Zurück auf Gestern. Katrin Lankers
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Damit unserem »Patchwork-Glück« nichts im Wege stand, behauptete meine herzensgute Großmutter, sie sei ganz froh, wieder allein leben zu können. Aber sie nahm sich eine Wohnung, die nah genug bei uns war, damit ich zu ihr gehen konnte, wann immer ich das wollte. Und das war oft. Eigentlich fast jeden Tag.
Mit meiner Omili konnte ich über alles reden, ihr jeden Kummer und jede Frage anvertrauen. Und auch wenn sie nicht auf alles eine Antwort hatte, so hatte sie es stets geschafft, mich am Ende wieder zum Lachen zu bringen.
Sie hatte immer gesagt, dass sie eines Tages in ihrem Bett einschlafen und nicht wieder aufwachen wollte, und genau so war es gekommen. Doch so schön ich das für sie auch fand, hätte sie sich für meinen Geschmack mit dem Sterben noch viel, viel mehr Zeit lassen können.
»Du vermisst sie, oder?« Lulu zog mich fest an sich und drückte mich. Ich nickte bloß, weil ich meiner Stimme nicht traute, und atmete tief ein.
Lulu roch immer ein bisschen nach Schokolade, weil sie Schoko-Lipgloss benutzte. Ich fand den Duft tröstlich.
»Okay, lass mal sehen.« Lulu ließ meine Schultern los und nahm behutsam die beiden Hälften des Anhängers in die Hand. »Vielleicht kann man es ja reparieren. Bestimmt sogar. Ich meine, wir haben ja nicht mit einem Hammer draufgehauen oder so. Er ist einfach auseinandergefallen. Wir bringen ihn zu Schnick-Schnack, bestimmt kriegt Alexa das wieder hin … Oh, schau mal!«, unterbrach Lulu sich selbst und hielt mir ihre Handfläche mit der zerbrochenen Kugel unter die Nase. »Das ist ja krass!«
»Was ist denn?« Ich rieb mir über die Augen. Zur Feier des Tages hatte ich Wimperntusche benutzt – aus Sylvias Schminkkoffer, ich gebe es zu – und mittlerweile vermutlich großflächig in meinem Gesicht verteilt.
»Ich glaube, der Anhänger ist gar nicht kaputt.«
»Wie, nicht kaputt?«Vorsichtig nahm ich Lulu die beiden Stücke aus der Hand, ängstlich, dass ich wieder einen Stromschlag bekommen würde. Aber dieses Mal blieben alle elektrischen Spannungen aus.
»Das ist eine Uhr«, stellte ich erstaunt fest.
»Na ja, eher zwei Uhren, würde ich sagen.«
»Stimmt.« Ich betrachtete die beiden Halbkugeln, die ich jeweils zwischen Daumen und Zeigefinger hielt, genauer. Sie waren exakt gleich. Die Kugel hatte sich genau in der Mitte geteilt, als wäre sie einfach auseinandergeklappt. Jede der Halbkugeln besaß sogar eine eigene Öse. Dadurch, dass die Kugel sich geöffnet hatte, hatte sie zwei Zifferblätter enthüllt, die sich zuvor in ihrem Inneren verborgen hatten. Die Zifferblätter wirkten sehr alt, mit römischen Zahlen und schmalen Zeigern.
»Sieht aus wie eine Taschenuhr«, überlegte ich.
»Ja, aber eine ziemlich komische, oder?«, wandte Lulu ein. »Wer braucht denn zwei Zifferblätter?«
»Vielleicht jemand, der viel verreist?«, rätselte ich. »Damit man den Zeitunterschied einstellen kann und immer weiß, wie spät es gerade zu Hause ist? Mein neues Handy kann das auch.«
»Meinst du?« Lulu zog schon wieder einen Kussmund. »Und wie klappt man die beiden Teile jetzt wieder zusammen? Ich sehe keine Scharniere oder so etwas.«
»Keine Ahnung.« Ich drehte die Kugelhälften hin und her und legte die glatten Flächen schließlich aufeinander, sodass wieder eine vollständige Kugel entstand. Die beiden Zifferblätter waren so eingearbeitet, dass sie sich dabei nicht im Wege waren. Trotzdem ließen sich die zwei Hälften nicht mehr aneinander befestigen.
»Komisch. Vorhin hingen sie doch noch fest zusammen.« Ich drückte und drehte, aber jedes Mal, wenn ich die Hände ein Stück auseinandernahm, lösten sich auch die Hälften voneinander. Während ich zuvor noch den Eindruck gehabt hatte, eine solide Kugel in Händen zu halten, schienen die beiden einzelnen Teile nun alles andere als gewillt, sich wieder zu einem Ganzen zusammenzufügen.
»Sehr komisch«, bestätigte Lulu. »Vielleicht eine Art Magnetismus?«
»Wenn es ein Magnetismus ist, dann funktioniert er jedenfalls nicht mehr.« Ich zuckte mit den Schultern. Die Tatsache, dass die beiden Hälften offenbar von Anfang an getrennt gewesen waren, wir den Anhänger also nicht zerbrochen hatten, beruhigte mich so sehr, dass ich mich nun nicht darum sorgte, wie man sie wieder miteinander verbinden konnte. Ich würde den Anhänger in den nächsten Tagen zu Alexa bringen und ihn reparieren lassen, falls das möglich war. Vielleicht konnte mir Omilis Freundin sogar mehr über dieses besondere Schmuckstück erzählen. Immerhin kannte sie sich mit Schmuck aus.
Und dann hatte ich plötzlich eine Idee.
»Gib mir mal deine Kette«, bat ich Lulu.
»Wieso?«
»Gib einfach her.«
Zögerlich zog sie sich die gedrehte Kette über den Kopf, die ich ihr erst kurz zuvor umgehängt hatte, und reichte sie mir.
»Was hast du vor?«
»Versuch es doch wenigstens mal für einen kleinen Moment mit Geduld«, wimmelte ich sie ab, legte die eine Halbkugel auf meinem Schoß ab und fädelte die Kette von Lulu in die andere.
»Das ist für mich ein Fremdwort und mit Fremdwörtern hab ich es nicht so«, moserte Lulu. Doch ihr skeptischer Gesichtsausdruck wich einem breiten Lächeln, als ich ihr die Kette zurückgab, an der nun eine der Halbkugeln baumelte.
»Das ist nicht dein Ernst, oder?«
»Ich mache das nur, um zu verhindern, dass du in diesem knallroten Ding auf die Schulparty gehst«, erwiderte ich, nahm meine eigene Kette ab und fädelte die andere Halbkugel darauf, bevor ich sie mir wieder über den Kopf zog. »Du hast gesagt, wenn du den Anhänger tragen darfst, würdest du in Jeans und T-Shirt gehen. Und ich nehme dich beim Wort.«
»Okay, schon gut.« Lulu streckte mir die Zunge raus. »Ich habe verstanden, Miss Stil-Ikone. Ach, und übrigens: danke! Das ist unfassbar lieb von dir.«
Lulu drückte mir einen Schmatzer auf die Wange. Dann schälte sie sich aus dem Kleid und schlüpfte stattdessen in einen ausgewaschenen Jeansrock mit einem breiten pinken Lackgürtel sowie in ein schwarzes Shirt mit einem pinken Stern aus Pailletten. Von meinem Jeans-und-T-Shirt-Outfit war sie damit natürlich Lichtjahre entfernt, doch im Gegensatz zu der Version Bratschlauch in Rot war sie darin ein Hingucker im besten Sinne.
»Jetzt aber mal ehrlich.« Lulu ließ sich wieder neben mich aufs Bett fallen. »Willst du wirklich, dass wir diese Anhänger heute Abend tragen?« Ihre Finger betasteten vorsichtig die Halbkugel. »Keine Angst mehr, dass sie kaputtgehen?«
»Kaputt sind sie ja nun schon.« Ich zuckte mit den Schultern. »Irgendwie hab ich das Gefühl, dass es richtig ist«, versuchte ich zu erklären. Tatsächlich hatte ich plötzlich sogar das seltsame Gefühl, dass meine Großmutter genau das gewollt hätte. »Diese beiden Halbkugeln sind wie Freundschaftsanhänger. Wie diese Herzen, die man in der Mitte durchbricht, und dann steht darauf Beste Freundinnen oder für immer oder so was. Nur dass unsere Anhänger nicht annähernd so kitschig sind, sondern etwas Besonderes.«
»So