TEXT + KRITIK 155 - Herta Müller. Группа авторов

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weiße Handschuh des Milizmanns (…) über der Stadt«38 verliert mit diesem finalen Kopfstand, der abermals an »Lenz« und die Subversion einer als ›verrückt‹ empfundenen Welt erinnert, seinen Schrecken. Spiegelungen und allgemein Medialität (z. B. das Auge der Kamera) werden umcodiert vom Moment der Beschämung und Entmündigung zu einem der Selbstermächtigung: Der Teufel sitzt allenfalls in dem Sinne im Spiegel, als er den Weg zu selbstreflexivem Widerstand und Subversion weist.

      Schluss

      Den frühen Erzählungen und dem ersten Roman Herta Müllers ist gemeinsam, dass sie das Ineinandergreifen privater, staatlicher und geheimdienstlicher Gewalt offenlegen. An den Verletzungen der einzelnen Figuren ist das Ausmaß an Brutalität, das ihnen zugestoßen ist oder von ihnen ausgeübt wurde, abzulesen. Die Erzählungen verdeutlichen, wie die Traumata von Generation zu Generation weitergegeben werden – auch an die Nachfahren von Tätern; viele der Figuren werden, ob absichtlich oder wider Willen, zu Mitläufern, Vollstreckern oder Komplizen. Sowohl in der deutschen Dorfgemeinschaft als auch in der sozialistischen Gesellschaft steht manifeste und latente Gewalt in einem Spannungsverhältnis zur Selbstbeschreibung, in der sie jeweils vollständig eskamotiert wird. So wie die Staatspropaganda Gesellschaft und Familie als intakte Solidargemeinschaften entwirft, betrachtet sich die banatschwäbische Gemeinschaft als anderen überlegen aufgrund überlieferter und geteilter Werte wie Reinheit, Moral, Sitte, Zusammenhalt und Katholizismus. In der Bundesrepublik sind es soziale Ungleichheiten bis hin ins Prostitutions- und Obdachlosigkeitsmilieu, Vereinzelung in Kapitalismus-Rollen (Konsument, Arbeitnehmer u. a.), die zur erzwungenen Selbstentfremdung führen, wie insbesondere in »Reisende auf einem Bein« deutlich wird. Alle Texte plädieren für ein individuelles Recht auf Übergänge, das in Müllers Poetik weit über dem Anspruch der Gesellschaften auf Rollenkonformität rangiert. Kenntlich gemacht und ad absurdum geführt werden totalitäre Interdependenz von Sprachen, Institutionen, Organisationen, Werten, Selbstbeschreibungen, Überwachungsapparaten, Automatismen und Routinen sowie die Einschüchterung und Gleichschaltung der Einzelnen, mit dem Effekt, dass die Einzelnen ihrer Individualität – und das heißt: der Freiheit, gedanklich und politisch über-zu-gehen – beraubt werden.

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