Zurück auf Gestern. Katrin Lankers
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Mittlerweile fürchtete ich, sie würde es als Hochverrat an unserer Freundschaft betrachten, wenn sie herausbekam, dass ich Lucas keineswegs so unausstehlich fand wie sie. Und dass ich es ihr die ganze Zeit verschwiegen hatte. Deshalb mussten meine Gefühle ein besser gehütetes Geheimnis bleiben als die Geheimakten der CIA und das Originalrezept von Coca-Cola zusammen. Leicht war das nicht gerade. Denn eigentlich erzählten wir uns alles.
»Nicht, dass ich meinem blöden Bruder recht geben wollen würde, aber ich schätze, wir müssen wirklich langsam los.« Lulu betrachtete den Uhrenanhänger. »Es ist schon kurz vor sechs.«
»Funktionieren die etwa?« Ich begutachtete meinen eigenen Anhänger. Die Zeiger standen ebenfalls auf kurz vor sechs. »Muss man die nicht aufziehen, oder so?«
»Vielleicht sind Batterien drin.« Lulu schwang sich vom Bett und streckte mir die Hände hin, um mir hochzuhelfen. Mir erschien es zwar unwahrscheinlich, dass so alte Uhren mit Batterien betrieben sein sollten, doch ich beschloss, dass es im Moment nicht so wichtig war. Vielleicht hatte Alexa ja auch dafür eine Erklärung.
»So gehst du mir aber nicht aus dem Haus.« Lulu begutachtete kritisch mein Gesicht. »Auch wenn ich Pandas süß finde.« Sie kramte in ihrem Nachtschränkchen herum und zog schließlich ein Feuchttuch hervor, mit dem sie unter meinen Augen herumzutupfen begann.
»Schon besser«, erklärte sie schließlich zufrieden, schnappte sich ihren Lipgloss vom Nachttisch und verteilte ihn großzügig auf ihrem Scarlett-Johansson-Mund. Sofort stieg mir der verführerische Schokoladenduft in die Nase.
»Ist eigentlich noch was vom Geburtstagskuchen übrig?«, fragte ich hoffnungsvoll. Sylvia hatte sich mit einem zuckerfreien Dinkel-Vollkorn-Zucchini-Kuchen selbst übertroffen und ich lechzte seit dem Morgen nach einem Gebäck mit mehr als zweieinhalb Kalorien auf hundert Gramm.
»Ob noch was da ist?« Lulu lachte laut. »Meine Mutter hat mal wieder genug für ein ganzes Kinderheim gebacken. Bedien dich ruhig. Die Reste müssen wir ohnehin gleich fürs Buffet in die Schule mitnehmen.«
Lulu hatte nicht zu viel versprochen. In der Küche standen auf dem Tisch schon vier Tupperdosen mit den Ausmaßen von Umzugskartons bereit, die bis oben hin mit Törtchen gefüllt waren. Ich öffnete den Deckel einer Box, sog den süßen Duft ein und ließ die Finger darüber kreisen, wie immer unfähig, mich für eins der köstlichen Küchlein zu entscheiden. Schließlich fiel meine Wahl auf die Pasteis de Nata, Blätterteig-Törtchen, deren Namen man »Pasteisch« aussprach, wie ich mittlerweile wusste, und denen ich wegen ihrer sahnigen Cremefüllung nie widerstehen konnte.
»Erst stundenlang stylen und jetzt auch noch futtern … Auf euch zu warten ist schlimmer als auf den Schulgong. Bei dem weiß man wenigstens, dass er irgendwann kommt.« Lucas schlenderte in die Küche und zog ein genervtes Gesicht. Ein hübsches genervtes Gesicht, das ließ sich leider nicht leugnen.
In seiner löchrigen schwarzen Jeans, einem schwarzen Shirt mit verwaschenem Bandlogo und mit den vom Duschen noch feuchten Haaren sah er nicht gerade abstoßend aus. Mein Herz schlug einen kleinen Trommelwirbel. Aber zumindest mein Pokergesicht schien gut zu sitzen, zumindest bemerkte niemand meinen inneren Aufruhr.
»Hör auf zu stänkern«, fauchte Lulu ihren Bruder an. »Nur weil stylen bei dir bedeutet, in die Luft zu spucken und drunter durchzurennen, musst du dich nicht gleich so aufspielen.«
Lucas verdrehte als Antwort die Augen. Im Augenverdrehen erreichte er olympisches Niveau.
»’usch, ’usch, meine Lieben. Es ist an die Seit.« Marisa wehte in die Küche und wedelte wild mit den Händen, um uns hinauszuscheuchen. Sie war eine kleine, kugelige Person mit scheinbar unerschöpflicher Energie und einem starken portugiesischen Akzent. Was sie nicht daran hinderte, doppelt so schnell zu sprechen wie jeder andere Mensch, den ich kannte.
»Ihr seht sauber’aft aus, meine Schätsschen.« Marisa tätschelte ihrer Tochter die Wange, was Lulu mit einem lauten Seufzen quittierte. Aber ich fand es wunderbar, Marisas »Schätsschen« zu sein.
»Und du, Sohn, ssum anbeisen!« Sie strich Lucas die widerspenstigen Haare aus der Stirn.
»Können wir dann endlich? Wir wollen um halb sieben mit dem Soundcheck anfangen!«
Lucas stapfte voraus in den Flur, wo er bereits seine Gitarre geparkt hatte, sodass Lulu und mir nichts anderes übrig blieb, als die vier großen Tupperdosen zu übernehmen.
Zuerst tastete ich aber noch einmal nach dem Anhänger, der mir um den Hals baumelte, und warf einen schnellen Prüfblick darauf. Die Uhr zeigte exakt Viertel nach sechs.
3
»Pünktlisch um ssehn, verstanden?«
»Jaha.« Lulu schlängelte sich als Erste aus dem Auto und ich folgte ihr. Lucas, der vorne gesessen hatte, holte bereits seine Sachen aus dem kleinen Kofferraum des alten Twingo, den Lulus Eltern angeschafft haben mussten, als sie gerade frisch verheiratet gewesen waren.
Für zwei Menschen, die sich sehr gern hatten, hatte der babyblaue Twingo vermutlich die optimale Größe. Drei Teenager, eine Gitarre, einen Verstärker und vier riesige Tupperdosen mit Törtchen darin unterzubringen, war eine sportliche Herausforderung, die vor allem darin bestand, beim Aussteigen aus dem Zweitürer nicht sämtliche Tupperdosen auf den Bordstein vor dem Schultor fallen zu lassen. Erst hielt ich die Dosen, dann reichte ich sie Lulu nach draußen, die beinahe hinter dem Tupperturm auf ihrem Arm verschwand.
»Und wenn isch ssehn sage, meine ich ssweiundswanssisch Uhr nach deutsche Seitverständnis, nicht nach portugiesische. Also nicht ssehn nach ssehn und nicht sswansig nach ssehn, sondern Punkt ssehn!« Auch wenn Marisas Zunge lustig über die vielen Z stolperte, bestand kein Zweifel daran, wie ernst sie es meinte. Lulus Mutter war in vielen Punkten entspannt, zum Beispiel, was das Chaos in Lulus Zimmer betraf oder ihren kreativen Kleidungsstil. Aber wenn Lulu nur fünf Minuten nach der vereinbarten Zeit nach Hause kam, herrschte bei den da Costas Gewitterstimmung.
»Ich warte hier an die Tor.«
»Jaha«, wiederholte Lulu mit Nachdruck.
»Viel Spaß«, rief Marisa uns noch hinterher, doch Lulu warf bereits mit einem eleganten Schwung ihres Hinterteils die Autotür zu. Sie eilte so schnell Richtung Schule, dass ich keine Gelegenheit hatte, ihr wenigstens ein oder zwei der Tupperdosen abzunehmen, die sie einer akrobatischen Darbietung ähnlich auf den Armen balancierte.
»Meine Mutter nervt!«, beschwerte meine Freundin sich, während wir durch das Schultor liefen.
»Sie macht sich halt Sorgen«, verteidigte ich Marisa abwesend, weil ich damit beschäftigt war, den Schulhof nach der Gestalt von Lucas abzusuchen. Aber der war bereits in der gegenüberliegenden Sporthalle verschwunden.
»Ja klar«, ätzte Lulu. »Weil eine Schulparty ja auch so wahnsinnig gefährlich ist. Passiert dauernd, dass Teenager auf Schulpartys entführt werden. Quasi jede Woche … Da!« Sie fuhr herum, was den Tupperdosenstapel in eine bedenkliche Schieflage brachte. »Siehst du? Meine Mutter steht immer noch da und schaut uns hinterher. Was glaubt sie eigentlich, wie alt