Ein Bettler baut eine Stadt. Robert Heymann

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Ein Bettler baut eine Stadt - Robert Heymann

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einmal ein fast singender Ton wie ein Ruf aus dem Äther, wie eine Funksendung. Der Hilferuf einer Frau! Kaum hörbar für nicht geschärfte Ohren, kaum auffällig für Gleichgültige. Aber Knut hörte diesen langgezogenen, kaum vernehmbaren, unterdrückten Ruf – die Stimme einer Frau!

      Ohne auf die Chinesen zu achten, stürzt der Deutsche die Treppe empor. Da ist eine Tür, mehr Bretterverschlag als Wohnungstür.

      Er rüttelt. Klopft. Klingelt. Alles bleibt still. Er wirft sich zwei-, dreimal mit der Schulter gegen die Türfüllung. Die Bretter geben nach.

      Ein Vorraum. Ein Vorhang, Ruhebett, farbenprotzige Kissen – eine Frau, im Mund einen Knebel, an Händen und Füßen gebunden.

      Knut Storting hebt sie hoch, rennt die Treppe hinab, sieht wie durch einen Nebel verzerrte Chinesengesichter, erreicht die Straße.

      „Wohin?“ ruft er der Frau atemlos ins Ohr. Sie trägt eine kostbare Abendtoilette. Keinen Schmuck.

      Seine Sinne nehmen ihr Bild mit Sekundengeschwindigkeit in sich auf.

      Er schneidet die Stricke durch, versucht, sie auf die Füße zu stellen.

      „Sie müssen einen Augenblick allein bleiben. Ich hole die Polizei. Hier sind Sie sicher.“

      Sie schlägt die Augen auf.

      Nie mehr wird ihr Gesicht aus seiner Erinnerung weichen! Runde, große, scheinbar unbewegliche Augen. Ein suchender Mund voll Süße und Herbheit. Blauschwarze kurze Haarwellen im Wind, wie geheimnisvolle Segel der Nacht.

      „Einen Wagen!“ stammelt sie.

      Wenige Häuser weiter steht im Licht einer elektrischen Lampe eine Autodroschke. Knut winkt. Der Wagen gleitet heran.

      Der Fahrer öffnet den Schlag.

      Rundum Menschen. Die Erde scheint sie auszuspeien. Bummler. Gelbe. Fahrer. Eine schwarze Mauer wächst auf, unheilkündend, drohend.

      Rufe werden laut.

      „Zum nächsten Polizeibüro!“ schreit Knut in Hast dem erstaunten Chauffeur zu.

      Der Motor springt an.

      „Nein! Nein!“ ruft die Frau. Ihre Hände gleiten mechanisch über die schmerzenden Gelenke. „Nein! Nein! Nicht zur Polizei – – –“

      „Aber wohin?“ –

      Der Wagen hält.

      Sie denkt nach, nennt eine Adresse.

      Plötzlich: Hände, brutale, breite Hände mit dicken Fingern und rissigen Nägeln. Sie greifen in den Wagen. Niemand versteht, was vorgeht. Es ist wie ein Film. Nur Knut begreift blitzartig: zwei Gesichter vor der Frau, die entsetzt aufschreit – Verbrecher! Narben im Gesicht, Fischaugen und stierstarke Hälse. Einer mit freier Brust. Sie hängen sich an. Ein Hieb läßt Knut taumeln. Die Menschenmenge wälzt sich heran. Knut fühlt Fieberhitze. Schlägt zu, exakt, sicher, landet schwere Hiebe. Er hat es nicht gelernt. Nur zugesehen hat er bisher, schlägt aber wie ein Boxer. Der Motor ist wieder angesprungen.

      Der eine Angreifer schnauft wie eine Maschine und kugelt ab. Den zweiten schleift das Auto eine Weile mit, dann rutscht er in die Straßenrinne.

      Die Dame hat dem Fahrer eine neue Adresse zugeschrien. Osten! Wo die armen Leute wohnen. Eine jener Neuyorker Bezeichnungen, bei denen sich ein nicht Ortskundiger nicht viel denken kann. Eine jener Straßen, die nur Nummern, keine Namen tragen.

      Knut hält die Kraftlose in den Armen.

      Sie fahren.

      Langsam erholt sie sich.

      Eine kleine, zärtliche Hand liegt auf der seinen. „Ich danke Ihnen“, flüstert eine helle Stimme. „Sie werden alles erfahren. Ich heiße Violet, das mag Ihnen genügen. Wir werden uns wiedersehen.“

      Im Schimmer der hellen Häuser, Lampen, Auslagen betrachtet er sie. Ihr stolzer Kopf ist nach hinten gesunken. Er weiß nicht, was er sagen soll. Minuten vergehen. Locken flattern über ihre Stirn. Die Brauen fliegen hochmütig über eine gerade, kühne Nase. Plötzlich beugt sich die schöne Unbekannte vor, läßt den Wagen halten.

      „Nochmals danke ich Ihnen. Wie heißen Sie?“

      Er nennt seinen Namen. Sagt ihr, daß er Deutscher sei, ihren Hilferuf vernommen hätte, daß er unendlich glücklich wäre.

      „Was sind Sie?“

      „Was ich bin? Ich war etwas! Ich bin jetzt nichts –“

      Sie sucht etwas, betrachtet ihre Hände, fährt sich plötzlich ins Haar. Der kostbare Kamm schleudert farbige Funken. Er ist mit Brillanten besetzt.

      „Ich kann Ihnen heute nur so danken – nehmen Sie!“

      Er zieht seine Hände zurück.

      „Nein! Ich lasse mich nicht bezahlen!“

      Sie zieht die Brauen hoch, überzeugt sich, daß die Straße menschenleer ist.

      „Seien Sie ein ganz klein wenig klug“, sagt sie. Ihre Stimme klingt eindringlich, ein wenig ironisch. „Sie sind arm. Sie sollen Ihr Glück machen!“

      „Ist es nicht Glück genug, Sie –“

      Eine herrische Handbewegung unterbricht ihn. Sie schleudert den Kamm auf die Straße. „Sie haben keine Aussichten hier in den Staaten – please – steigen Sie aus.“

      Der Ton duldet keinen Widerspruch. „Geben Sie mir Ihre Adresse.“

      „Deutsches Logierhaus König Friedrich“, stammelt Knut verwirrt.

      „Ich schreibe Ihnen! Leben Sie wohl!“

      Für einen Augenblick ist ihr Gesicht über ihm: ihre verschleierten, umschatteten Augen, der feuchte Mund, ein sanftes Kinn, die blauschwarze Welle, die bis über die hochfliegenden Brauen geglitten ist. Duft von fremden Inseln und unbegreiflich süßen Blüten umfängt ihn. Er kann kaum atmen. Er fühlt nur, wie die dunkle Ahnung einer schwermütigen, verhängnisvollen, grausamen Liebe seine Glieder schwer werden läßt. Plötzlich umschlingen ihn zwei weiche Arme, ihre Lippen liegen auf den seinen. Dieser Kuß, zärtlich und hastig, wie ein Gruß aus einer Welt des Reichtums, des Glücks, der Sonne, macht ihn trunken. Als er taumelnd aufsieht, sich zurückfindet zur Wirklichkeit, ist der Wagen fort. Eine graue Straße mit Lichtflecken umgibt ihn. Passanten nähern sich.

      Er kehrt nicht mehr in das Restaurant zur „Goldenen Küste“ zurück. Irrt in Neuyork umher, bis der neue Tag herangekommen ist.

      Kaum fühlt er den Hunger. Immer nur sieht er lockend das Mädchenantlitz. Kein amerikanisches Gesicht. Dunkle, schwermütige Augen. Ein sehnsüchtiger Mund. Eine fast zu große, an Indianer erinnernde Nase. Und doch: schön! Traumhaft schön!

      *

      Als Knut Storting nach Stunden in seinem Logierhaus anlangte, zog er sich sofort in sein kleines Zimmer zurück. Da lag das Morgenblatt. Die Heimausgabe, die um vier Uhr morgens gedruckt wurde. Gedankenlos überlas er den Inhalt: die

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