Christentum und Europa. Группа авторов

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Christentum und Europa - Группа авторов Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie (VWGTh)

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der jüngeren Forschungslage wird man sogar von einer wechselseitigen Faszination ausgehen dürfen: Christian Schwarke hat darauf hingewiesen, dass es nicht nur in der Philosophie, sondern auch von der Physik bis zu den Neurowissenschaften seit den 1990er Jahren auffällig viele Publikationen gibt, die den Gottesbezug im Titel tragen, und Michael Bergunder hat auf einem der früheren Kongresse das Verhältnis moderner Wissenschaft zur Esoterik nachgezeichnet.11 Besonders Forschungsfelder in der Theoretischen Physik wie z. B. die String-Theory / High Energy Physics zeigen eine hohe Nähe zu metaphysischen und spekulativen Denkmodellen und setzen sich explizit mit kosmologischen Fragestellungen auseinander.12 An dritter Stelle sei auf den Beitrag von Dirk Evers verwiesen, der erläutert, inwiefern die in den Naturwissenschaften ihrerseits artikulierten Irritationen über deren eigene Fachkonstellationen geradezu mit der Bitte um Hilfestellung für eine wissenschaftstheoretische und hermeneutische Selbstdeutung einhergehen.13

      Ein Grund für die wechselseitige Attraktion dürfte darin liegen, dass die einst die Forschungsfelder definierenden Disziplinen inzwischen abgelöst sind durch Forschungskonstellationen, die sich an fächerübergreifenden Sachinteressen (Clusterbildung) einerseits, aber andererseits auch an Denktypen und (nur undeutlich bzw. implizit artikulierbaren) Vergewisserungssehnsüchten ausrichten: Dass sich historische, analytische, hermeneutische, ontologische oder empirische Denktypen innerhalb der Theologie jeweils vergleichsweise problemlos auf internationaler Ebene treffen, wissen wir seit Langem; es gilt ebenso für die interdisziplinären Konstellationen samt der zugehörigen Förderinstitutionen, wie z. B. der Templeton Foundation und ihrer Vorliebe für Projekte, die mit ontologischen oder empirischen Fragen das Realismusproblem bearbeiten; in der aktuellen Bioethik zeigt es sich z. B. an den differenten und konfliktanfälligen Positionierungen im Deutschen Ethikrat oder in kleinteiligeren Ethik-Konsilen, in denen sowohl im Blick auf neue Forschungs- und Therapieprozesse als auch auf Einzelfall-Entscheidungen zwar hochgradig differente Positionierungen durchgearbeitet werden müssen, genau dies aber die Notwendigkeit der Kooperation erst hervorhebt. Denn Deutungsmachtkonflikte im Sinne eines oppositionellen Konfliktes entstehen primär dort, wo die Deutungszuständigkeit ungeklärt oder strittig ist.14 Deutungskooperationen hingegen entstehen dort, wo die jeweils spezifische Deutungszuständigkeit anerkannt ist, aber die der Sachfrage geschuldete Intersektionalität der Deutungsperspektiven bewusst ist; Markus Mühling meint in diesem Zusammenhang sogar mit dem Toleranzbegriff arbeiten zu sollen und unterscheidet zwischen totalitären und nicht-totalitären Wirklichkeitsverständnissen bzw. Ideologien, weil es ihm um den Gedanken letzter Unverfügbarkeit von Überzeugungen bzw. (mit Eilert Herms) von Gewissheiten geht.15 Ungeachtet der asymmetrischen Problematik des Toleranzbegriffs lässt sich für die Frage nach den Gründen der Anziehungskraft zwischen Theologie und Naturwissenschaften diese Akzentuierung von Gewissheit und Vergewisserung aufnehmen und mit Christian Schwarke ergänzend als eine »Art ›Hintergrundstrahlung‹« erklären,

      »die alle Beschäftigung mit dem Thema [der Kosmologie; CR] durchzieht: Es geht um die Freiheit. Sich ihrer zu vergewissern im Blick auf die eigene Existenz, die Wissenschaft und den Glauben, [dem] dient der Rekurs auf Gott. Denn beide, Physik und Kosmologie, folgen der Intuition, dass das Ganze auch das Wahre sei. Es zu kennen oder zumindest zu wissen, wie man es erkennen könne, bedeutet danach jene Freiheit, die das Individuum beim Blick in die Unendlichkeit nicht zu sehen bekommt.«16

       II. Zur Gesprächssituation

      Die Gesprächssituation, von der ich im Folgenden ausgehe, ist exemplarisch auf das Verhältnis zwischen Theologie, Philosophie, Psychologie und Medizin bezogen, weil mir diese Konstellation seit mehreren Jahren im Kontext meiner Tätigkeit am Center for Subjectivity Research in Kopenhagen, der Tätigkeit als EU-Gutachterin und in dem seit 2014 laufenden Projekt »Resilienz in Religion und Spiritualität. Aushalten und Gestalten von Ohnmacht, Angst und Sorge«17 vertraut ist. In diesem Kontext geht es mir weniger um eine prinzipielle als um eine pragmatische Umgangsweise mit möglichen Konflikten und Kooperationsmöglichkeiten.

      Dass interdisziplinäre und internationale Forschungsprojekte erstens immer dann gelingen, wenn zwischen den beteiligten Forscherpersönlichkeiten die »Chemie« so stimmt, dass sie sich auf eine gemeinsame Sachproblematik konzentrieren können, ist eine Binsenweisheit. Dessen ungeachtet ist die wissenschaftstheoretische Frage interessant, weshalb freundschaftliche Verbundenheit so leicht die ansonsten als grundsätzlich empfundenen Differenzen in der Methodik, die disziplinspezifischen und national differenten Habitus und Usancen sowie die Anspruchs- und Geltungslogiken aufheben können. Wären diese Differenzen so prinzipiell gültig wie in konflikthaften Forschungskonstellationen häufig artikuliert wird, könnte das freundschaftliche wechselseitige Entgegenkommen ja nur um den Preis eines Verlusts an Präzision erfolgen. Der Grund liegt schlicht darin, dass allgemein und/oder kontrovers gehaltene Verhältnisbestimmungen der Theologie und der Naturwissenschaften selten über allgemeine Erwartungen und Unterstellungen positiver wie negativer Art hinauskommen (und daher verzichtbar sind), während das konkrete Forschungsproblem von vornherein die gemeinsame Fokussierung ins Zentrum stellt, an der sich vor allem selbstreflexiv lernen lässt, wie sehr die eigene methodische Zugriffsweise von blinden Flecken durchsetzt ist. So hat sich z. B. in unserem Resilienzprojekt gezeigt, dass die in den gängigen medizinischen Anamnesebögen enthaltenen Fragen zur Bedeutung von Religion und Spiritualität diese Begriffe zwar selbstverständlich und wertschätzend nennen, sie aber in keiner Hinsicht spezifizieren und damit kaum in der Lage sind, Resilienz-förderliche und Resilienzhinderliche Komponenten von Religion und Spiritualität in eine exakte Kriteriologie zu überführen; ebenso dass die gerade in psychisch bedingten Konflikten höchst relevanten Empfindungen des Ausgeliefertseins und Thematisierungen von Negativität wie deren gegenläufige Hoffnungsfiguren zutiefst durch christlich-religiöse Motive bestimmt sind, der Versuch ihrer Erhebung in den Fragebögen aber ins Leere geht, weil weder die behandelnden Ärztinnen noch die Patienten genauer sagen könnten, wovon sie eigentlich sprechen.

      Zweitens entstehen die besten interdisziplinären Forschungsprojekte deshalb dort, wo die Sachfrage zu Intersektionalitäten führt, die das wechselseitige Interesse an der Forschung der anderen wachruft. Auch das ist für viele längst eine Binsenweisheit, besonders in der Exegese. In der Systematik halte ich für besonders gelungene Beispiele z. B. die von Markus Kleinert und Heiko Schulz herausgegebene Würdigung der Religionsphilosophie Hermann Deusers, auch wenn die Beiträge noch im innertheologischen Gespräch bleiben; für den interdisziplinären Diskurs sodann die von Stephan Schaede u. a. herausgegebenen drei Bände zum Stichwort »Leben«, auch Elisabeth Gräb-Schmidts Kooperationsprojekt zum Naturbegriff, Dirk Evers’ AG Naturphilosophie oder den von Matthias Petzoldt 2012 herausgegebenen Band »Theologie im Gespräch mit empirischen Wissenschaften«.18 Freilich gelangt man zur Einsicht in die Intersektionalität zuweilen mehr oder weniger durch Zufall oder äußeren Druck. Das lässt sich ablesen an der Entwicklung der Antragsvorgaben in den Forschungsprogrammen der European Commission für die Forschungsrahmenprogramme frp 6, frp 7 und Horizon 2020. Das frp 6 war dominant auf die Qualität der Forschungsziele (»research objectives«), die Methodik und deren Innovationspotential sowie auf die Qualität der beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konzentriert, während man Aspekte der Durchführbarkeit, des Transfers und der Communication/Distribution eher nebenbei zu beantworten hatte. Im frp 7 kam hinzu die deutlich stärkere Akzentuierung der Aspekte Implementation, Transfer und Communication/Distribution, um die Chancen für internationale Nachhaltigkeit und Sichtbarkeit besser bewerten zu können. Mit Horizon 2020 wird inzwischen auch die Durchführbarkeit zu einem zentralen Kriterium erhoben, und zwar vor allem bezüglich der faktischen Interaktion mit den Forschergruppen vor Ort. Konnte man die Kooperation früher einfach als gegeben postulieren, hat man sich jetzt der simplen, aber entlarvenden Frage zu stellen: »Wie machen wir das eigentlich genau – und zwar im Detail genau, wenn wir zusammenarbeiten? Was ist bereits erprobt, was ist geplant, wo liegen Risikofaktoren?« Wo diese Fragen exakt beantwortet werden können, werden Intersektionalitäten sichtbar, die erst das wahrhaft innovative Potential des Forschungsthemas zeigen – und zwar

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