Christentum und Europa. Группа авторов

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Christentum und Europa - Группа авторов Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie (VWGTh)

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sondern nur konsequent für eine Sicht des Menschen, die diesen als Produkt der Evolution von nichtmenschlichem Sein im Blick hat.66 Denn – wie von Darwin betont wird – »Der Mensch macht in der Evolution der nichtmenschlichen Natur keine Ausnahme.«67

      Demgegenüber hält die christliche Gemeinschaft fest an der christlich präzisierten Version der alteuropäischen Sicht (soweit diese keine andere ist als die systematisch entfaltete Gestalt der biblischen Sicht)68 und behauptet: Die Naturwissenschaft macht keine Ausnahme; sie ist eine Hervorbringung menschlicher Kultur wie alle anderen und steht unter denselben Möglichkeitsbedingungenwie diese alle.69

      Das kann die christliche Gemeinde nur mit Hilfe von Theologie, die den nicht sinnlich manifesten (als Datum oder Datenmenge aufzeichenbaren), wohl aber erlebbaren Gegenstand des fixen Textes der gottesdienstlichen Leseschriften und der regula fidei kommunikativ aufzeigt, ihm »zu sehen« gibt und beschreibt.70 Dieser Gegenstand der Texte, ihre res, ist nun aber nichts anderes als eine hinsichtlich ihres Zustandegekommenseins und ihres Inhalts unverwechselbare Gestalt menschlicher Gewissheit über die Verfassung unserer Welt, ihren Ursprung und ihre ursprüngliche Bestimmung. Diese bezeugte Gewissheit wird von der Theologie nicht argumentativ hervorgebracht, sondern expliziert: beschrieben und entfaltet. Insofern arbeitet Theologie gewissheitsexplikativ.

      Diese Explikationsaufgabe kann sie freilich nur lösen, indem sie die in den festen Texten des Kanons der Überlieferung71 bezeugte Gewissheit, ihr Zustandekommen und ihren Inhalt, in permanent neuen Situationen und unter wechselnden kommunikativen Umständen beschreibt und damit als eine solche, deren Grund und Gegenstand so beschaffen ist, dass er immer neuen Situationsbedingungen gerecht wird. Die von Theologie verlangte gewissheitsexplikative Leistung kann also nie abschließend erbracht werden, sondern nur in dauernder situationsbezogener Wiederholung und Variation. Was nichts anderes heißt, als dass die gewissheitsexplikative Leistung der Theologie selbst in den Fortgang der Wirkungsgeschichte des zu explizierenden Gewissheitszeugnisses als eine unverzichtbare Bedingung ihres Fortgangs mit hineingehört. Dadurch kommt ihr unvermeidlich auch eine die Gewissheitsexplikation zunehmend konkretisierende Funktion zu – die jedoch nie selbst gewissheitskonstituierend wird: Die Wirkung der theologischen Gewissheitsexplikation bei ihren Adressaten bleibt, auch wenn sie zunehmend konkret wird, immer unverfügbar und an Evidenzereignisse gebunden, die den einzelnen Adressaten des Evangeliums durch ihr alltägliches Sich-selbst-Erleben-im-Zusammensein mit anderen zugespielt (oder eben vorenthalten) werden.

      Aber nicht nur der spezifische, unverwechselbare Charakter der in Kanon und Glaubensbekenntnis bezeugten christlichen Welt-, Weltursprungs- und Weltzielgewissheit ist von Theologie zu explizieren, sondern zugleich auch deren exemplarischer Charakter: als spezifische Ausprägung eines gewissen Erwartens – gerichtet auf die Welt und ihr Eschaton –, ohne das das menschliche Zusammenleben überhaupt nicht möglich ist, weil diesem mit seiner dauernden Gegenwart sein eigenes Sein zu-verstehen vor- und aufgegeben ist als Zusammenleben in der Gleichursprünglichkeit von personalem Selbst-, Umwelt-, Welt- und Ursprungsverhältnis, so dass dieses Zusammenleben daher stets ein bewährtes gemeinsames Erwartungswissen (praktische Gewissheit) in der beschriebenen dreifachen Gestalt verlangt, das

      – als gemeinsame praktische Weltgewissheit gemeinsame Identifikationen ermöglicht, sowie

      – als gemeinsame Letztzielgewissheit Zielwahlen und

      – als aus den sciences stammende Regelgewissheit über das Umweltverhältnisim-Werden Wegewahlen leitet.72

      So insistiert Theologie, indem sie den exemplarischen Charakter der christlichen Welt- und Weltzielgewissheit deutlich macht, darauf, dass es überhaupt keine Interaktion von menschlichen, leibhaft-innerweltlicher Personen gibt ohne eine solche zielwahlleitende praktische Gewissheit und darum auch nicht außerhalb eines jeweils durch eine solche fundierten Ethos: keine politische Interaktion, keine wirtschaftliche Interaktion und keine Interaktion, die dem Erwerb und der der Kommunikation von gemeinsamen handlungsleitenden praktischen Gewissheiten – seien sie wegewahlleitend oder zielwahlleitend – dient. Alles dies vollzieht sich zwischen Menschen – immer und überall – innerhalb des jeweiligen »Ethos«, das für sie aufgrund ihrer Bildungsgeschichte herrschend geworden ist.73

      Und indem Theologie zugleich die unverwechselbare Spezifität der christlichen Welt- und Gottesgewissheit (also Weltzielgewissheit) expliziert, expliziert sie das Fundament des christlichen Ethos, das die Interaktion von Christen mit Christen und Nichtchristen in allen Grundfunktionsbereichen leitet, also

      – christliches Zielwählen in Politik, Gesetzgebung und Rechtswaltung,

      – christliches Zielwählen im Bereich des Wirtschaftens,

      – christliches Zielwählen im Betrieb von sciences (»Die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang«)

      – christliches Zielwählen im Diskurs der christlichen mit anderen Weltanschauungs- und Ethosgemeinschaften.74

      Als eine solche Ethosgemeinschaft setzt sich die Glaubensgemeinschaft nicht mit dem Gemeinwesen gleich, macht aber darauf exemplarisch aufmerksam, dass es überhaupt keine Interaktion außerhalb eines bestimmten Ethos gibt, und fragt damit alle Nichtchristen nach ihrem Ethos und dessen Fundamenten und tritt heute ein für ein Gemeinwesen mit unrestringiertem Pluralismus:75

      Die Devise »Von der Konkurrenz zur Kooperation« gilt für das Verhältnis von Christentum und Sciences nur, solange Selbstmissverständnisse auf beiden Seiten herrschen. In Wahrheit gilt diese Devise ausschließlich für das Verhältnis zu anderen Weltanschauungs- und Ethosgemeinschaften und den Institutionen ihrer Gewissheitskommunikation und -explikation (innerhalb deren sich – wiederum das Vermiedensein von Missverständnissen vorausgesetzt – dieselbe Nichtkonkurrenz zwischen ethosfundierender, nämlich zielwahlleitender Weltursprungs- und Weltzielgewissheit und wegen bleibender Regelgewissheit wiederholt) – jedenfalls sofern diese anderen Weltanschauungs- und Ethosgemeinschaften selbst pluralismusfähig sind, indem sie ihre besondere perspektivische Sicht der universalen Bedingungen des Menschseins von deren uneinholbarem, alle umfassendem Vorgegebensein und zu-verstehen-Gegebensein für sie und alle anderen Positionen unterscheidet.

      3.3 Soweit zur Präsenz der christlichen Ethosgemeinschaft und ihrer Gewissheitskommunikation auf der Ebene der gesamtgesellschaftlichen Ordnung. Sie ist aber auch im Alltag präsent.

      Es ist nicht nur dogmatisch,76 sondern auch empirisch falsch,77 dass individuelles christliches Leben im Gegensatz zum Leben der Glaubensgemeinschaft oder gar unabhängig von ihm real sein könnte oder wäre. Vielmehr orientieren die Einzelnen die eigene Wahl ihrer individuellen Lebenswege jeweils an ihrer eigenen individuellen Aneignungsgestalt derjenigen Sicht der Welt und ihres Ziels, die ihnen in der Glaubensgemeinschaft als die gemeinsame zu verstehen gegeben wird. Und das geschieht vor Ort: nämlich fundamental, umfassend und auf Dauer im örtlichen Gottesdienst im Kirchenjahr:

      Von Advent bis Trinitatis bezeugt der die Wahrheit des Lebenszeugnisses Jesu für das Dauern der Gegenwart unseres Zusammenlebens als die in Selbstverwirklichung begriffene Herrschaft Gottes über seine Schöpfung; und er feiert das Aufgehen der Wahrheit dieses Evangeliums als das Licht auf dem Weg, den jeder Einzelne zu gehen hat. Art und Ziel dieses Weges bedenkt die zweite Hälfte des Kirchenjahrs: seine Eigenart als des Weges, der zuerst und zuletzt Gottes eigener Weg ist, auf dem dieser selbst noch unterwegs und im Kommen ist zu seinem Ziel: der Vollendung der geschaffenen Welt-seines-Ebenbildes, ihrem Ganz- und Fertiggewordensein. Weil auf dieses Ziel gerichtet (nämlich das Ziel des geschaffenen Ebenbildes Gottes), ist der Weg Gottes ipso facto der Weg, den jeder Mensch eigenverantwortlich mitzugehen hat: und zwar dem Ziel Gottes entgegen, das auch das objektive Ziel jedes Menschen ist: die Hineingeburt seines im Mutterschoß dieser Welt ganz- und fertiggewordenen

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