Christentum und Europa. Группа авторов

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Christentum und Europa - Группа авторов Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie (VWGTh)

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etwas vom Sinn und von der Wahrheit dieses Zeugnisse aufgegangen ist,55 so dass sie sich (und anderen) eingestehen können und müssen: »Eia, vere sic est!«,56

      – die sich dadurch in die Glaubensgemeinschaft hineinversetzt finden

      – und nun im Lichte dieser ihrer nun christlich gebildeten praktischen Welt- und Weltursprungs- und -ziel(also Gottes-)gewissheit ihre je besondere Aufgabe im Zusammenleben, also im gemeinsamen Wollen und Wirken mit Glaubenden und Nichtglaubenden, durch die undelegierbare Eigenverantwortlichkeit ihrer individuellen Ziel- und Wegewahlen gerecht zu werden suchen.

      Wie zahlreich diese Einzelnen sind, bleibe dahingestellt. Ich gehe aber davon aus, dass es sie gibt (mit der letzten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD).57

      Ihre christlich gebildete Welt- und Gottesgewissheit macht diese Menschen zuerst und zuletzt zu Gliedern der weltweiten Gemeinschaft der Glaubenden. Das schließt ihre Gewissheit, Europäer und Deutsche, Polen, Ungarn, Franzosen etc. zu sein, nicht aus, relativiert aber diese nationale Zugehörigkeit auf die weltweite Gemeinschaft der christlichen Gewissheit.58 In dieser Selbst-, Welt- und Weltzielgewissheit sagt sich der Christ freilich nicht vom Gemeinwesen seines Heimatlandes los, sondern übt mit ihm kritische Solidarität: Zur Zeit und zur Unzeit nennt er handlungsleitende Sichtweisen des Menschen, seiner Welt und seiner Bestimmung, die er als unklar, abstrakt, unvollständig oder irrig durchschaut, als solche beim Namen, einschließlich aller darin eingeschlossenen Sichtschranken, wie vor allem der dominierenden Engführung des für das bestimmungsgemäße Zusammenleben leibhafter Personen erforderlichen handlungsleitenden Erwartungswissens auf Scienceprodukte. Im Kontext dieser dominierenden Fehlkonzeptionen der Gegenwartsgesellschaft als Wissensgesellschaft und gegen sie bekennt das gelebte Christentum in Wort und Tat seine konkrete Einsicht, dass die – nicht aus den Sciences stammende sondern ihnen vorgegebene – dauernde (währende) Gegenwart des Seins und Zusammenlebens von Menschen selber der Möglichkeitsgrund allen menschlichen Wissens (also gewissen Erwartens) ist, darunter auch des aus den sciences stammenden, und diesem seinen Platz im Zusammenhang des größeren Ganzen aller Gestalten des für Menschen möglichen und unverzichtbaren Wissens (gewissen Erwartens) zuweist (und es durch diese Platzanweisung »relativiert«).

      Diese Stellung in der Wissensgesellschaft der Neuzeit behauptet das gelebte Christentum auf deren beiden Ebenen: auf der Makroebene (3.2) und auf der Mikroebene des Alltags (3.3) – und auf beiden Ebenen nicht ohne die Hilfe der Theologie und ihrer gewissheitsexplikativen Leistungen.

      3.2 Auf der Makroebene ist die institutionelle Präsenz der Glaubensgemeinschaft in ihren unterschiedlichen Organisationsgestalten unverzichtbar. Stets kommt es darauf an, dass Verkündigung und Lehre der Gemeinschaft inhaltlich den Beitrag zu derjenigen fundamentalanthropologischen Debatte durchhalten, die mit dem Eintritt der biblischen Sicht von Ursprung und Bestimmung des Menschen und seiner Welt in Gottes Wollen und Wirken in die antike Wissensgesellschaft einsetzt, durch das altkirchliche Dogma ihre Konkretisierung und im Mittelalter ihre schulmäßige Entfaltung erfährt, deren für das nachmittelalterliche Europa maßgebende Neuauflage mit der Renaissance einsetzt und dann ein halbes Jahrhundert später durch die reformatorische Theologie intensiviert und zugespitzt wird, anschließend auch das faktische Zentrum des sich seit dem zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts verselbständigenden Diskurses der Philosophie neben der Theologie bleibt und nach der am Ende des 18. Jahrhunderts einsetzenden wechselseitigen Befruchtung zwischen Philosophie und Theologie bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts eine dreifache Grundeinsicht zunehmend klar hatte hervortreten lassen:

      – 1. Die kritische Einsicht, dass mit und in ihrem eigenen Sein (dem realen Dauern der Gegenwart des Zusammenlebens leibhaft-innerweltlicher Personen) den Menschen alles Reale gegeben ist, das ihnen überhaupt zu-verstehen (zu begreifen und mitzugestaltenden) gegeben ist; vorbei an dieser Grundgegebenheit ist ihnen gar nichts (zu-verstehen) gegeben.59

      – 2. Der elaborierte Begriff dieser Vorgegebenheit (also der Begriff der dauernden Gegenwart des Zusammenlebens von Menschen als leibhaften Personen) erfasst somit diejenigen transzendentalen Bedingungen, die den Menschen ihr Sich-selbst-Verstehen ermöglichen und zugleich unabweisbar zumuten. Sie sind also allen möglichen Vollzügen menschlichen Sich-selbst-Verstehens vorgegeben als der Möglichkeitsraum, hinter den keiner zurück und über den keiner hinaus kann.

      – 3. Diese Welt-des-Menschen (dieses Dauern der Gegenwart des Zusammenlebens von Menschen) ist kontingent, das reale Exemplar möglicher anderer Welten, verweist also selbst auf die weltübergreifende Sphäre, in der sie als diese bestimmte durch die Macht über ihren Ursprung verwirklicht und zielstrebig erhalten wird.

      An dieser Debatte hat die Theologie, nicht zuletzt die reformatorische, teilgenommen und ihr Ergebnis durch systematische Entfaltung der biblischen Sicht unserer Welt als Geschöpf des Gemeinschafts- und Versöhnungswillens ihres Schöpfers durch zwei Hinweise ergänzt:

      – Erstens: Das Bild des Menschseins in seiner ihm vorgegebenen Welt bleibt ambivalent, solange nicht die Qualität des Ursprungs und Ziels von Welt zum Inhalt praktischer Gewissheit geworden ist. Gewährt ist solche Gewissheit dem durch die Christusbegegnung geöffneten Blick auf die dauernde Gegenwart des menschlichen Zusammenlebens als Verwirklichung des Welt schaffenden und erhaltenden Gemeinschafts- und Versöhnungswillens Gottes, die also faktisch immer und überall auf das Kommen ihres Eschatons bezogen ist.60

      – Zweitens: Diese faktische Zielstrebigkeit von Welt wird erst zu expliziter praktischer Gewissheit durch unverfügbare Erschließungsereignisse, die aber – unbeschadet ihrer Unverfügbarkeit – dennoch praktische Gewissheit schaffen.61

      Nota bene: Auf dem variantenreichen Weg zu diesem Ergebnis hat es keinen Konflikt mit den in diese Zeit fallenden epochemachenden Anfängen der modernen Naturwissenschaft und des technologieorientierten Forschens gegeben. Die Kopernikus, Kepler, Galilei, Francis Bacon, Newton haben ihre wissenschaftlichen Einsichten nicht als Infragestellung des Vorgegebenseins der Weltdes-Menschen verstanden und betrieben, sondern als Ergreifung von Möglichkeiten des Erwerbs von Wissen über das menschliche Umweltverhältnis im Werden, seine Bedingungen und Wirkregeln, und als völlig legitime, ja gerade von der biblischen Sicht dieser Welt-des-Menschen freigegebene Steigerungen von Handlungsmacht, die als solche Möglichkeiten des Wissenserwerbs eben mit und in diesem Möglichkeitsraum des menschlichen Zusammenlebens vorgegeben sind.62

      Erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts hat eine andere Sicht des Menschseins zunehmend Maßgeblichkeit beansprucht und erlangt: die (schon angedeutete) aus den Sciences stammende Sicht.63 Für diese ist das Menschsein nicht ein solches, mit und in dem die Bedingungen allen möglichen menschlichen Wissens diesem immer schon zu-verstehen vorgegeben sind, sondern ein Sein, das dem Menschen erst durch Wissen gegeben wird, und zwar genau durch das Wissen der Sciences:64 eben sein Wesen als das einer biologischen Spezies, die durch die Entwicklung in nichtmenschlicher Umweltbezogenheit hervorgebracht ist und von anderen Spezies unterschieden durch überlegene Datenverarbeitungsfähigkeit und entsprechend überlegene Fähigkeit zu planvollem Wirken, das nun konsequent auch auf ihn (den Menschen) selber zielt als Optimierung seiner Lebensbedingungen, seiner biotischen mittels Gentechnik und seiner sozialen mittels elektronischer Datenverarbeitung. Dass dieser Weg dem so verstandenen Sein des Menschen widersprechen könnte, ist für diese Sicht ausgeschlossen, weil für sie dieser Weg selbst Ausdruck des Wesens des Menschen als des intelligentestes Tieres ist; und für diese Sicht ebenfalls ausgeschlossen ist, dass dieser Weg das Ziel des Menschseins verfehlen könnte, weil er selbst das Ziel ist.

      Der israelische Historiker Yuval Noah Harari konstatiert in seinen beiden Bestsellern »Sapiens. A Brief History of mankind« (2011) und »Homo Deus. A short history of tomorrow« (2016) als die Signatur der Gegenwart

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