Ein Bettler baut eine Stadt. Robert Heymann

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Ein Bettler baut eine Stadt - Robert Heymann

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muß ich hier sitzen? Warum tut man mir diese ungeheuere Marter an, mir, dem die Freiheit das allerhöchste Gut auf Erden ist?

      Die Stunde stand still mitten im Räderwerk der Zeit.

      Erst erfaßte ihn qualvolle Verzweiflung. Dann, als die Tage in bleierner Schwerfälligkeit dahingingen, begann er sich mit seinem Leben auseinanderzusetzen.

      Er huldigte den Grundsätzen Spinozas: in der Natur gibt es nichts Zufälliges. Alles ist vielmehr aus der Notwendigkeit der göttlichen Natur bestimmt, auf gewisse Weise zu sein und zu wirken.

      Wenn ich also dieses Leid und diese Demütigung unschuldig auf mich nehmen muß, dachte er, so muß doch irgendeine andere geheimnisvolle Schuld gegen mich oder andere auf mir lasten, daß ich diese Prüfung bestehen muß. – Da kam er dann, als er sich mehr und mehr Lys Worte in die Erinnerung zurückrief, ja, als sie erst eigentlich in ihm zu klingen begannen, zu der Einsicht, die sie ihm so oft gepredigt: daß er in dem ewigen Suchen nach Dingen, die nicht waren, sich selber ganz verloren hatte. Daß er wohl in der Welt gelebt, aber keine Fühlung zu ihr gefunden hatte. Darum mußte wohl, früher oder später, dieses Leid über ihn kommen und ihm die Augen öffnen.

      Ly hatte es ihm immer prophezeit.

      Allmählich wurde er ruhiger. Was Monate und Jahre nicht vermocht, das vollbrachten jetzt Stunden. Eine neue Erkenntnis seines inneren und äußeren Lebens brach sich in ihm Bahn. Er versuchte mit der Elastizität der Jugend allmählich wieder ins rechte Gleis zu kommen. Den verlorenen Weg ins Leben zu finden.

      Er begriff wie nie zuvor den Segen der Arbeit. Einer praktischen und gesunden Tätigkeit, an die er, wenn er seine Fähigkeiten überdachte, wirklich fruchtbare Erwartungen knüpfen durfte.

      Er fühlte sich jetzt stark genug, alle Hindernisse zu überwinden.

      In dem Maße, wie er seines neuen Erfolges sicher wurde, der ihm das Recht gab, Ly zu sich zu rufen, wuchs seine Zärtlichkeit für sie.

      Im Bewußtsein seiner völligen Unschuld nahm er es als selbstverständlich an, daß ihre Treue durch nichts erschüttert werden konnte.

      In Wahrheit war die Nachricht von der Verhaftung Dr. Knut Stortings, die durch alle Zeitungen ging, für Ly der letzte beschämende Rest einer unglückseligen Verirrung. Knut war ihr bereits ein Fremder geworden. Sie bemitleidete ihn, machte sich aber kaum einmal klar, ob er schuldig oder unschuldig sein mochte.

      Ja, diese Katastrophe erfüllte sie mit einer gewissen Befriedigung. Sie gab ihr nun vor dem eigenen Gewissen das Recht, die letzte künstlich gepflegte Verbindung mit Knut abzubrechen.

      Den ungarischen Behörden, die auf das energische Drängen der deutschen Gerichte hin sich lebhaft bemühten, des flüchtigen Buchhändlers Schematzky habhaft zu werden, war es endlich gelungen, ihn zu fassen.

      Nun näherte sich die Voruntersuchung gegen Knut Storting rasch ihrem Ende. Der Untersuchungsrichter sah ein, daß er voreilig gehandelt hatte. Es war jetzt klar, daß Schematzky allein die Fälschung der Unterschriften auf den verschiedenen Wechseln vorgenommen hatte. Als er sich zu einem Geständnis bequemte, wurde Knut Storting aus der Haft entlassen. Der Untersuchungsrichter bat ihn zu sich und drückte ihm sein Bedauern über den Mißgriff aus. „Wir sind eben auch nur willenlose Diener unserer Pflicht“, sagte er.

      Knut, der in der Zeit der Untersuchungshaft um Jahre gealtert war, unterbrach den Beamten mit dem ihm eigenen Lächeln: „Schweigen wir darüber! – Wer von uns Menschen irrt nicht? Und schließlich hat jedes Unrecht seine besondere Bedeutung, denn wir sind alle Werkzeuge einer höheren logischen Macht. Dieses mir scheinbar zugefügte Unrecht war ein notwendiges Glied meiner inneren Entwicklung.“

      Der Beamte sah den jungen Philologen verwirrt an. Er hatte heftige Vorwürfe erwartet.

      „Ich werde Ihnen ein Taxi holen lassen. Wollen Sie inzwischen die Zeitung lesen?“

      Er reichte Storting die Augsburger Abendzeitung und machte sich wieder über seine Arbeit.

      Knut dankte.

      Plötzlich fuhr er mit einem dumpfen Aufschrei in die Höhe. Seine Hände krampften sich um das Schreibpult des Richters, daß die Eichenbretter knarrten. Eine fahle Blässe überzog sein Gesicht.

      „Was ist Ihnen?“ fragte der Beamte erschrocken und wollte um Wasser klingeln, aber Storting fiel ihm in den Arm. Dann sank er kraftlos auf seinen Sessel zurück.

      „Es ist schon vorüber.“

      „Ein Unwohlsein? Glauben Sie, daß Sie gesundheitlich gelitten haben?“

      „Nein! Durchaus nicht! Ich las nur – eine Notiz!“ Seine Augen verschleiern sich. Er preßt plötzlich die Hand mit einer zuckenden Bewegung gegen den Mund, als wollte er einen Aufschrei unterdrücken. Nur ein dumpfes Stöhnen quillt zwischen den halbgeöffneten Lippen hervor.

      „Was ist eine unschuldig erduldete Untersuchungshaft, was sind Täuschungen des Lebens gegen das?“

      „Was meinen Sie?“

      Er hört den Richter nicht, murmelt nur so vor sich hin, als wollte er die Qual durch den Klang ihres Namens noch verschärfen.

      „Ly! Ly von Holgen, Legationsrat Graf Seefeld in Rom. Verlobte!“

      Dem Richter dämmert leises Verständnis auf.

      „Sie kannten die Dame?“

      Knut schlug mit geballter Faust auf den Tisch.

      „Ich kannte sie? Sie war meine Braut!“ Leiser fuhr er fort: „Braut – was bedeutet das? Das ist ein Schall, ein Wort, ein Nichts! Mir war sie das Ziel, und ein Ziel müssen wir alle haben, ob es nun ein elendes Ziel ist, ein Phantom, ein häßliches oder ein niedriges Ziel – ohne Ziel können wir nicht leben! Ohne Ziel kommen wir nicht vorwärts.“

      Der Beamte stand betroffen vor diesem Ausbruch. Er atmete auf, als der Gerichtsdiener eintrat und meldete, daß das Auto warte.

      „Sie können nach Hause fahren, Herr Dr. Storting!“

      Der sah ihn mit irren Augen an, dann lachte er kurz:

      „Ich kann nach Hause fahren! Leben Sie wohl!“

      Nun – dann bezahlten ihm mitleidige Freunde die Überfahrt nach Amerika.

      2

      Die Tellerwaschmaschine lief unermüdlich. Unermüdlich stand Knut da und tat seine geistlose Arbeit im Restaurant „Gold Coast“ – zur „Goldenen Küste“. –

      Knut ging langsam, ohne etwas Besonderes zu denken, an der großen Küche vorbei, in der der chinesische Küchenchef geschäftig hin und her eilte, umgeben von seinen Trabanten.

      Da geht eine Tür auf. Knut wirft einen Blick in das Innere des Restaurants: an Tischen, die mit kostbarem Zedernholz eingelegt sind und von goldenen Drachenfüßen getragen werden, speist eine erlesene Gesellschaft. Fast nur Amerikaner. Sie balancieren die Eßstäbchen, als hätten sie Messer und Gabel nie gekannt. Ganz nahe sitzt eine sehr zarte Dame vor einem Gericht Chow-Main.

      Knut kennt sie von den Ankündigungen her: eine der bekanntesten Schauspielerinnen

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