Bergretter und fesche Dirndl: Wildbach Bergroman Sammelband 6 Romane. Sandy Palmer

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Bergretter und fesche Dirndl: Wildbach Bergroman Sammelband 6 Romane - Sandy Palmer

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wusste, dass er keine Zeit hatte, große Erklärungen abzugeben. Er packte Frieda beim Oberarm und zerrte sie die Treppe hinauf.

      »Wo ist Johanne?«, keuchte er. »Ist sie in ihrem Zimmer?«

      Er bekam keine Antwort mehr. In diesem Moment brach das Unheil über den Berghof herein.

      15

      Johanne hatte sich bereits kurz nach dem Essen in ihre Kammer zurückgezogen. So, wie sie es in den letzten Tagen meistens tat, wenn sie der Mutter nicht mehr zur Hand gehen musste. Die Einsamkeit nagte an ihrem Herzen, doch sie war hilflos gegen dieses Gefühl. Nur in Raphaels Armen hätte sie wieder die Ruhe und das Glück vergangener Tage empfunden.

      Er fehlte ihr sehr. Es war für sie fast eine Ewigkeit her, dass sie ihn das letzte Mal gesehen und geküsst hatte. Fast schien es so, als wäre es in einem anderen Leben gewesen.

      Seufzend trat sie ans Fenster und öffnete es. Draußen regnete es noch immer, doch ihr Entschluss stand trotz allem fest. Sie musste nach draußen, heraus aus dieser qualvollen Enge des Berghofes mit dem herrischen Vater, der sie ständig bevormundete und eifersüchtig bewachte.

      Sie nahm ihren Regenmantel und zog ihn an. So leise wie irgend möglich verließ sie die Kammer und schlich nach unten. Sie verließ das Haus durch den Hintereingang. Der Vater war vor einiger Zeit durch den Regen in die benachbarte Scheune gegangen, und die Mutter hantierte in der Küche. So bemerkte sie niemand. Doch erst, als sie den schlammigen Weg unterhalb der Wiese erreicht hatte, atmete sie erleichtert auf.

      Als sie so durch den Regen ging, der bald ihre Schuhe völlig durchnässt hatte und sie durch seine Kälte frösteln ließ, hatte sie plötzlich ein eigenartiges Gefühl. Unwillkürlich schaute sie ins Tal hinab. Weit vermochte sie nicht zu sehen, denn die Regenschleier hatten die Ferne und die Berge verhängt und sich selbst in den nahen Wipfeln der Tannen eingenistet.

      Sie wusste selbst nicht, wieso sie in diesem Augenblick an Raphael dachte, und sie spürte instinktiv, dass er in der Nähe war.

      Hier draußen hielt sich bei diesem Wetter eigentlich nicht einmal ein wilder Hund auf. Und doch war sie sich völlig sicher, dass sie ihren Liebsten noch heute treffen würde, obwohl sie wusste, dass er in der Stadt war und sich seit Tagen nicht bei den Eltern hatte sehen lassen. Der Postbote hatte es ihr erst gestern erzählt.

      Johanne wandte sich nach rechts und stieg die bewaldete Anhöhe, die die beiden verfeindeten Höfe trennte, hinauf. Von dort konnte sie die gesamte Senke und den Weg zum Harlanderhof bestens überblicken. Außerdem boten die weit ausladenden Äste der Bäume etwas Schutz vor dem Regen. Als sie den Waldrand erreichte, musste sie enttäuscht feststellen, dass weit und breit keine Menschenseele zu entdecken war. Das einzige, was sie sah, waren die drei erleuchteten Fenster des nahen Harlanderhofs. Von ihrem Standpunkt aus konnte sie das väterliche Anwesen nicht sehen.

      Fröstelnd kreuzte sie die Arme und trat von einem Fuß auf den anderen. Es war bitterkalt, und schon bald schalt sie sich einen Narren, bei diesem Wetter einfach hinausgelaufen zu sein. Ohne jeglichen Grund war es ganz einfach töricht, sich den Unbilden der Natur auszusetzen.

      Das einzige, was als Resultat ihres Ausfluges herauskam, war ein Tadel vom Vater, wenn er ihre Abwesenheit inzwischen entdeckt hatte. Dann saß er mittlerweile bestimmt mit in die Hüften gestemmten Armen und überlegte sich, wie er ihr erneut ins Gewissen reden konnte.

      Seufzend schaute Johanne nach Westen. Die Wolkendecke war aufgebrochen, und zwischen den grauschwarzen Wolken zeigte sich erstes Blau. Dahinter aber braute sich bereits das nächste Unwetter zusammen.

      Ein letzter Blick zum Weg ins Tal hinab zeigt, dass ihr Gefühl nur der unerfüllte Wunsch nach Raphael bleiben würde. Er kam nicht, und es war auch dumm zu glauben, dass er sich freiwillig diesen Regengüssen aussetzte, nur um hier heraufzukommen. Er wusste ja nur zu gut, wie eifersüchtig der Vater über sie wachte.

      Sie wischte sich über das nasse Gesicht und trat unter der mächtigen Tanne, unter der sie Schutz gesucht hatte, hervor, um wieder nach Hause zu gehen.

      »Wartest du auf mich?«, fragte eine sonore Stimme.

      Johanne erschrak und wirbelte herum. Sie glaubte, ihren Augen nicht trauen zu dürfen.

      Keine drei Meter von ihr entfernt stand Raphael.

      Einen Augenblick lang war sie wie vom Donner gerührt, als könnten ihre Augen nicht glauben, was sie sahen, dann stieß sie einen freudigen Schrei aus und lief ihrem Liebsten entgegen. Sie warf sich in seine Arme, und ihre Lippen suchten seinen warmen Mund. Voller Glück klammerte sie sich an ihn und schaffte es nicht, ihre Tränen zurückzuhalten.

      »Ich habe dich ja so sehr vermisst«, keuchte sie zwischen zwei leidenschaftlichen Küssen. »Sag, dass ich net träume. Bitte, sag es mir!«

      »Ich bin’s doch wirklich, Schatzerl«, erwiderte er hastig. »Ich habe dich auch so sehr vermisst. Ich bin bald wahnsinnig geworden, da unten im Tal.«

      Wieder küssten sie sich, und als würde selbst der Regen sich darüber freuen, die Verliebten wieder vereint zu sehen, zogen die düsteren Wolken davon und erlaubten der Sonne für kurze Zeit, ihre Strahlen auf das nasse Land zu werfen.

      Ein düsteres Grollen, das irgendwie nicht in die friedliche Stille der Berge passte, ließ Johanne und Raphael aufhorchen. Verwundert blickten sie sich an.

      Der Zauber innigsten Glücks war plötzlich wie fortgewischt und schuf Platz für ein Gefühl der Beklemmung, die nicht mehr von ihnen wich.

      »Was ist das?«, fragte Johanne ängstlich.

      Raphael zuckte mit den Schultern und horchte. Er hob den Kopf und schaute in den Wald hinein.

      »Komm!«, verlangte er und nahm die junge Frau bei der Hand. »Es kommt droben vom Hang. Irgendetwas tut sich da. Lass uns nachschauen!«

      Während sie gemeinsam durch den dichten Tannenwald liefen, beschlich Raphael eine böse Ahnung. Er kannte dieses Geräusch, obwohl es mehr in den Winter passte.

      Nach wenigen Minuten verließen sie den halbdunklen Wald und hatten klare Sicht den Berg hinauf.

      Johanne schrie entsetzt auf und presste beide Hände vor das Gesicht, während Raphael die Luft aus den Lungen stieß, als hätte er den Atem minutenlang angehalten. Der ganze Berg jenseits des Wildbachs schien in Bewegung geraten zu sein. Oberhalb der Baumgrenze hatte sich ein gewaltiges Stück Erdreich gelöst. Schlamm und Geröll, vom wochenlangen Regen durchtränkt, waren in Bewegung geraten und wie eine Lawine in die Schlucht gerast. Nichts hatte sich ihr in den Weg stellen können. Der halbe Wald war mitgerissen worden. Die Wurzeln konnten der gewaltigen Macht nicht widerstehen.

      Die Schlammflut mitsamt Geröll und zerborstenen Bäumen war mit unverminderter Wucht talwärts geschwappt. Ein Ausläufer war bis zum Giefnerhof gedrungen. Schlamm und Dreck schoben sich fast meterhoch an dem Gebäude vorbei.

      »Lauf und hol Vater!«, sagte Raphael und packte Johanne bei den Schultern. »Schnell! Er muss mir helfen!«

      »Aber meine Eltern«, schrie Johanne hysterisch. »Sie müssen noch im Haus sein.«

      Der junge Mann wusste, dass er viel von Johanne verlangte. Er wusste nicht einmal, wie sein Vater reagieren würde, doch er hatte keine Zeit, lange darüber nachzudenken.

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