Christentum und Europa. Группа авторов

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Christentum und Europa - Группа авторов Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie (VWGTh)

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Votum hervorruft. So sehr der Gutachterstreit sonst auch tobt: Vor einem solcherart detailliert ausgeführten Forschungsantrag treten Fach-, Schul- und Interessenskonflikte verblüffend schlagartig zurück hinter den gemeinsamen Respekt gegenüber dem Projekt.

      Zu den komplexeren methodischen Differenzen, die in solchen Anträgen wie überhaupt in international und interdisziplinär zusammengesetzten Forschungsgruppen verhandelt werden, gehört drittens das Verhältnis von Analytik, Hermeneutik und Empirie unter den Vorzeichen der Geisteswissenschaften einerseits und Modellen der Operationalisierbarkeit unter den Vorzeichen der Naturwissenschaften andererseits. Systematisch-theologische und (religions-) philosophische Theoreme und Begründungen hören sich in unserer eigenen Lesart so lange völlig überzeugend an, bis sich von Seiten der empirisch arbeitenden Kolleginnen und Kollegen die kleine, aber ganz und gar nicht harmlose Frage stellt: »Und wie lässt sich das operationalisieren?« Das ist meist der Augenblick, in dem das Gespräch in einer gewissen Ratlosigkeit stagniert, weil methodische Kategorien aufeinandertreffen, die sich nur mit großer Mühe und mithilfe einer hochkonzentrierten gemeinsamen Fokussierung auf das zu lösende Sachproblem bearbeiten lassen. In unserem Resilienzprojekt hat sich dies z. B. an der Schnittstelle zwischen der exegetischen Analyse der Klagepsalmen, der systematisch-theologischen Reflexion von Negativität und Absolutem und deren Integration in operationalisierbare psychotherapeutische Anamnesekategorien gezeigt – drei Zugangsweisen, die methodisch wie sachlich vollkommen disparat sind und dennoch in ihrem Ineinanderwirken für Modi des Aushaltens und Gestaltens von Krisenerfahrungen von höchster Relevanz sind. Es ist nicht nur der jeweils gelernte Methodenkanon, der hier in Frage steht (z. B. wenn ein Forschungsantrag ohne Längsschnittstudie aus naturwissenschaftlicher Sicht nicht förderbar scheint), sondern die Fähigkeit der Methodenreflexion mitsamt der Abwägung disziplinspezifischer Standards. Für den europäischen Kontext kommt erschwerend hinzu, dass wir zwar einerseits aus einer eindrucksvollen gesamteuropäischen Geistes- und Wissenschaftsgeschichte herkommen,19 andererseits aber die disziplin- und schulspezifischen Differenzen zu enormen Verständigungsschwierigkeiten führen. Während z. B. der Rekurs auf die klassische deutsche Philosophie für unsere Gesprächskultur ungeachtet der Positionierung und des Kenntnisgrades selbstverständlich ist, ist diese in den an der anglo-amerikanischen Tradition ausgerichteten Ländern oft von vornherein mit einem Verdikt belegt und durch Vertreter der analytischen Philosophie ersetzt; Ähnliches gilt z. B. für weite Teile der nordischen Länder, die zwar bei ihren theologieaffinen Vertreterinnen und Vertretern mit der deutschen Tradition eng vertraut sind, in den theologieferneren Bereichen aber eher die französische Philosophie samt deren (widersprüchliche) Aversion gegenüber der Linie von Kant bis Hegel rezipiert haben.

       III. Zur Wahrnehmung und Bearbeitung religiös-spiritueller Fragen

      Wenn die gemeinsam fokussierte Sachproblematik mit religiösen und spirituellen Fragen, mit Fragen des (christlichen) Glaubens und der Theologie zu tun hat, dann stellt sich die Ausgangslage des Gesprächs für die beteiligten Disziplinen nochmals different dar.

      Innerhalb der Theologie arbeiten wir erstens hochgradig versiert und mit unterschiedlicher Akzentuierung quer durch die Fächer mit und an Begriffen, Phänomenen, Textbeständen, Inhalten und Praxen von Religion, Religiosität, Frömmigkeit und Spiritualität mit einer gewissen Kenntnis anderer Religionen, religiöser Strömungen samt aller zugehörigen Synkretismen. Deshalb ist zumindest im internen Zusammenspiel der theologischen Fächer das Instrumentarium zu ihrer Dechiffrierung und Kritik einigermaßen gut ausgebildet. Auch hier lässt sich mit Walter Sparn sagen: Das Christentum hat in der Tat »in allen seinen Praxisformen und in seinen Theologien das religionskulturelle Gedächtnis Europas aufgebaut, durchgängig bearbeitet«20 und ist daher spezialisiert auf alle möglichen Facetten religiöser Deutungs- und Lebensprozesse.

      Für die beteiligten naturwissenschaftlich-medizinischen Fakultäten hingegen stellt sich die Situation zweitens genau umgekehrt dar: Sie haben es mit einer bunten, unsortierten, mehr oder weniger bewussten und stets wechselnden Mischung religiöser Praxen, Bedürfnisse, Gewohnheiten und Ansprüche zu tun, die bei manchen ganz offensichtlich mit einem Erstaunen über die Renitenz der Religion einhergeht21 und die sie mit den Mitteln der eigenen Profession lediglich zur Kenntnis nehmen können. Wir kooperieren also mit Kolleginnen und Kollegen, die es (meist) ohne jeden normativen oder hermeneutischen Anspruch auf Systematisierung mit einer für sie methodisch nicht dechiffrierbaren, synkretistischen Polyvalenz zu tun haben. Während z. B. der Spiritualitätsbegriff innerhalb der Theologie über eine komplexe Kritik im Verhältnis zum Religions- und Frömmigkeitsbegriff neu justiert wird (vgl. die Entwürfe von Simon Peng-Keller und Eberhard Hauschildt),22 wird er außerhalb der Theologie nicht nur gänzlich anders wahrgenommen, sondern hat in der Forschungs- und Arbeitspraxis auch einen ungleich höheren Stellenwert, da er sich mit dem gesamtgesellschaftlichen Sprachgebrauch und dessen phänomenaler Gestaltung eher deckt und für die empirischen Studien daher tendenziell primär ist.

      Da es sich in Medizin und therapeutischen Disziplinen drittens im Zweifelsfall um den Ernstfall handelt, ist die jeweils artikulierte oder subversiv wirkende religiöse Praxis oft an existentielle und daher entsprechend emotionalisierte Krisensituationen mit Rückwirkung auf den medizinischen Prozess gebunden. In solchen Situationen geht es den Kolleginnen aus der Medizin deshalb mit Recht nicht primär darum, die religiösen Motive, Praxen, Bedürfnisse religionswissenschaftlich oder theologisch zu verstehen, sondern einzig um die Frage, inwiefern sie dem Heilungsprozess dienlich oder schädlich sind. »Wenn jemand mit einer Angstpathologie krampfend vor mir sitzt, brauche ich etwas, das den Krampf löst, sei es ein Medikament, eine Geste oder ein Wort – nicht nach langer Erklärung und Abwägung, sondern ›jetzt‹.«23 Dessen ungeachtet ist den meisten medizinischen und therapeutisch arbeitenden Kollegen bewusst, dass sie gerade angesichts der interreligiösen und weltanschaulichen Polyvalenz die Expertise all jener benötigen, die das Verhältnis von Glauben und Wissen samt zugehöriger Reflexionssprache seit längerer Zeit im Arbeitsrepertoire haben.24 Gesucht wird in solchen Konstellationen eine durchaus explizite und selbstbewusste Theologie, die mit ihren Geltungsansprüchen gleichwohl selbstkritisch und selbstreflexiv umgeht.

      Es kommt viertens hinzu, dass die in der naturwissenschaftlich-medizinischen Forschung standardisierte und habitualisierte Forschungspraxis v. a. in Zusammenhang mit den Fragebögen der empirischen Erhebungen mit einem Set an Begrifflichkeiten arbeitet, das sich in religions- und frömmigkeitstheoretischen Belangen aus dieser vorgegebenen bunten religiös-spirituellen Mischung speist. Zum einen, weil die nötige religionstheoretische und theologische Expertise fehlt, zum anderen aber auch, weil sich die Formulierungen in den Fragebögen mit der bunt gemischten Schar der Patientinnen und Patienten decken muss. Der Wiedererkennungswert der Fragen und Items muss hoch genug sein, um aus der Betroffenheitssituation heraus beantwortet werden zu können. Da das Gespräch über diese schwer zu durchschauende Vielfalt im europäischen Rahmen zudem mit ebenfalls stark ausdifferenzierten Konstellationen in Theologie und Religious Studies zu führen ist, zählt umso mehr die eingangs scheinbar banale Bedeutung der beteiligten Personen und des unbedingten gemeinsamen Sachinteresses. Um die Aufgabe der Theologie in solch einem Diskurs beschreiben zu können, sind die beiden folgenden Abschnitte im Gespräch mit Eilert Herms und Walter Sparn geführt.

       IV. Theologie als Gewissheitsexplikation und -konstitution: Eine Frage an Eilert Herms

      Eilert Herms hat 1996 in einem Aufsatz unter dem Titel »Die Theologie als Wissenschaft und die Theologischen Fakultäten an der Universität« die Unterscheidung zwischen der »gewißheitskonstitutiven und der gewißheitsexplikativen Leistung der reflektierenden Vernunft« und deren Zuordnung zur Theologie im Rahmen ihrer kulturgeschichtlichen Verortung im Ausgang vom Hellenismus vorgenommen.25 Das Problem dieser Entwicklung sieht er darin, dass

      »die Frage unbedacht und offen [bleibe],

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