Der neue Dr. Laurin Box 2 – Arztroman. Viola Maybach
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»Aber es gefällt dir doch an der Kayser-Klinik, oder nicht?«
»Ich bin ja erst seit ein paar Tagen dort, wie soll ich da schon beurteilen, ob es mir gefällt oder nicht? Außerdem hatte ich heute meinen ersten schweren Fall und damit den ersten Patienten, den ich hier in München operieren werde. Keine schöne Geschichte.«
»Erzähl.«
»Es gibt nicht viel zu erzählen. Ein junger Mann mit einem Hirntumor, der noch nichts davon weiß. Morgen werden wir ihn und seine Familie informieren. Er hatte einen Krampfanfall, den ersten – so ist er in der Klinik gelandet. Mein Kollege von der Notaufnahme und Dr. Laurin, mein alter Freund, hatten die richtige Eingebung und haben ihn, sobald das möglich war, in die Radiologie geschickt. Danach haben sie mich hinzugezogen.«
»Aber du kannst ihn operieren, oder nicht? Du hast meine beste Freundin gerettet, damals. Ich weiß noch, dass ich dachte, wenn sie sterben muss, sterbe ich auch. Aber sie ist am Leben geblieben und immer noch meine beste Freundin. Wir reden oft von dir. Sie sagt immer, der Tag, an dem du sie operiert hast, ist ihr zweiter Geburtstag geworden. Wir feiern ihn jedes Jahr.«
»Ach, Kind. Dieser Fall hier ist schwierig, da bin ich nicht so zuversichtlich wie ich es damals bei deiner Freundin war.«
»Wenn jemand den Mann retten kann, dann bist du das. Du hast schon so viele Menschen gerettet.«
»Ja, aber einige Patienten habe ich auch verloren«, sagte Linda ruhig. »Der Tumor sitzt ungünstig, es wird eine perfekte Operation werden müssen, damit ich ihn vollständig entfernen kann. Und perfekte Operationen sind selten, leider. Es gibt immer Kleinigkeiten, die nicht so klappen, wie man es sich wünscht. In diesem Fall kann eine solche Kleinigkeit über Gelingen oder Misslingen entscheiden.« Sie machte eine Pause, bevor sie fortfuhr. »Der Mann ist noch sehr jung, er hat den größten Teil seines Lebens noch vor sich. Das erhöht den Druck. Wenn ich nur an das Gespräch denke, das wir morgen führen müssen, läuft mir ein Schauder über den Rücken.«
»Ich habe eine Idee«, sagte Selina. »Morgen hole ich dich in der Klinik ab und lade dich in ein schönes Lokal zum Essen ein – und ich verspreche dir, dich auf andere Gedanken zu bringen. Du weißt, wenn ich es darauf anlege, schaffe ich das auf jeden Fall.«
Linda betrachtete ihre attraktive, vor Lebenslust strahlende junge Nichte und lächelte unwillkürlich. Selina war das einzige Kind ihres Bruders Özer – ihr Patenkind, das sie vom ersten Tag an ins Herz geschlossen hatte. Selina war eigenwillig und stur, sie ließ sich nur ungern etwas sagen. Und sie war wählerisch, bislang war es keinem Mann gelungen, sie zu erobern. Ein paar Flirts hier und da hatte es gegeben, aber nichts Ernstes, bislang. Jedenfalls nicht, soweit sie wusste.
»Danke, ich nehme deine Einladung gerne an«, erwiderte sie. »Ich glaube, das ist eine ausgezeichnete Idee, denn ich schätze, Ablenkung werde ich nach dem morgen Tag dringend brauchen.«
Selina sprang auf, küsste sie auf beide Wangen und verabschiedete sich. »Ich komme dann am späten Nachmittag in die Klinik und hole dich ab«, versprach sie.
»Lieber nicht. Es kann sein, dass du warten müsstest.«
Selina winkte ab. »Das macht mir nichts, ich kann ja meine Arbeit überallhin mitnehmen, das weißt du doch, Tante Linda.«
Und weg war sie. Selina war bei einer Filmproduktionsfirma dafür zuständig, geeignete Drehorte zu finden. Deshalb war sie viel unterwegs, auch im Internet, wo sie sich Fotos und Filme ansah, um herauszufinden, ob irgendwo der Ort gezeigt wurde, nach dem sie gerade auf der Suche war. Sie wollte das nicht für immer machen, aber im Augenblick schien es die richtige Aufgabe für sie zu sein.
Als sie gegangen war, fiel Lindas Blick zufällig in den Spiegel, der in ihrem Flur hing. Sie lächelte immer noch – so war es meistens, wenn sie mit Selina zusammen gewesen war.
Es würde ein schweres Gespräch werden, das sie morgen mit Miro Flossbach und seiner Mutter führen musste. Aber sie würde mit Selina später darüber reden können, und das würde die Schwere ein wenig mildern.
*
»Alles in Ordnung bei euch, Schatz?«, fragte Rainer.
Anke schluckte. Es fiel ihr schwer zu antworten. Sie hatte überlegt, ob sie Rainer anschwindeln sollte, um ihn nicht zu beunruhigen. Am Ende fuhr er unkonzentriert und baute zu allem Überfluss auch noch einen Unfall. Aber sie konnte ihn nicht anlügen, und so brachte sie mit vielen Unterbrechungen unter Tränen endlich die ganze Geschichte heraus. So wirr redete sie, dass er immer wieder nachfragen musste, aber er tat es ruhig, ohne ungeduldig zu werden.
Als sie geendet hatte, herrschte ungefähr drei Sekunden lang absolute Stille, dann sagte Rainer: »Ich komme zurück. Ich rufe den Chef an und sage ihm, was passiert ist. Er soll jemanden herschicken, ich bin schließlich nur vierhundert Kilometer von München entfernt. Wenn er mir droht, kündige ich fristlos. Ich werde bei euch sein morgen früh, bei dem Gespräch.«
»Aber wie willst du denn so schnell herkommen?«, fragte Anke ängstlich. »Es bleiben ja nur noch etwas mehr als dreizehn Stunden.«
»Ich werde die Bahn nehmen«, antwortete er trocken. »Ich habe ein paar Kumpels hier, von denen wird mich einer zu einem Bahnhof fahren, und dann bin ich pünktlich bei dir, verlass dich drauf. Ich muss noch ein bisschen organisieren und vor allem mit dem Chef reden, aber mehr als eine Stunde brauche ich nicht, bis ich hier abreisen kann. Versuch zu schlafen, Anke.«
»Schlafen? Kein Gedanke daran«, sagte sie.
»Und Flo?«
»Die schläft längst, sie hat einen tüchtigen Schrecken bekommen, das vor allem, und die Wunde am Kopf sah zuerst wohl schlimm aus, aber die Ärzte haben mir versichert, dass wir uns keine Sorgen machen müssen. Ich habe vor allem Angst um Miro, du weißt schon, wegen damals.«
»Daran habe ich auch gerade gedacht, aber das ist so lange her … Meinst du, er erinnert sich überhaupt noch daran?«
»Ich weiß es nicht, erwähnt hat er es jedenfalls nie wieder.«
»Wir reden weiter, wenn ich in München bin, ich beeile mich jetzt besser, Anke.«
»Versprich mir, dass du vorsichtig bist, auch wenn du mit deinem Chef redest!«
Rainer gab ein etwas böse klingendes Lachen von sich, bevor er seiner Frau noch einen Luftkuss schickte und das Gespräch beendete.
Anke legte das Telefon vor sich auf den Tisch. Ganz allmählich merkte sie, wie eine große Last von ihr abfiel. Ihr Mann würde kommen, Miro und sie würden das Gespräch mit den Ärzten nicht allein führen müssen. Sie legte den Kopf auf ihre Hände, die vor ihr auf dem Tisch lagen und vergoss ein paar Tränen der Erleichterung.
*
Kaja erschien mit verschlossenem Gesicht und fest zusammengepressten Lippen zum Abendessen. Es gab das dreigängige Menü, das Simon präzise vorbereitet hatte, und schon nach der Vorspeise – einer pikanten Fischsuppe – herrschte gelöste Stimmung am Tisch.
»Mama, du kochst auch gut«, sagte Konstantin, »aber, ehrlich gesagt …«
»Simon