Christentum und Europa. Группа авторов

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Christentum und Europa - Группа авторов Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie (VWGTh)

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dieses Erwartens schafft. Alles Wissen ist also formal: Erwarten der Zuverlässigkeit von Erwartungen aufgrund der erinnerten Zuverlässigkeit dieser Erwartungen, also »praktisch gewisses« Erwarten.21 Aufgrund dieser seiner auf Zukunft, auf das reale Ausstehen von real Möglichem, ausgreifenden Erwartungsform bleibt unser Wissen stets im Fluss; und nur aufgrund dieser Form besitzt es orientierende Kraft für unser gemeinsames Wollen und Wirken, also für unser gemeinsames Wählen von Zielen und Wegen als Ausgreifen auf die je spezifischen ausstehenden Möglichkeiten, also die Zukunft, unserer Zusammenlebensgegenwart.

      Wenn ich von »Gewissheit« spreche ist stets diese praktische Gewissheit gemeint und nichts sonst.22

      Freilich: Gemeinsame praktische Gewissheit herrscht nur, soweit alle relevanten Interaktionspartner der Verlässlichkeit bestimmter Erwartungen inne sind (sie selbst erlebt haben und erinnern).

      d) Dazu kommt es nur – viertes Formmerkmal – durch Kommunikation – durch Kommunikation von Erwartungen (schon bewährter Erwartungen und noch zu bewährender).23

      e) Fünftes, oft übersehenes, Formmerkmal: Diese reproduktive und produktive Kommunikation von geteilter praktischer Gewissheit vollzieht sich regelmäßig auf zwei, in asymmetrischer Wechselwirkung stehenden Ebenen: grundlegend im Alltag der Lebenswelt und dann auf dem Boden von deren Ergebnissen auch in bereichsspezifisch-elaborierten Gestalten. Heute ist – insbesondere im Kreis der akademisch ausgebildeten Elite – die Ansicht verbreitet, dass »Bildung« durch die Kommunikation der elaborierten Gestalten von praktischer Gewissheit, also »durch Wissenschaft« erfolge.24 Auf welches Lebensphänomen verweist hier die Rede von »Bildung«? Bestenfalls auf den Gesamtbestand an handlungsleitenden (praktischen) Gewissheiten, die einem Menschen im Laufe seiner Bildungsgeschichte zuteil geworden sind und ihn fähig machen zu eigenverantwortlicher Teilnahme am Zusammenwollen und Zusammenwirken unter und mit anderen in seiner jeweiligen Lebens- und Handlungsgegenwart.25 Dann aber kann und darf die Rede von »Bildung durch Wissenschaft« keineswegs so verstanden werden, als würde Menschen überhaupt erst durch Wissenschaft (im Sinne einer bereichsspezifisch-elaborierten Kommunikation von handlungsleitender Erwartungsgewissheit) diejenige Bildung zuteil, die seine Interaktionsfähigkeit begründet. Vielmehr wird jedem Menschen dieser Bestand an interaktionsermöglichendem Erwarten der Zuverlässigkeit von Erwartungen im Laufe seiner Sozialisation durch die Teilnahme am Alltag seiner Lebenswelt zugespielt. Erst diese vorwissenschaftlich konstituierte handlungsleitende Selbst-, Lebens- und Weltgewissheit ist es, die ihrerseits die Bemühungen um bereichsspezifisch-elaborierte, also wissenschaftliche Präzisierung und Erweiterung solcher vorwissenschaftlich-lebensweltlich konstituierten Erwartungsgewissheit zu motivieren und zu orientieren vermag. Alle bereichsspezifischelaborierte, also »wissenschaftliche« Gewissheitserweiterungsbemühung verbleibt ihrerseits auf dem Boden dieses Motiviert- und Orientiertseins durch vorwissenschaftlich konstituierte praktische Selbst-, Lebens- und Weltgewissheit, von dem sie sich nie zu emanzipieren vermag. Menschen werden nicht erst durch Wissenschaft mit sich selbst und ihrer Welt vertraut, sondern betreiben Wissenschaft nur als solche, die immer schon durch ihr Sich-selbst-als-Teilnehmer-von-Alltagsinteraktion-Erleben mit sich selbst und ihrer Welt bekannt sind.26 Das allerdings schließt nicht aus, dass die Ergebnisse von »Wissenschaft« dann ihrerseits den lebensweltlichen Alltag so prägen, dass das auf den Inhalt der vorwissenschaftlichen Selbst- und Weltgewissheit der Menschen zurückwirkt – im Extremfall bis dahin, dass der lebensweltliche Alltag seinen Teilnehmern schon die Wahrnehmung der durchgehenden Abhängigkeit des gesamten Betriebs von Wissenschaft von vorwissenschaftlichen handlungsleitenden Erwartungen verstellt und statt dessen den – nota bene: selbst vorwissenschaftlichen – Eindruck erweckt, erst durch Wissenschaft (nämlich Physik und Biologie) mit Welt, Leben und Menschsein bekannt geworden zu sein.27

      Wissen, das gemeinsames Handeln leitet, hat also stets und überall die formale Gestalt von geteilter praktischer Gewissheit, die in den dafür erforderlichen Institutionen ihrer alltagsweltlichen und bereichsspezifisch-elaborierten Kommunikation zustandekommt, erhalten und fortgeschrieben wird.

      Nun seine universalen Inhaltsmerkmale: Auch sie ergeben sich aus einer unabweisbaren Zumutung des zu-verstehen vorgegebenen Realen (der dauernden Gegenwart des Zusammenlebens selbst), nämlich aus der Zumutung, das Zusammenleben in den vier gleichursprünglichen Beziehungsdimensionen des Selbst-, Umwelt-, Welt- und Weltursprungsverhältnisses vollziehen zu müssen. Aufgrund dessen existiert das für gemeinsames Handeln erforderliche gemeinsame Erwartungswissen (Erwartender Zuverlässigkeit von Erwartungen) stets in drei gleichursprünglichen Gestalten mit einer je unterschiedlichen Art von Inhalt:28

      Erste Gestalt: Wissen über die realen Wirkregeln im Werden unserer Umwelt29

      – und zwar einerseits unserer menschlichen Umwelt, die in das sie bedingende Im-werden-Sein der nichtmenschlichen Umwelt eingebettet ist, das heißt Wissen über die Regeln des menschlichen Zusammenlebens, also über Kultur und ihre Geschichte; und stets auch zugleich

      – andererseits Wissen über unsere nichtmenschliche Umwelt im Werden, die nur vermittelst der personalen für uns zugänglich ist, also Wissen über die nichtmenschliche Natur und ihre »Geschichte«.30

      Zweite Gestalt: Wissen über die Bedingungen des Im-werden-Seins aller überhaupt möglichen realen Gestalten menschlicher Umweltbeziehungen, also Wissen über diese unsere Welt, d. h. über den Möglichkeitsraum allen innerweltlichen Werdens in der asymmetrischen Wechselbeziehung von menschlicher Kultur und nichtmenschlicher Natur.

      Dritte Gestalt: Wissen um die Kontingenz des Realseins dieser unserer Welt im Unterschied zu möglichen anderen,31 ein Wissen also, das stets Annahmen über den Grund des Realseins dieser Welt, den Ursprung und das Ziel ihres Realseins, einschließt; und zwar Annahmen die entweder diesen Grund von der durch ihn begründeten Welt unterscheiden oder nicht (und somit das Kontingentsein dieser Welt ignorieren und sie damit de facto [u. U. unbewusst] absolut setzen). Das Aufschieben oder Vermeiden einer expliziten Entscheidung dieser Alternative ändert am Realsein der Alternative gar nichts.

      In jeder dieser inhaltlichen Bestimmtheiten wahrt das gemeinsame Wissen seine einheitliche Form als zuversichtliches Erwarten aufgrund erinnerten Bewährtseins von Erwartungen: also als praktische Gewissheit, die das gemeinsame Wollen und Wirken der Menschen, ihren gemeinsamen Ausgriff auf ihre ausstehenden Möglichkeiten, orientiert und motiviert; und dies stets in allen drei materialen Bestimmtheitsgestalten zugleich und in gegenseitiger Wechselbedingung:

      – Praktische Weltgewissheit ermöglicht dem realen Zusammenleben von Menschen die Erkenntnis seiner innerweltlichen Identität, d. h. seines unverwechselbaren Ortes in der Welt, im währenden Für-es-selbst-Gegenwärtigsein des Gewordenseins-und-im-werden-Bleibens des Menschseins, also in der »Geschichte« von menschlicher Kultur und nichtmenschlicher Natur.32

      – Praktische Gewissheit über das Umweltverhältnis-im-Werden (in der Einheit der Wechselbedingung zwischen menschlicher und außermenschlicher Umwelt) orientiert und motiviert die Wahl von Wegen (oder: »Pfaden«) des Zusammenlebens zu gewählten Zielen.

      – Praktische Gewissheit der Kontingenz des Realseins unserer Welt samt den darin eingeschlossenen verschiedenen möglichen Annahmen über seinen Ursprung und sein Ziel, also über seine reale Bestimmung (Destination), orientiert und motiviert die Zielwahl. Wobei gilt: »Ziel« ist erst derjenige Zustand menschlichen Lebens, der nicht um eines anderen, sondern um seiner selbst willen angestrebt wird, das reale non plus ultra, der unüberholbare Letztzustand menschlichen Seins, sein Eschaton. Und dessen Erwartung hängt ab von der Alternative, unter der die Annahmen über Ursprung und Ziel des Imwerden-Seins unserer Welt stehen: entweder zwischen dieser Welt und

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