Ein Bettler baut eine Stadt. Robert Heymann
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Ein Bettler baut eine Stadt - Robert Heymann страница 7
„Erlauben Sie, daß ich Sie unterbreche! Diese Grenzen sind Lügen! Selbst wenn ich mich fähig erklärte, diesen Betrug an der jungen Generation zu begehen, so bliebe doch noch mein persönliches Ehrgefühl zu beseitigen! Ich müßte lernen, mich selber zu belügen, und das –“
„Müssen Sie lernen“, entgegnete der Direktor trocken.
Storting sah bleich zu Boden.
Eine Welt hatte er sich erbaut. Eine neue, schöne Welt, reich an Glauben und Idealen und wundervollen Hoffnungen. Monate hatte er gedarbt, gehungert und gearbeitet. Um diese neue Welt.
Und in einer Stunde fiel sie zusammen. Eine brutale Hand, stärker und mächtiger als sein Wille und sein Glaube, wischte darüber hin. Alles versank, und das Gespenst der grausamen Enttäuschung grinste ihn wieder an.
Er war entlassen. Das Unglück kam nicht allein:
Seine Agitation gegen die Trusts hatte den wütenden Angriff eines Blattes gegen ihn zur Folge, das sich mit zweifelhaften Feldzügen gegen unbequeme Gegner einen nicht eben ehrenvollen Namen unter der Presse gemacht hatte. Der Artikel wimmelte von absichtlichen Entstellungen.
Storting erwiderte darauf. Aber man griff ihn nur um so stärker an.
Eines Abends sandten ihm „Freunde“ die Zeitung zu. Mit blauen Strichen dick umrandet las er:
„Knut Storting versucht die Massen zu betrügen! Er selbst ein Betrüger! In Deutschland wegen Diebstahls angeklagt!“
Es folgte eine entstellte Darstellung jenes traurigen Zwischenfalls in München, wo er unschuldig in Untersuchungshaft gekommen war.
Ein Korrespondent der Zeitung hatte alles in absichtlich tendenziöser, aufgebauschter Form berichtet, und das Blatt schrieb über die Angelegenheit, als sei die entehrende Anklage erst gestern oder vor einigen Wochen erhoben worden.
Es begann ein zäher, verzweifelter Kampf des unglücklichen Lehrers gegen seine mächtigen und überlegenen Feinde.
Er schrieb der Zeitung, daß die Angelegenheit um Jahre zurückläge.
Sie antwortete, es sei dann doppelt bedauerlich, daß er gerade Amerika für gut genug hielt, sich zu verbergen und über die Schande Gras wachsen zu lassen.
Er schrieb, daß er unschuldig gewesen sei.
Die Zeitung knüpfte hämische Bemerkungen daran. Der Beweis fiel beiden Teilen schwer. Also lastete das Mißtrauen weiter auf Knut Storting.
Er schrieb, daß er überhaupt nicht wegen Diebstahls angeklagt gewesen sei.
Um so schlimmer, meinte die Zeitung. Vielleicht war das Delikt noch niedriger und ehrloser.
Knut antwortete mit einem tätlichen Angriff auf einen der Redakteure des Blattes.
Wütende Ausfälle folgten.
Das Gericht verurteilte ihn zu einer empfindlichen Buße.
Was nützte es ihm, daß durch sein mutiges Auftreten ein Korruptionsherd aufgedeckt wurde?
Die Öffentlichkeit erfuhr, daß der Senator Smith in Illinois eine Million Dollar Bestechungsgelder für seine Wahl bezahlt hatte. Daß sich in Pennsylvania das gleiche zugetragen hatte. – Aber über Knut Storting erfuhr man nichts mehr.
Denn die „Gelbe Presse“ hatte kein Interesse an ihm. Er würde nie in den Dienst Randolph Hearsts treten können, der über achtunddreißig große Tageszeitungen, elf Wochen- und Monatsschriften gebot. Der den einflußreichsten Feature-Dienst beherrschte, der das Nachrichtenwesen kontrollierte. Der Mann mit 85 000 Angestellten. Der Mann, der die gewissenlosesten, aber begabtesten Reporter der Welt erzogen hat. Der durch ein nie vorher erlebtes Husarenstück den Amerikanisch-spanischen Krieg entfesselte. Für die Blätter dieses Mannes existierte Knut Storting nicht mehr. Er war abgetan, kaum daß er begonnen hatte.
Von nun an führte der Lebensweg des Deutschen in steilen Kurven bergab.
4
Müde, zerschlagen, ging Knut am Abend in eine Wählerversammlung. Ein Anhänger des Kandidaten Hoover sprach: „Drei Millionen Dollar für Wohlstandsarbeiten. Das Prohibitionsproblem wird gelöst!“
„Hoover wird“, ruft der Agitator in die unübersehbare Menge, „Hoover wird dieses furchtbare Erbe nicht unverändert antreten. Er weiß, daß es einen Augiasstall zu säubern gilt. Er ist gewillt, die amerikanische Nation aus der Prohibitionssackgasse herauszuführen, die darin besteht, daß sie sich ein Gesetz gegeben hat, das sie nicht befolgt. Hoover will die Durchführung des Gesetzes mit allen Mitteln sichern, und wenn es sich herausstellen sollte, daß das unmöglich ist, ist er entschlossen, das Gesetz in diesem oder anderem Sinne abzuändern. Es zu verschärfen – oder abzuschaffen!
Die Bootleggers haben seit der Annahme des 18. Verfassungs-Amendments auf das allgemeine Alkoholverbot nicht allein ihre große Schmugglerindustrie aufgebaut und aus ihr im Laufe der Jahre einige hundert Millionen Dollars Nutzen gezogen, sondern sie haben auch die Macht gewonnen, die mit dem Besitz von einigen hundert Millionen Dollar heute nun einmal verbunden ist. Sie beruht auf der Korruption.“
So ungefähr entwickelte der Redner Hoovers neues Regierungsprogramm. Tausende riefen Beifall. Das neue Reich des Glücks und der Wahrheit schien angebrochen.
Nicht weit von Knut saß ein Mann mit kniffigem Mund.
Kein amerikanisches Gesicht. Wo habe ich es nur schon gesehen? überlegte Knut. Es ist mir bekannt – diese lederne Physiognomie mit den schwarzen unruhigen Augen hat irgendwie in meinem Leben schon eine Rolle gespielt.
Da fiel es ihm auch schon ein:
Schematzky –!
„Schematzky“, sagt Knut während einer Pause. Der Angeredete wendet ihm hastig das Gesicht mit den ewig mahlenden Zähnen zu. Forschend ruhen die harten Augen auf dem armseligen, heruntergekommenen Deutschen.
„Schematzky“, wiederholen einige Leute mit sonderbarer Scheu.
„Ich bin Knut Storting“, sagt der Deutsche.
Sekundenlang denkt der ehemalige Münchner Buchverleger nach. Dann geht Erinnern über sein Gesicht. Er schüttelt Knut kräftig und, wie es scheint, freudig bewegt die Hand.
„Geben Sie mir Ihre Adresse, Storting. Warten Sie, ich notiere sie mir.“ Er zieht ein Notizbuch, in Saffian gebunden. Notiert.
„Sie hören von mir! Es geht Ihnen nicht gut, no? Oh dear! Nun, ich werde Vergangenes gutmachen! Sie sollen zufrieden sein! Good night, Storting!“ Fort ist er. Eine Hand legt sich, kaum merklich, auf Knuts Schulter.
„Kennen Sie Mr. Schematzky?“
„Ja“, antwortet Knut und schaut verdrossen in ein scharfkantiges Gesicht. Die Habichtsnase neigt sich beinahe bis zu den harten Lippen hinab.
„Was kümmert es Sie?“
Der Mann schweigt. Nach einer Weile: