe ich als Systemtherapie nach innen, mit der ein Selbstorganisationsprozess beim Patienten angeregt wird. Dass systemische Therapie und Hypnotherapie vereinbar sind, erweist sich im hypnosystemischen Ansatz von Gunther Schmidt (2015).
Die Fallbeispiele in diesem Buch zeigen, wie der Patient sich selbst auf die Spur kommt, den Zusammenhang zwischen seiner Symptomatik und der zugrunde liegenden Problematik eigenständig erkennt und Lösungen für seine Probleme findet. Innerhalb dieses Selbstorganisationsprozesses ist der Therapeut mehr Begleiter, als dass er führt. Er liefert weniger gute Antworten als gute Fragen. Die Antworten findet der Patient selbst. In dieser Weise arbeitet der Therapeut leicht und ohne Anstrengung.
Gerade die Hypnotherapie kann die systemische Therapie in der Arbeit mit Einzelpatienten erheblich erweitern. Es wird zudem deutlich, dass die Hypnotherapie als das Missing Link zwischen den verschiedenen Ansätzen angesehen werden kann, da sie sowohl ressourcen- und lösungsorientierte als auch tiefenpsychologisch orientierte Ansätze enthält. Sie kann damit einen Beitrag dazu liefern, dass die in Deutschland entstandenen Richtlinienverfahren endlich Geschichte werden und sich ein integrativer Ansatz entwickelt, wo verschiedene Verfahren und Therapiekonzepte zusammenwachsen. Neuere Verfahren wie die Schematherapie, in die auch hypnotherapeutische Konzepte eingeflossen sind, gehen ebenfalls in diese Richtung (Young 2008).
Einführung
Depression als Volkskrankheit
Depressionen