Zurück auf Gestern. Katrin Lankers
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Читать онлайн книгу Zurück auf Gestern - Katrin Lankers страница 6
»Seid ihr bald fertig?« Lucas’ Kopf erschien im Türrahmen. »Wir müssen langsam mal los!«
»Raus!« Lulu schnappte sich ein Kissen und warf es Richtung Tür, aber ihr Bruder war schon wieder verschwunden, nicht ohne die Tür lautstark ins Schloss krachen zu lassen.
»Kannst du nicht anklopfen?«, brüllte Lulu ihm hinterher. »Was, wenn ich nackt gewesen wäre?«
Ein kräftiges Klopfen ließ die Tür erzittern.
»Idiot«, grummelte Lulu. »Sei bloß froh, dass du keinen so blöden Bruder hast wie ich.«
Lieber fünf Brüder wie deinen als eine Stiefschwester wie Sophie, hätte ich widersprechen können. Aber ich hielt sicherheitshalber den Mund. Ich versuchte grundsätzlich, jedes Gespräch mit Lulu über ihren Bruder zu vermeiden. Denn leider war Lucas das einzige Geheimnis, das zwischen Lulu und mir existierte. Beziehungsweise: meine Gefühle für ihn.
Es war wenige Tage nach der Geburtstagsparty passiert, auf der Lulu und ich beste Freundinnen geworden waren. Man muss dazu erklären, dass Lulu an diesem Tag nicht in der Schule gewesen war, sondern mit einer Sommergrippe zu Hause im Bett gelegen hatte. Ansonsten wäre die ganze Sache vermutlich anders abgelaufen.
Ich hatte überraschend meine Tage bekommen und natürlich trug ich eine weiße Jeans, klar … Als ich in der Pause bemerkte, was los war – ich erspare euch an dieser Stelle die buchstäblich blutigen Details –, rannte ich kopflos in die nächste Toilette. Dort hockte ich ziemlich verzweifelt auf dem Klodeckel und grübelte, wie ich diese Kabine je wieder verlassen konnte, ohne mich vor der gesamten Schule zu blamieren. Als ich bemerkte, dass es nicht einmal Toilettenpapier gab, begannen meine Tränen zu laufen. Da hörte ich, dass jemand hereinkam. Na, toll!
»He, was ist los?«, fragte der Jemand. Von einer Sekunde auf die andere wurde mein Elend noch elendiger. Dieser Jemand war ein Junge! Als wäre die ganze Situation nicht schon schlimm genug, war ich aus Versehen in die Jungentoilette gestürmt.
Ich antwortete nicht, sondern zog bloß geräuschvoll die Nase hoch. Hoffentlich ging der Typ weg, wenn ich ihn ignorierte. Doch natürlich wurde mir dieser Wunsch nicht erfüllt.
»Brauchst du Hilfe? Soll ich vielleicht einen Lehrer holen?«, ließ er nicht locker.
»Nein«, quietschte ich. »Auf keinen Fall.«
»Du bist ja ein Mädchen«, stellte der Jemand überrascht fest.
»Sag bloß«, erwiderte ich ironisch und seufzte.
»Und was machst du hier drin?«
»Mädchenprobleme.«
»Oh.« Der Jemand hatte offensichtlich verstanden, um welche Art von Problem es sich handelte. »Kann ich dir trotzdem irgendwie helfen? Brauchst du vielleicht irgendwas?«
»Falls du nicht eine Binde und eine frische Jeans dabeihast, nein, danke«, erwiderte ich mit dem Mut der Verzweiflung.
»Leider nicht.« Der Jemand klang, als täte es ihm tatsächlich leid. »Aber ich könnte dir ein paar Papierhandtücher anbieten. Und meinen Hoodie. Den kannst du dir vielleicht um den Bauch knoten …«
»Ehrlich jetzt?« Plötzlich fühlte ich mich ein bisschen weniger schrecklich.
Statt einer Antwort reichte er mir eine Handvoll Papiertücher und einen Kapuzenpulli über die verschlossene Tür. Einen ziemlich gut riechenden Pulli, wie ich flüchtig bemerkte.
»Danke.« Als ich mir den viel zu großen Hoodie umwickelte, ertönte der Schulgong zum Ende der Pause.
»Kommst du dann jetzt raus?«, fragte der Jemand.
»Ehrlich gesagt, lieber nicht.« So nett der Junge auch gewesen war, war es mir trotzdem viel zu peinlich, ihm persönlich gegenüberzutreten.
»Ich schätze, ich erkenne dich ohnehin an dem Hoodie, oder?«, gab er zu bedenken. »Außerdem hätte ich ihn gerne bei Gelegenheit wieder, ist nämlich mein Lieblingspulli.«
»Oh, richtig.« Er hatte recht, ich würde nicht darum herumkommen, ihm irgendwann ins Gesicht zu sehen. Und so nett, wie er gerade gewesen war, stand wohl auch nicht zu befürchten, dass er mich auslachen würde, wenn ich nun herauskam.
Vorsichtig öffnete ich die Kabinentür. Davor wartete dieser Junge. Etwas älter als ich – wie sich später herausstellte, war er eine Klasse über mir. Etwas zu lange Haare, die ihm in die fast schwarzen Augen fielen. Eine minimal schiefe Nase. Und ein breites Lächeln, das seine Augen blitzen ließ. Es war nicht spöttisch oder gar herablassend. Nein, es war genau die Sorte Lächeln, von der einem ganz warm im Bauch wird.
»Steht dir«, sagte er und deutete auf den Pulli, den ich mir wie einen Rock um die Hüfte geschlungen hatte. In exakt diesem Augenblick verliebte ich mich in Lucas Manuel da Costa Moreira.
Wie er hieß und dass er Lulus Bruder war, erfuhr ich natürlich erst später. Genauer gesagt am nächsten Tag, als ich meine grippekranke Freundin zum ersten Mal zu Hause besuchte. Sie hatte mich vorher schon ausgiebig vor ihrem blöden Bruder gewarnt.
»Lucas glaubt, er wäre der Chef im Haus. Seit meine Eltern sich getrennt haben, ist er nicht mehr auszuhalten. Bildet sich wer weiß was darauf ein, dass er ein Jahr älter ist. Ständig will er mir sagen, was ich zu tun und zu lassen habe. Räum deinen Kram weg. Beeil dich. Komm aus dem Bad raus. Mach deine Hausaufgaben. Hilf mal ein bisschen mehr im Haushalt mit …« So wie Lulu ihn nachäffte, klang ihr Bruder nach einem echten Ekel.
Dann öffnete er mir die Wohnungstür. Als er mich sah, wirkte er erst überrascht, doch dann lächelte er wieder dieses Warm-im-Bauch-Lächeln. Vielleicht dachte er, ich wollte ihm seinen Pulli zurückbringen, den ich jedoch als Kopfkissen-Ersatz benutzte.
»Da bist du ja!« Lulu flog mir um den Hals. Besonders krank erschien sie mir nicht mehr. »Tut mir leid, dass du als Erstes meinem blöden Bruder begegnen musstest. Ich war leider nicht schnell genug an der Tür.« Sie schickte einen grimmigen Blick in seine Richtung. Dann sah sie zu mir. Und wieder zu ihm.
»Wieso starrt ihr denn so?«, fragte sie irritiert. »Fall bloß nicht auf sein hübsches Gesicht rein«, fügte sie schnell an mich gewandt hinzu. »Er ist nicht so nett, wie er aussieht.«
»Quatsch, ich steh eh nicht auf dunkelhaarige Typen.« Es war heraus, bevor ich mir auf die Zunge beißen konnte. Ich wollte bloß Lulu damit gefallen. Aber als ich versuchte, einen entschuldigenden Blick in Lucas’ Richtung zu schmuggeln, sah ich, wie ihm sein Lächeln aus dem Gesicht rutschte und einem Ausdruck vollkommener Gleichgültigkeit Platz machte. Was seitdem Lucas’ Grundhaltung mir gegenüber zu sein schien. Nicht einmal seinen Pullover hat er je zurückgefordert.
Nachdem ich eine knappe Million Mal darüber nachgegrübelt hatte, war ich mir inzwischen völlig sicher, dass Lucas’ Lächeln nichts, aber auch wirklich gar nichts zu bedeuten hatte. Nur änderte das leider überhaupt nichts daran, dass mein Herz immer noch nicht kapiert hatte, dass es sich nicht lohnte, schneller zu klopfen, bloß weil Lucas das Zimmer betrat, und mein Magen auch immer noch zu blöd war, um nicht zu flattern, bis mir flau wurde. Immerhin schien man mir das innerliche Geflatter und Geklopfe nicht anzusehen. Lulu hatte jedenfalls noch nichts davon gemerkt.
Anfangs