TEXT + KRITIK 155 - Herta Müller. Группа авторов

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setzt sich die Erzählung mit Morddrohungen auseinander, die von Fremden wie der Frau mit den samtschwarzen Rosen auf offener Straße ausgesprochen werden, und mit der übermächtig werdenden Angst vor den Vollstreckern des sozialistischen Überwachungsstaates. Infolge der Verinnerlichung sozialistischer Normierung und ihrer Externalisierung sind diese überall anwesend – auch in der eben nur scheinbar davon unbelasteten Vegetation: »und ein Baum (…) stemmte sich durch Inge hindurch und spießte sie auf«.27

      Inge tritt vor einen Inspektor, dessen wirrer – und deshalb keinen Widerspruch duldender – Monolog darauf hinausläuft, dass sie entlassen wird, weil sie als studierte Lehrerin nicht als Übersetzerin in einem Maschinenbauunternehmen eingesetzt werden kann. Die Begründung ist fadenscheinig, weil das Lehramtsstudium in Rumänien nicht unüblich als Qualifikation für die Übersetzerlaufbahn war.

      Herta Müller hatte selbst eine solche Arbeitsstelle infolge ihrer Weigerung, mit dem Geheimdienst zusammenzuarbeiten, verloren, und dadurch traf das Stigma der ›Asozialität‹ und des ›Parasitentums‹, das im Editorial der Zeitschrift, in der ihre Erzählung erschien, beschworen wurde, aus Sicht von Partei und Geheimdienst auf die Autorin zu. »Inge« steht in einem geradezu grotesken Verhältnis zum Editorial, denn dieses Stigma wird als Folge der Machtausübung von Partei und Geheimdienst mit ihrem Verwaltungs- und Vollstreckungsapparat entlarvt. Als missliebig empfundene Person konnte sie entlassen – da der Staat der einzige Arbeitgeber war – und sozial vernichtet werden, indem sie als unsolidarische ›Asoziale‹ gebrandmarkt wurde.

      Zunächst erfolgt die angsteinflößende Augmentation eines Punktes, der wie ein verstecktes Beobachterauge oder wie eine Kamera innerhalb des Fernsehers wirkt. Die Fläche des Bildschirms konvergiert mit einem imaginären Kameraauge, wobei Inge in der Spiegelung auf dem Bildschirm dasselbe sieht (oder zu sehen meint), was auch ein versteckter Beobachter – das geheime Auge der Securitate im augmentierten Punkt – beobachtet. Angst vor dem Beobachtet-Werden und Selbstermächtigung halten sich am Beginn dieser Szene, die die Ambivalenz aller Mediennutzung in einem Überwachungsstaat förmlich auf den Punkt bringt, die Waage. Im letzten oben zitierten Satz vollzieht sich aber ein re-entry der Unterscheidung zwischen Inge und dem Bildschirm auf der Seite des Bildschirms. Inge sieht dann mehr als ein verstecktes Auge aus dem Fernseher sehen und die Spiegelung des Bildschirms zeigen könnte, nämlich sich selbst wie sie auf den Bildschirm blickt, und wird damit zur höherrangigen Beobachterin, die sich selbst unter den Bedingungen eines ambivalenten mediengestützten Beobachtungsregimes sehen und hinterfragen kann. Dadurch durchbricht sie den Terror der internalisierten Überwachung und imaginiert mediale Verhältnisse, die ihr Kontrolle und Deutungsmacht gewähren. Es ist kein Zufall, dass sich Inge genau nach diesem re-entry ihrer selbst besinnt und an den rettenden Zettel mit der Selbstanweisung ›Kopfstand‹

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