Basiswissen ITIL 4. Nadin Ebel
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Abb. 2–12 Einfluss auf ITIL durch aktuelle organisatorische sowie technische Themen, Normen, Standards, Methoden oder andere Best-Practice-Veröffentlichungen
2.3Weitere nicht proprietäre und proprietäre ITSM Frameworks
Es ist durchaus möglich, dass der Service Provider nicht ITIL, sondern ein anderes ITSM Framework oder einen anderen Ansatz wählt, um IT Service Management zu realisieren. Neben Referenz- bzw. Best-Practice-Modellen unter der lizenzrechtlichen Verantwortung von AXELOS gibt es eine Reihe von Unternehmen, die ihr »eigenes«, proprietäres IT Service Management Framework (auf Basis von ITIL) definierten. Dazu zählten Referenzmodelle wie das Microsoft Operations Framework (MOF), das frühere HP IT Service Management Reference Model (HP ITSM) von Hewlett-Packard oder das frühere IBM Process Reference Model for IT (PRM-IT), welche das in die Jahre gekommene ITPM (IT-Prozessmodell) von »Big Blue« abgelöst hatte. Das Modell konzentrierte sich vor allem darauf, wie ITSM-Prozesse mit Unterstützung der jeweiligen herstellerspezifischen Produkte, z.B. im Configuration, Change oder Asset Management, umgesetzt werden konnten. In den letzten Jahren ist es um diese Ansätze jedoch etwas still geworden.
Zwischenzeitlich wurde von der IBM der IBM Tivoli Unified Process (ITUP) veröffentlicht, der auf PRM-IT aufbaute und erweiterte (bspw. über Rollen, Szenarien oder Mappings zu CMMI, Six Sigma etc.). Die ITUP-Inhalte (https://www.visioline.ee/itup/) enthalten Prozessdiagramme und Beschreibungen. Der Unified Process Composer, um weitere Prozesse entwerfen und Aktivitäten detaillieren zu können, wurde in der Version 7.1 im Jahre 2007 veröffentlicht.
Im Frühjahr 2009 wurde die aktualisierte Version 4.0 des Microsoft Operations Framework (MOF), das als Lifecycle-Modell aufgebaut war, von der Firma Microsoft veröffentlicht. Nach 2012 finden sich nur noch sehr wenige Veröffentlichungen dazu. Laut einer aktuellen Studie zum Enterprise Service Management setzen jedoch 25% der Unternehmen weiterhin auf dieses Framework (siehe Abb. 2–13).
Neben herstellerspezifischen Ansätzen gibt es noch eine Reihe weiterer, nicht proprietärer Referenzmodelle und Ansätze für das serviceorientierte IT-Management. Einige davon sind eher unbekannt bzw. haben zumindest in der Verwaltung oder Wirtschaft in Deutschland keine weite Verbreitung gefunden. Dazu zählen beispielsweise Perform aus dem damaligen Hause Cap Gemini Ernst & Young, IT Service CMM als Reifegradmodell der Vrije-Universität von Amsterdam oder IPW von Quint Rellington Redwood (vgl. Hochstein/Hunziker 2003, Goeken 2007, Walter 2006). Aus jüngerer Zeit stammen beispielsweise
das Integrated Service Management (ISM) aus den Niederlanden, das aus einer Initiative der KPN (Royal PTT Telecom) auf Basis des IPW-Modells hervorgegangen ist.
das Framework for ICT Technical Support (FITS) auf der Basis von ITIL, das von der British Educational Communications and Technology Agency (BECTA) stammt und seit 2009 von der »FITS Foundation« betreut wird. Es dient vor allem dem technischen Support in Schulen bzw. im Bildungsbereich.
die enhanced Telecom Operations Map (eTOM) als ein Rahmenwerk für Geschäftsprozesse von Unternehmen im Bereich der Telekommunikation und IT-Dienstleistung. Es wird vom TeleManagement Forum (TMF) herausgegeben.
Abb. 2–13 Relevante Frameworks für das IT Service Management in den Unternehmen (Quelle: IDG 2019)
Die Vielzahl an Service Management Frameworks, die entstanden sind und diskutiert werden, zeigt auch, dass sich viele im Umfeld des Service Management mit der Frage beschäftigen, was den bereits bestehenden Frameworks wie ITIL fehlt. Häufig verbinden die neuen Ansätze bestehende Frameworks und Methoden miteinander und ermögliche so andere Perspektiven auf das IT Service Management. Gleichzeitig wird allerdings die Frage laut, ob wir noch mehr Frameworks zum Service Management benötigen – oder ob ein Besinnen auf den gesunden Menschenverstand und eine pragmatische Zuwendung zu den tatsächlichen und offenkundigen Problemen und Schmerzen einer Organisation, die auf den Tisch kommen und diskutiert werden sollten, nicht bereits vieles verbessern könnte.
Doch alle neuen und bestehenden Ansätze und Frameworks zum IT Service Management bzw. Service Management haben ihre Daseinsberechtigung. Sie bieten unterschiedliche Schwerpunkte und Ausprägungen, die verschiedene Personen oder Zielgruppen ansprechen und die aus einem bestimmten Bedürfnis heraus entstanden sind. Je mehr Sie davon kennenlernen, umso mehr Gemeinsamkeiten werden Sie entdecken, aber vielleicht auch den einen oder anderen für Sie relevanten Aspekt. Sie können Ihren Methodenkoffer füllen und sich daraus bedienen. Lassen Sie sich allerdings nicht von dem bunten Strauß an Optionen und Auswahlmöglichkeiten verwirren!
Wir sollten uns stets bewusst sein, dass ein »Überstülpen« der darin enthaltenen Prozesse, Practices oder Rollen, egal aus welchem Framework sie stammen, niemals zur Etablierung eines gut laufenden und zielorientierten (IT) Service Management in einer Organisation führen wird. Wichtig ist die Frage nach dem Zweck des Vorhabens und dem damit angestrebten Nutzen. Zudem ist nicht jede Organisation bereit, den ganz großen Lauf zu wagen. Manch einer Organisation tut es eher gut, Schritt für Schritt (oder Schrittchen für Schrittchen) voranzuschreiten (siehe auch Abschnitt 6.5 zum iterativen Vorgehen als ITIL-4-Grundprinzip).
2.3.1FitSM
Kleinere und mittlere IT-Organisationen in Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung stehen bei der Anwendung von IT Service Management Frameworks wie ITIL Vor der Herausforderung, die relevanten Teile für die eigene Organisation herauszufiltern und mit geringem Aufwand in die praktische Nutzung zu überführen. Oftmals sind sie von den Hunderten von Seiten an ITIL-Dokumentation verschreckt, scheuen Einführungsprojekte oder die umfangreiche Ausbildung nach dem ITIL-Zertifizierungsschema. Dem kommt FitSM als »Light«-Ansatz und mit »Keep it simple«-Attitüde auf nicht einmal hundert Seiten entgegen. Auf der Basis der ISO-20000-Norm wurde ein Managementsystem entworfen, das klar und einfach strukturiert ist mit einer übersichtlichen Anzahl an Elementen (Prozesse, Rollen, Dokumente, Begriffe etc.). Die Implementierung orientiert sich sehr deutlich an den spezifischen und individuellen Anforderungen der jeweiligen Organisation. Im Bedarfsfall können später auf den Ergebnissen des Ansatzes aufbauend weitere Prozesse und Ergänzungen etabliert werden.