Christentum und Europa. Группа авторов

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Christentum und Europa - Группа авторов Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie (VWGTh)

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die zentrale Festlegung aller Lerninhalte (also auch des Unterschieds zwischen dem zentral für relativ wichtig und dem für relativ unwichtig Gehaltenen) und zugleich die lückenlose zentrale Beobachtung (und damit auch die faktische zentrale Kontrolle) des unterrichtlichen Umgangs von Schülern und Lehrer mit diesen Inhalten.47

      Beispiel 3: Die Gegenwartsgesellschaft als Wissensgesellschaft aus der Perspektive von Science im Bunde mit Technik – Hier wird die für die »Wissensgesellschaft« konstitutive Abhängigkeit von handlungsmachtsteigerndem Wissen aus den Sciences noch gesteigert vorgestellt: Die durch Scienceerfolge hervorgebrachten Techniken des Eingriffs in die genetische Ausstattung von Organismen und der Speicherung und Verarbeitung großer Datenmengen bringen eine Gestalt des Zusammenlebens hervor, in der dessen evolutionär gewachsenen organischen und kulturellen Bedingungen durch technisch erzeugte, künstliche Bedingungen aus dem Zusammenspiel von Gentechnik und Datenverarbeitungstechnik zunehmend ersetzt, die Menschen also biochemisch optimiert und kulturell von vielen anstrengenden Intelligenzleistungen (genau Datenerfassungs-, -speicherungs- und -verarbeitungsleistungen) entlastet werden.48

      Beispiel 4: Auch hinsichtlich der in ihr stattfindenden Lebenssinnkommunikation wird die Gegenwartsgesellschaft als »Wissensgesellschaft« proklamiert: Nicht bestritten wird zwar, dass es (aus religiös-theologischen und weltanschaulich-philosophischen Traditionen stammende) Annahmen über den Möglichkeitsraum »Welt« und sein Eschaton gibt, die nicht aus den Sciences stammen und eine lebenspraktische Rolle spielen, aber »Wahrheit« ist im Blick auf solche Annahmen nur durch ihre scientifische Betrachtung aus der Perspektive empirischer Psychologie und Soziologie oder auch der Hirnphysiologie zu gewinnen, die nach der psychischen und sozialen und neuronalen Funktion solcher Annahmen fragt. – Darüber hinaus wird aber auch behauptet – nicht unwidersprochen, aber doch mit großer Resonanz –, dass die Science und ihre Ergebnisse selbst schon die Wahrheit über unsere Welt und ihr Eschaton bieten. »Wissensgesellschaft« ist die moderne Gesellschaft damit auch insofern, als hier alle Selbstidentifikationen und Zielwahlen durch eine »wissenschaftliche Weltanschauung« (und Eschatologie) geleitet werden.49

      2.3 Diese Verhältnisse auf der Makroebene prägen auch die Mikroebene, den lebensweltlichen Alltag:

      In der Teilnahme am wirtschaftlichen und politischen Leben dominiert effektivitätssicherndes Fakten- und Regelwissen. Auch im persönlichen Verkehr, in Familie, Freundschaft und Bekanntschaft, kommt als »Wissen« nur solches Fakten- und Regelwissen in Betracht – wenngleich es in diesen Beziehungen auch immer wieder zurücktritt gegenüber dem Austausch von Befindlichkeiten aus dem Selbsterleben und Erleben von Beziehungen, freilich stets nur unter dem Titel von subjektivem »Eindruck«, »Gefühl« und »Meinung«. Erst Konstellationen des Selbsterlebens, die als Problem empfunden werden, sollen Inhalt eines handlungsleitenden Wissens, einer praktischen Gewissheit werden; dies dann aber wiederum unter Rückgriff auf Scienceprodukte: nämlich die Diagnose- und Hilfsangebote von Pädagogik, Psychologie und (sofern »sicher« wirkende Lösungen erstrebt werden) der Medizin.50

      Für das in den einschlägigen Gemeinschaften (exemplarisch der christlichen) überlieferte Gewissheitszeugnis über Ursprung, Verfassung und Ziel des Möglichkeitsraums menschlichen Lebens, der Welt-des-Menschen, wird der Status als unverzichtbarer Teil handlungsleitenden Erwartungswissens und der damit verbundene Wahrheitsanspruch außerhalb der Binnenöffentlichkeit dieser Gemeinschaften gar nicht mehr vertreten und weithin nicht einmal mehr innerhalb ihrer – entweder in zustimmender Übernahme der modernen Reduktion von praktischer Gewissheit auf Scienceprodukte, oder aus Furcht vor dem Vorwurf, unaufgeklärt, grundlos und friedensstörend einen Wahrheitsanspruch für Überzeugungen zu erheben, die nicht durch »Wissenschaft« (science) erzeugt sind.

      Fazit: Auf allen Ebenen und in allen Bereichen der Gegenwartsgesellschaft werden als »Wissen« so gut wie ausschließlich Produkte der Science thematisiert. Und diese auch nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel zur Begründung und Ausweitung von auf Kultur und Natur zugleich zielender Kontroll- und Gestaltungsmacht, die ihrerseits das Fundament von Ansehen, Autorität und Führungsmacht ist. »Wissensgesellschaft« ist die Gegenwartsgesellschaft nicht in dem Sinne, dass sie auf Wissen und Wahrheit als Ziel (als Selbstzweck) gerichtet wäre, sondern in dem Sinne, dass es ihr um Wissen und Wahrheit als Fundament und Instrument von Macht geht, die in Konkurrenz obsiegt.

      Und zwar nicht nur innerhalb der Gesellschaften und zwischen ihnen, sondern ebenso im universalen Konkurrenzkampf der Evolution. Denn zufolge dessen was die Sciences seit Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute über den Menschen sagen, ist dieser Gewinner der Evolution, weil er das Tier mit überlegener Fähigkeit zu zielsicherem Wirken aufgrund entsprechenden »Wissens« ist.

      Aktuell verlangt zwar die scientific community selber, dass die »rote Linie« für die Steigerung von Handlungsmacht eröffnendem Wissen oder zumindest für seine Anwendung bestimmt werde.51 Aber soweit gilt, dass diese Linie nur im Horizont der aus den Sciences selbst stammenden Sicht des Menschen als des durch die Evolution zur Selbstoptimierung seiner Biochemie und Rechenleistungen befähigten Tiers zu finden ist, läuft dieser Ruf faktisch auf den Appell hinaus, endlich wissenschaftliche Forschung und die durch sie eröffneten Optimierungstechniken von rechtlichen Beschränkungen zu befreien.52

      Etwas anderes wäre nur im Horizont eines Verständnisses des Menschseins, seiner Eigenart und Würde, möglich, das nicht aus den Sciences stammt, sondern umgekehrt das Menschsein, seine Eigenart und Würde, als den Sciences vorgegebene Bedingung der Möglichkeit von deren Betrieb beschreibt, hinter die die Forschung und die Anwendung ihrer Ergebnisse nicht zurück und über die sie nicht hinauskommen, die sie vielmehr als diese ihre eigene Möglichkeitsbedingung nur entweder achten oder missachten können. Auch solches Wissen über die universalen Bedingungen des Seins und Zusammenlebens von Menschen werden in unserer Gegenwartsgesellschaft kommuniziert – nämlich in Gestalt der aus dem Sich-selbst-Erleben-im-Zusammensein-mit-anderen im lebensweltlichen Alltag stammenden vorwissenschaftlichen Welt- und Lebensgewissheit der Menschen und dann (in meinen Augen besonders eindrucksvoll) in den reflexiv-philosophischen Beschreibungen der menschlichen Grundsituation in Phänomenologie und Pragmatismus (sowie in der ihnen methodisch folgenden theologischen Fundamentalanthropologie). Hier überall kommt das Menschsein als währendes Existieren (Ihm-selbst-gegenwärtig-Sein) von leibhaft-innerweltlichen Personen in der ursprünglichen Einheit des personkonstitutiven asymmetrischen Gefüges von Selbst-, Umwelt-, Welt- und Ursprungsbezogenheit in den Blick, so dass die Herausforderungen und Möglichkeiten der Menschen, sich im Umweltverhältnis zu verstehen, realistisch, also entsprechend ihrem relativen Ort im Gesamtgefüge, wahrgenommen werden könnten. Aber diese Einsichten sind nie gemeint, wenn von unserer Gegenwartsgesellschaft als »Wissensgesellschaft« die Rede ist. Und das nicht von ungefähr, denn für ein solches Wissen vom Sein und Zusammenleben, also der Welt, leibhafter Personen als der Möglichkeitsbedingung für die Arbeit der sciences, kann eben nicht Wahrheit im Sinne von »wissenschaftlicher« Wahrheit, im Sinne von Wahrheit-aus-densciences, behauptet werden. Und genau deshalb hat dieses Element der praktischen Gewissheit in der »Wissensgesellschaft der Neuzeit«, weil und insofern diese sich als eine allein an Wahrheit-aus-den-Sciences orientiert, einen prekären Stand.53

      Den teilt das Christentum.

       3. Das Christentum in der Wissensgesellschaft der Neuzeit

      3.1 Zunächst: Welches Christentum ist gemeint? Jedenfalls das gelebte, das jeweils das Leben von Einzelnen-in-Gemeinschaft ist.54 Nämlich von Einzelnen, denen

      – nach Begegnung mit der in der christlichen Glaubensgemeinschaft (gleich welcher konfessionellen Prägung und organisatorischen Gestalt) kommunizierten biblischen, im Evangelium seine Spitze besitzenden, Sicht auf die Gegenwart von Welt, Zeit und Geschichte

      –

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