Zurück auf Gestern. Katrin Lankers
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Читать онлайн книгу Zurück auf Gestern - Katrin Lankers страница 4
»Mein Vater hat gesagt, Omili hat den Anhänger im Banktresor aufbewahrt«, erzählte ich Lulu das Wenige, das ich wusste.
»Krass«, staunte Lulu. »Dann ist er richtig wertvoll?«
»Ich weiß nicht. Es ist wohl ein Familienerbstück. Das sagt zumindest mein Paps. Vielleicht hatte Omili ihn aber auch bloß im Tresor, damit Sylvia ihn nicht in die Finger bekommt.«
»Tststs«, tadelte Lulu mich, wurde dann aber gleich wieder ernst. »Und hat er sonst noch was gesagt?«
»Nicht wirklich. Meine Omili hat ihm wohl noch einen Brief für mich gegeben, aber du kennst ja meinen Vater. Er hat ihn irgendwo zwischen seine Unterlagen gelegt, wo er ihn jetzt nicht mehr findet.«
Mein Vater hatte mir das Päckchen am Morgen überreicht, nachdem ich meine anderen Geschenke ausgepackt hatte: Ein neues Smartphone von ihm, genau wie gewünscht. Einen Kosmetikkoffer von Sylvia, den ich ungefähr so gut gebrauchen konnte wie einen Raumanzug. Und von meiner Stiefschwester Sophie ein Buch mit dem Titel Bedeutende Persönlichkeiten der Weltgeschichte, das sie mir mit der Bemerkung überreicht hatte, sie hoffe, mein Bildungsniveau damit ein klein wenig anheben zu können, auch wenn sie fürchte, dass ihre Bemühungen vergeblich sein würden.
Ich hatte beschlossen, ihr zum nächsten Geburtstag eine »Bravo« zu kaufen, um ihr Normalitätsniveau damit ein klein wenig anzuheben.
Dann packte ich den Anhänger aus. Für den Bruchteil einer Sekunde entgleisten Sophies perfekt geschminkte Gesichtszüge und sie wirkte verletzt. Fast mitleiderregend. Zu ihrem fünfzehnten Geburtstag vor zwei Monaten hatte Sophie nämlich kein Päckchen von Omili bekommen. Was erstaunlich war, denn obwohl Sophie nicht ihre eigene Enkeltochter gewesen war, hatte meine Großmutter sich immer sehr bemüht, uns beide gleich zu behandeln. Und ich glaube, Sophie hatte sie wirklich gerngehabt. Sofern meine Stiefschwester zu solchen Gefühlen fähig war.
»Deine Großmutter hat in ihrem Testament verfügt, dass nur du ihn bekommen sollst«, hatte Paps mir erklärt. »Und dass du unbedingt gut darauf achtgeben sollst.«
»Dafür hat sie sich ja genau die Richtige ausgesucht«, hatte Sophie in Bühnenlautstärke gemurmelt. Mein Mitleid war augenblicklich wieder dahingeschmolzen.
»Hm.« Lulu spitzte ihre Lippen. Das tat sie immer, wenn sie über etwas nachgrübelte. Es sah aus, als würde sie einen Kussmund formen, was gelegentlich ziemlich unpassend wirkte. Während einer Mathearbeit zum Beispiel. Kussmünder und Mathe passen einfach nicht gut zusammen.
»Hm«, machte Lulu noch einmal.
Ich wartete gespannt. Wenn Lulu »Hm« machte, kamen manchmal überraschend brillante Einfälle heraus.
»Ziemlich mysteriös.«
Ich seufzte. Manchmal auch nicht.
»Der Anhänger sieht auf jeden Fall total schön aus.« Lulu streckte die Hand aus, um mit ihren langen schmalen Fingern über die Kugel zu streichen. »Und fühlt sich auch irgendwie schön an. Diese Gravuren wirken geheimnisvoll, findest du nicht? Wie irgendwelche Zeichen. Oder Buchstaben oder so … Hast du eine Ahnung, was sie bedeuten?«
»Ich … nein«, erwiderte ich abgelenkt. Denn als meine Freundin mit ihren Fingern über die Kugel gefahren war, hatte es sich angefühlt, als würde diese leicht vibrieren. Und ich hatte den Eindruck gehabt, dass das Metall mit einem Mal wärmer geworden war. Schnell schloss ich meine Hand darum zur Faust. Doch es war schon vorbei und vermutlich war es ohnehin bloß Einbildung gewesen. Wieso sollte ein Anhänger vibrieren?
»Los, häng ihn um.«
»Was?«, fragte ich verwirrt.
»Ich sagte, dass du ihn umhängen sollst«, wiederholte Lulu. »Du könntest den Anhänger an der neuen Kette befestigen. Das sieht bestimmt gut zusammen aus. Und würde dein, sagen wir mal, zeitlos schlichtes Outfit ziemlich aufwerten.«
»Ich weiß nicht.« Noch immer hielt ich die Hand zur Faust geschlossen. Bei dem Gedanken, den Anhänger zu tragen, fühlte ich mich nicht wohl. »Der ist doch viel zu groß und auffällig! Was, wenn ich ihn verliere oder wenn er kaputtgeht?«
»Warum sollte er kaputtgehen?« Lulus dunkle Locken wippten, als sie den Kopf schüttelte. »Der Anhänger sieht ziemlich massiv aus. Und warum sollte deine Großmutter ihn dir schenken, wenn sie nicht will, dass du ihn trägst?«
Ich nickte langsam, noch nicht so richtig überzeugt.
»Also, wenn ich so einen coolen Vintage-Anhänger hätte, würde ich nur noch in Jeans und T-Shirt rumlaufen.« Lulu ließ nicht locker. »Komm schon, Clairchen. Trau dich mal was!« Sie nahm meine Hand und begann, sanft meine Finger aufzubiegen.
Ich lächelte und öffnete die Faust. Lulu konnte sehr überzeugend sein. Doch als meine Freundin nach dem Anhänger griff, überkamen mich wieder Zweifel. Reflexhaft schlossen sich meine Finger erneut um Lulus. Ein Ruck ging durch unsere Hände bis in die Arme. Die Kugel vibrierte erneut. Stärker dieses Mal. Gleichzeitig erwischte mich ein Stromschlag. Nicht schlimm, eher als ob man eine Türklinke anfasst, nachdem man sich kräftig die Haare gebürstet hat. Ich hörte ein leises Knirschen und Schaben, als würde Metall über Metall reiben. Ich sah Lulus Augen, die sich weiteten – erst verwundert und dann, als sie begriff, was passiert war, vor Schreck.
Gleichzeitig schnellten unsere Hände auseinander, als hätten wir uns verbrannt. Und zwischen uns aufs Bett fielen die zwei Hälften einer Kugel.
2
»Oh nein! Claire, es tut mir leid. Es tut mir schrecklich leid, Clairchen. Es tut mir leid, es tut mir leid, es tut mir leid.« Wie gesagt: Lulu ist eine Drama-Queen! Sie schlug sich die Hände vor den Mund, raufte sich die Haare und schüttelte dann fortwährend den Kopf, sodass ihre langen Locken flogen.
Ich hingegen war nicht in der Lage, überhaupt irgendetwas zu tun, außer die beiden Teile des zerbrochenen Anhängers auf der bunten Patchwork-Decke anzustarren.
Paps’ Stimme klang mir in den Ohren: »Deine Großmutter hat gesagt, dass du unbedingt gut auf ihn achtgeben sollst.« Und dann Sophie: »Dafür hat sie sich ja genau die Richtige ausgesucht!« Meine besserwisserische Streberstiefschwester hatte recht behalten: Ich hatte es nicht einmal einen Tag lang geschafft, gut auf das Geschenk aufzupassen. Ich spürte, wie mir Tränen in die Augen stiegen, und wischte sie ärgerlich mit dem Handrücken fort.
»Hey, nicht weinen.« Lulu rutschte neben mich und legte mir unsicher einen Arm um die Schultern, wahrscheinlich dachte sie, ich wäre wütend auf sie, weil der Anhänger kaputtgegangen war. Dabei gab ich einzig und allein mir selbst die Schuld daran.
»Es ist nur …« Ich schluckte kräftig und zog die Nase hoch.
So ganz war ich über Omilis Tod noch immer nicht hinweg, obwohl sie mittlerweile seit drei Jahren nicht mehr lebte. Als ich klein war, hatte sie, wie gesagt, bei uns gewohnt und auf mich aufgepasst, wenn mein Vater unterwegs war. Doch als er Sylvia geheiratet hatte, wurde es ziemlich eng in unserem Haus. Und Omili räumte