Christentum und Europa. Группа авторов

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Christentum und Europa - Группа авторов Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie (VWGTh)

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       Christlicher Glaube, Theologie und Naturwissenschaften

       Von der Konkurrenz zur Kooperation

       Cornelia Richter

      Die Thematik der Konferenz – Christentum und Europa – enthält einen Dual, der sich (das zeigen mehrere Beiträge dieses Kongressbandes) je nach Wahrnehmung als Konkurrenz- oder Kooperationsmodell interpretieren lässt. Konkurrenz und Kooperation sind allerdings Begriffe, die zwar auf positionelle und kommunikative Prozesse verweisen, die sich aber selten auf das simplifizierende Modell einer einfachen Opposition reduzieren lassen, sondern mit Christian Schwarke mindestens in der Typologie von Konflikt, Unabhängigkeit, Dialog und Integration zu diskutieren wären.1 Das zeigt sich nicht zuletzt in den politischen und sozialethischen Konflikten, die Europa derzeit in die Zerreißprobe bringen und in den Beiträgen zu dieser Konferenz erstaunlicher- und bedauerlicherweise nur sehr zurückhaltend thematisiert wurden. Christlicher Glaube, Theologie und Naturwissenschaften – das mir vorgegebene Themenfeld – ist bewusst als eine dreifache Konstellation formuliert, weil sich gegenwärtig an den Schnittstellen mit Medizin, Psychologie und Ethik ein neues Interesse an einer selbstbewussten, selbstkritischen und selbstreflexiven Theologie ausmachen lässt; dieses Interesse hat mit ihrer Analysekompetenz für gesellschaftlich relevante, aber hochgradig diffuse religiös-spirituelle und existentielle Phänomene zu tun. In den folgenden fünf Punkten soll ein forschungspragmatischer Zugriff gewählt werden, der mit Bezug auf exemplarische Forschungskonstellationen einige Problemfelder der interdisziplinären Kooperation thematisiert: Dazu gehören: (1) die Reflexion einiger wissenschaftstheoretischer Komplexitätsfaktoren des interdisziplinären Gesprächs unter den Bedingungen des religiösen Pluralismus, (2) die Erörterung wissenschaftspragmatischer Aspekte und (3) die Reflexion der in Theologie und Naturwissenschaften aus methodischen Gründen zwangsläufig disparaten Wahrnehmung von Religion und Spiritualität. Da der Beitrag – dem Genus eines Hauptvortrags entsprechend – im Stil des gemeinsamen Fachgesprächs gehalten ist, geht es (4) um die Auseinandersetzung mit Eilert Herms in Bezug auf die Theologie als Gewissheitsexplikation oder -konstitution und (5) im Anschluss an Walter Sparn um die Frage, inwiefern wir die Theologie nicht nur als »situative Intelligenz«, sondern vor allem als »situativ-existentielle Intelligenz und Glaubensreflexion« etablieren sollten.

       I. Zur Themenkonstellation: Christlicher Glaube – Theologie – Naturwissenschaften. Fünf Gründe für die Komplexität des interdisziplinären Gesprächs

      Die Relation von christlichem Glauben, Theologie und Naturwissenschaften enthält mindestens drei, mehrfach variierbare Konstellationen, deren Komplexität sich im Falle des interdisziplinären Gesprächs mindestens durch die im Folgenden genannten fünf Aspekte multipliziert. Manche von ihnen erscheinen beim Lesen als so banal, dass sie anscheinend kaum der Erwähnung bedürfen, erweisen sich in der interdisziplinären Kooperation aber regelmäßig als Stolpersteine der gemeinsamen Forschungspraxis, deren Chancen und Risiken zu erörtern ich für diesen Beitrag gebeten worden bin: Der erste Grund für die Komplexität solcher Kooperationen liegt in der internen Vielfalt der christlichen Glaubensgemeinschaften und der auf diese respondierenden Theologie. Unsere positionelle Vielfalt lässt sich ob der konstitutiven Vorgängigkeit christlicher Glaubensvorstellungen, -akte und -ansprüche und deren methodisch geschulter, kritischer Deutungsbedürftigkeit in keine normative Einheitsfigur aufheben. Denn, so lässt sich mit Christoph Schwöbels umfassender Darstellung des Wissenschaftsbegriffs der Theologie argumentieren, christliche Theologie hat es nicht nur mit der Reflexion tradierter Glaubensvorstellungen und -praxen zu tun, sondern ebenso maßgeblich mit der Reflexion von Wirklichkeitsdeutungen, die sie in Differenz zur praktizierten Frömmigkeit und dennoch aus der Perspektive des christlichen Glaubens ausführt.2 Diese Vielfalt christlicher Wirklichkeitsdeutungen ist darüber hinaus ihrerseits Teil einer epistemologischen Vielfalt, die gegenläufige, polyvalente und kontradiktorische Momente in sich trägt und sich einer einlinigen Systematik entzieht: Religiöse Deutungsprozesse vollziehen sich multiperspektivisch und selbstwidersprüchlich bei postulierter gleichzeitiger und gleichwertiger Geltung und theologische Deutungsmuster bedienen sich einer Vielfalt methodischer Zugriffsweisen, die allein in der Systematischen Theologie mindestens das weite Spektrum von transzendentalphilosophischen, hermeneutischen, phänomenologischen oder analytischen Aspekten und deren jeweiligen Untergruppierungen umfasst. Insofern gilt mit Walter Sparn: Die »institutionellen Akteure, konfessionellen Kirchen [d. h. in diesem Fall: auch die Theologie, CR] verkörpern nicht als solche ›das‹ Christentum, auch nicht ›die‹ christliche Wissenskultur«, sondern bringen unterschiedlichste Perspektiven ins Gespräch ein.3

      Der zweite Grund liegt darin, dass sich diese Konstellation unter den Bedingungen des interreligiösen Pluralismus nochmals multipliziert und sich zudem keine religiöse oder sonstige Strömung frei machen kann von ihrem historischkulturellen, weltanschaulichen Kontext. Im Ergebnis haben wir es daher mit einem bunten, zum Großteil unbewusst formulierten und gestalteten Panoptikum zu tun, dessen Dechiffrierung das gesamte Instrumentarium hermeneutischer Deutungskompetenz sowie sozialer und politischer Gestaltungskraft erfordert. Dass diese Dechiffrierung eine unverzichtbare Aufgabe der Theologie für die Gesellschaft ist, das hat uns Peter Strohschneider 2011 in seiner Kommentierung der Empfehlungen des Wissenschaftsrates ausdrücklich ins Stammbuch geschrieben, und zwar als Aufgabe der »Theologien im Plural« mit dringendem Bewusstsein für den veränderten »›Sitz im Leben‹ der Theologien«.4

      Drittens ist die Theologie zwar im deutschsprachigen Raum trotz ihrer positionellen Vielfalt noch vergleichsweise homogen institutionalisiert an die Universitäten gebunden. Im europäischen Kontext war bzw. ist die Theologie jedoch oft nur gegen politischen Widerstand durchsetzbar wie z. B. in Polen, in Tschechien oder in Rumänien.5 Oder sie ist längst zersplittert in Religious Studies, die einem nicht klar definierten Profil religiöser Gemeinschaften nahestehen, wie z. B. in den Niederlanden und mehreren Universitäten im englischsprachigen Raum.6 In den skandinavischen Ländern ist sie auf wenige große Fakultäten beschränkt und verteilt sich ansonsten auf eine breite, durchwegs diakonisch und katechetisch ausgerichtete Gemeindeperspektive.7 In Südeuropa und in Frankreich tritt die Theologie katholisch oder marginalisiert auf, so dass die entsprechenden interdisziplinären Kooperationen vor Ort von vornherein schwierig sind und das Heil in den großen europäischen Forschungsprogrammen gesucht werden muss.8 Dass wir in dieser Hinsicht in Österreich, Deutschland und der Schweiz geradezu auf einer »Insel der Seligen« arbeiten dürfen, ist ein hohes Gut.

      Für das Gespräch zwischen der Theologie und den Naturwissenschaften kommt viertens hinzu die international unterschiedlich gehandhabte, disziplinspezifische methodische Logik, mit der die nicht-theologischen Disziplinen die genannten multiplen Konstellationen in Christentum und Theologie, Philosophie und Ethik wahrnehmen und mit ihren eigenen Geltungsansprüchen verbinden. In den mir etwas näher vertrauten Disziplinen der Medizin, der Psychosomatik, Psychiatrie und Psychotherapie zeigen sich diese Divergenzen z. B. im Grad der Bereitschaft zur Einbindung der Geisteswissenschaften in die Entscheidung zwischen konservativer oder chirurgischer Therapie, ambulanter oder stationärer Psychiatrie, zur Gestaltung therapeutischer und palliativer Zentren, zur personellen Zusammensetzung der Behandlungsteams oder in den Entscheidungen der Ethik-Konsile.

      Fünftens gilt zugleich, dass sich die Frage von Konkurrenz oder Kooperation nicht zwangsläufig anhand institutioneller, disziplinärer und methodischer Grenzen entscheidet: In historischer Hinsicht hat Ludger Honnefelder mehrfach die Bedeutung der Theologie für die Idee der Universität und die Wechselwirkung zwischen Theologie und sogenannten Naturwissenschaften demonstriert;9 exemplarisch lässt sich dies anhand der historischen Rekonstruktion des Prozesses Galileo Galileis nachvollziehen, dessen Ursache laut Christian Schwarke nicht in seinen naturwissenschaftlichen Forschungen lag, sondern in den damit verbundenen

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