Zurück auf Gestern. Katrin Lankers
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»Den Zettel hab ich ganz unten in meinem Schreibtisch versteckt«, erwiderte ich, zu perplex, um zu leugnen.
»Nicht schwer zu finden …« Das Gurkengrinsen war zurück und wirkte irgendwie teuflisch.
Ich hätte gerne erwidert, dass sie eine miese Schnüfflerin war und in meinem Zimmer rein gar nichts verloren hatte, doch leider bekam ich keinen Ton mehr heraus. Denn in diesem Moment entdeckte ich Lucas, der mit zwei Gläsern Cola in den Händen hinter Sophie stand. Er hatte einen schwer zu deutenden Gesichtsausdruck, der allerdings keinen Zweifel daran ließ, dass er unseren Streit mit angehört hatte. Zumindest die entscheidenden Passagen. Die, in denen es um meine Gefühle für ihn ging.
Ich las Überraschung in seinem Blick und noch etwas anderes, das ich nicht deuten konnte. Ganz leicht schüttelte er den Kopf, als wollte er mir stumm sagen: Das kann nicht dein Ernst sein. Wo in aller Welt war das Loch im Boden, das sich in solchen Momenten auftun sollte?
Ich fühlte mich, als müsste ich auf der Stelle losheulen. Aber das hätte meine Lage vermutlich nicht verbessert. Also drängte ich die Tränen mit heftigem Blinzeln zurück, murmelte etwas Unverständliches, in dem das Wort Toilette vorkam, zwang meine Beine, sich zu bewegen, und flüchtete. Unter Einsatz meiner Ellbogen arbeitete ich mich durch die Menge vor dem Buffet und stürmte vorbei an Frau Dr. No und Herrn Helmich, die Türdienst hatten, hinaus ins Freie. Erst als ich mich in der dunkelsten Ecke des Schulhofs auf eine Bank hatte fallen lassen, bemerkte ich, dass ich noch immer das verdreckte Törtchen in der Hand hielt. Ich würde es später entsorgen, wenn ich mich aufraffen konnte, wieder aufzustehen.
Es dauerte eine ganze Weile, bis ich wieder in der Lage war, halbwegs klar zu denken. Die ganze Zeit flimmerten Standbilder dieser unendlich peinlichen Szene durch meinen Kopf. Sophies teuflisches Gurkengrinsen. Lucas’ verständnisloser Blick. Mist! Mist! Mist! Von allen peinlichen Situationen, in denen ich jemals gesteckt hatte, war das mit Abstand die schrecklichste!
Angestrengt überlegte ich, was ich tun konnte, um diese ganze beschämende Szene ungeschehen zu machen oder wenigstens Lucas’ Erinnerung daran auszulöschen. Leider stellte ich nach reiflicher Überlegung fest, dass es rein gar nichts gab, was ich diesbezüglich unternehmen konnte – außer mir irgendwelche Medikamente zu verschaffen, die die Erinnerung auslöschten, und diese Lucas irgendwie zu verabreichen.
Mehrmals kam ich zu dem Schluss, dass es das Beste war, den Bus nach Hause zu nehmen, mich in meinem Bett unter zehn Decken zu vergraben und nie wieder aufzustehen. Aber das bedeutete, dass ich zurück in die Turnhalle gehen musste, um Lulu zu suchen und ihr Bescheid zu sagen. Und das bedeutete, dass ich Gefahr lief, Lucas noch einmal zu begegnen. Deshalb brauchte ich etwa hundert Anläufe, bis ich mich endlich dazu aufraffen konnte. Doch als ich gerade auf die Turnhalle zusteuerte, kam Lulu mir direkt entgegen.
»Hey, Süße, ich hab dich schon überall gesucht. Ist alles okay?« Sie trug die vier großen Tupperdosen – offensichtlich hatte sie auch die mit den Dreck-Törtchen unter dem Buffet gefunden – und dazu einen leicht verklärten Ausdruck im Gesicht.
»Zeit aufzubrechen, fürchte ich«, erklärte sie. »Es ist schon fünf nach zehn. Meine Mutter dreht durch, wenn wir nicht langsam auftauchen.« Sie nickte zum Schultor, wo ich tatsächlich den kleinen blauen Twingo mit eingeschalteten Scheinwerfern entdeckte.
»Was?« Überrascht checkte ich die Uhr in meinem Anhänger, die wirklich kurz nach zehn anzeigte. Zur Sicherheit zog ich mein neues Handy aus der Hosentasche und kontrollierte die Zeit. Tatsache. Es waren fast zwei Stunden seit dem Streit mit Sophie vergangen, in denen ich wie ein Zombie mit einem verdreckten Törtchen in der Hand auf dem Schulhof gesessen und darüber nachgegrübelt hatte, wie ich mir bewusstseinsverändernde Medikamente beschaffen konnte.
»Ist wirklich alles in Ordnung?« Lulu musterte mich besorgt.
»Ja, ja, alles bestens«, erwiderte ich, bemüht, nicht allzu deprimiert zu klingen. Natürlich war nichts in Ordnung. Aber leider war meine beste Freundin der allerletzte Mensch, dem ich erzählen konnte, was passiert war. Wie sollte ich ihr erklären, dass ich sie künftig nie wieder würde besuchen können, weil ich unter allen Umständen vermeiden musste, ihrem großen Bruder über den Weg zu laufen?
»Stress mit Sophie.« Das war immerhin die halbe Wahrheit.
»Oh je. Tut mir echt leid, dass ich dich so lange allein gelassen hab«, entschuldigte Lulu sich, während wir Richtung Schultor gingen. »Ich habe völlig die Zeit vergessen, weil ich mich mit Samuel unterhalten habe.« Sie errötete leicht. »Ich glaube, er mag mich. Krass, oder? Er hat sogar gefragt, ob ich Lust habe, nach der Party mit zu ihm zu kommen. Die wollen dort mit der Clique weiterfeiern. Ich wäre echt gerne mitgegangen, und er wirkte richtig enttäuscht, als ich Nein gesagt habe. Aber dann hätte meine Mutter mich garantiert umgebracht.«
Lulu redete ohne Unterbrechung, doch mir war das nur recht. Dann konnte sie mir wenigstens keine unangenehmen Fragen stellen. Und außerdem freute ich mich für sie. Wirklich. Sehr.
»Samuel ist so witzig. Wir haben total viel gelacht. Und fast hätte er mich geküsst. Ehrlich. Er hat zwei total süße Grübchen in den Mundwinkeln. Ist dir das schon mal aufgefallen? Hier und hier.«
Sie hob den Tupperdosenberg in die Höhe, um mit den Daumen anzudeuten, wo genau sich Samuels süße Grübchen befanden. Ich sah das Unglück kommen, war aber nicht schnell genug, um die Boxen aufzufangen, bevor sie allesamt zu Boden schepperten.
»Ach, Shit, nicht schon wieder!«, fluchte Lulu, als sich eine Dose öffnete und die ohnehin schon schmutzigen Törtchen über den Schulhof kullerten. Und zum zweiten Mal an diesem Abend hockten wir uns hin, um die Törtchen wieder einzusammeln.
»Also doch ein Picknick«, ertönte über uns die Stimme von Samuel, gefolgt von einem schallenden Lachen, in das Lulu sogleich einstimmte. Mit einem strahlenden Lächeln blickte sie zu ihm auf. Und dann konnte man beobachten, wie dieses Lächeln langsam bröckelte und abfiel. Denn Samuel war nicht allein. Nicht nur fünf Jungs aus seiner früheren Klasse waren bei ihm, sondern auch die Doppel-Ds, die Samuel anstrahlten wie zwei Tausend-Watt-Scheinwerfer. Und um jede von ihnen hatte er einen Arm gelegt.
»Schönen Abend noch«, wünschte er uns, bevor er inmitten der Gruppe zum Schultor steuerte.
»Aber, aber …«, stotterte Lulu. Dann brach sie unvermittelt in Tränen aus. »Aber er hatte mich gefragt«, schluchzte sie. »Mich!«
»Ist ja gut.« Ich legte Lulu tröstend die Hand auf die Schulter. »Das mit den Doppel-Ds ist doch im Leben nichts Ernstes. Er will dich bloß eifersüchtig machen.« Nicht dass ich selbst glaubte, was ich sagte, aber ich wollte Lulu gern trösten. Leider war sie untröstlich. Ganz Drama-Queen.
»Warum habe ich Nein gesagt, als er mich gefragt hat, ob ich noch mitgehe? Hätte ich doch bloß Ja gesagt! Ja! Ja! So schwer ist das doch nicht! Dann hätte meine Mutter mich halt umgebracht, na und? Was bedeutet schon der sichere Tod, wenn man vorher einen Abend mit Samuel verbringen kann?«
Lulu schniefte lautstark, und ich spürte, dass mir selbst ebenfalls ein Kloß im Hals steckte, der langsam, aber sicher unbedingt in Form von Tränen nach oben wollte. Was für ein Katastrophenabend war das? Definitiv der furchtbarste aller Geburtstage!
Der babyblaue Twingo hupte.
»Ach, verflucht!« Lulu schniefte wieder. »Hinterher ist man immer schlauer. Wenn ich das vorher gewusst hätte, dann hätte ich garantiert Ja gesagt! Manchmal wünschte ich, dass man die Zeit zurückdrehen könnte.«
»Und