Der neue Dr. Laurin Box 2 – Arztroman. Viola Maybach
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Читать онлайн книгу Der neue Dr. Laurin Box 2 – Arztroman - Viola Maybach страница 18
Er machte eine Pause, Selina drängte ihn nicht. Sie hoffte nur, dass ihre Tante nicht auftauchte, bevor sie das Ende dieser Geschichte gehört hatte.
»Ich wurde also ziemlich schnell in einen Operationssaal gebracht, bekam eine Narkose – und dann merkte ich irgendwann, dass etwas nicht stimmte. Ich bin aufgewacht, während der Operation. Die Narkose war nicht stark genug gewesen. Sie hatten es so eilig gehabt, dass ein Fehler passiert war.«
Selina stockte der Atem. »Du bist während der Operation aufgewacht?«
»Ja. Zuerst war das nicht so schlimm, aber dann, mit einem Schlag, spürte ich wahnsinnige Schmerzen. Das war so schlimm, dass ich angefangen habe zu brüllen. Du kannst dir vorstellen, was für ein Chaos da ausgebrochen ist. Es hat insgesamt nicht sehr lange gedauert, bis sie mich wieder eingeschläfert hatten, und sie haben hinterher tatsächlich versucht, mir einzureden, dass ich mir das nur eingebildet habe. Aber eine OP-Schwester hat die Vertuschungsversuche nicht mitgemacht und vor Gericht ausgesagt. Das Krankenhaus ist verklagt worden, sie mussten Schadenersatz leisten. Seit damals ist mir klar, dass ich mich nie mehr operieren lassen werde.«
»Hast du das mal einem Psychologen erzählt?«
»Ja, als Kind habe ich mehrmals mit einem geredet, aber viel genützt hat es nicht.«
»Aber jetzt geht es um dein Leben«, sagte Selina. »Wer sollte dich operieren?«
»Dr. Erdem. Sie ist sehr nett, ich mochte sie sofort. Sie hat überhaupt nicht versucht, mir und meinen Eltern etwas vorzumachen. Es hat mir richtig leidgetan, dass sie dachte, es sei ihre Schuld, dass ich mich nicht operieren lassen will. Aber ich konnte es ihr nicht sagen.«
»Komischer Zufall«, sagte Selina. »Sie ist meine Tante, ich bin mit ihr verabredet, wir wollen zusammen essen gehen.«
»Hat sie dich geschickt, damit du mich bearbeitest?«
»Spinnst du? Woher sollte sie denn wissen, dass du hier bist?«
Miro antwortete nicht.
»Darf ich dir jetzt auch eine Geschichte erzählen?«, fragte Selina.
Er nickte stumm.
»Meine beste Freundin in der Grundschule hieß Annika. Sie war neun, als die Ärzte bei ihr einen Hirntumor entdeckt haben, der als kaum zu operieren galt. Mehrere Spezialisten lehnten den Eingriff ab – die Erfolgschancen waren zu gering, und sie wollten sich ihren guten Ruf nicht verderben. Ich bin weinend zu meiner Tante Linda gelaufen und habe ihr gesagt, dass sie Annika retten muss, weil ich sonst mit meiner Freundin zusammen sterben würde.«
Selina machte eine Pause, in der sie versonnen aus dem Fenster sah. »Wir waren neun, wie gesagt, und natürlich hatten wir uns ewige Freundschaft geschworen. Nichts im Leben würde uns jemals trennen können. Meine Tante sah sich die Aufnahmen an, sie studierte sie mehrere Tage lang, und dann sagte sie, sie sei bereit Annika zu operieren. Es war wie bei dir: Eine Operation war ihre einzige Chance, gesund zu werden. Es gab keine Garantie für gutes Gelingen, aber es gab eine Chance.«
Als sie erneut schwieg, sagte Miro: »Ich nehme an, es ist gut gegangen – sonst hättest du mir die Geschichte wohl kaum erzählt.«
»Ja, es ist gut gegangen, und Annika ist immer noch meine beste Freundin. Sie hatte panische Angst vor der OP, aber ich hatte ihr versprochen, die ganze Zeit in der Nähe zu bleiben und an sie zu denken. Ich war auch bei ihr, als sie aufgewacht ist. Das vergesse ich nie: Wie sie die Augen aufgeschlagen und zuerst ein bisschen verwirrt geguckt hat. Und dann hat sie meinen Namen gesagt. Wir sind Schwestern, für immer.«
»Aber sie war nicht während der Operation aufgewacht und hat gebrüllt vor Schmerzen.«
»Nein, aber sie war erst neun und wusste schon, dass es im Operationssaal um ihr Leben oder ihren Tod gehen würde. Sie hatte wahnsinnige Angst, hat sie aber überwunden.«
»Ich wüsste gar nicht, wie ich meine Angst überwinden sollte. Ich muss mir die Situation nur vorstellen, schon bricht mir der Schweiß aus und ich bekomme Herzrasen.«
Sie griff über den Tisch hinweg nach seiner Hand. »Du wirst sterben ohne Operation«, sagte sie ganz ruhig. »Vor einer halben Stunde kannte ich dich noch nicht, aber jetzt weiß ich: Ich will nicht, dass du stirbst. Ich würde dich gern näher kennenlernen, aber dazu müsstest du am Leben bleiben.«
Er hielt ihre Hand fest. »Du kannst ziemlich überzeugend sein, Selina. Aber ich …«
Sie ließ ihn nicht ausreden. »Wenn du jetzt sagst, dass du mich nicht näher kennenlernen möchtest, glaube ich dir nicht.«
Daraufhin blieb er stumm. Sie sahen einander in die Augen, auch sie sagte nichts mehr. Sie konnte sich gut mit Blicken ausdrücken, und sie sah, dass er sie verstand.
Irgendwann löste sie ihre Hand aus seiner.
»Meine Tante wird bald hier sein. Wenn du nicht willst, dass sie uns zusammen sieht – oder wenn du ihr nicht begegnen willst, sollte ich lieber gehen und sie draußen abfangen.«
Miro griff erneut nach ihrer Hand und hielt sie noch fester als zuvor. »Wir bleiben«, sagte er.
*
»Wir müssen noch einmal mit ihm reden«, sagte Rainer. »Natürlich muss er sich operieren lassen, das ist seine einzige Chance, wieder gesund zu werden.«
Anke sagte nichts, sie weinte schon wieder. Im Grunde hatte sie nicht aufgehört zu weinen, seit sie die Kayser-Klinik verlassen hatten, so dass jetzt auch Flora mitbekommen hatte, dass etwas nicht stimmte. Aber mit ihr mussten sie ohnehin reden, es hatte ja keinen Sinn, ihr weiterhin zu verschweigen, dass Miro krank war, schwer krank.
Als das Telefon klingelte, wollten sie es zuerst klingeln lassen, bis Rainer sah, wer der Anrufer war. Hastig nahm er das Gespräch entgegen. »Miro?«, rief er. »Soll ich dich abholen? Wie bitte?«
Nach diesen Worten blieb es still. So lange, dass Anke schließlich aufhörte zu weinen und mit angehaltenem Atem ihren Mann beobachtete, der abwechselnd rot und blass wurde und schließlich stammelte. »Ja, gut, ja, natürlich … wir sind gleich da.«
»Was ist denn?«, fragte Anke ängstlich.
»Er lässt sich operieren. Sie haben den Eingriff für morgen früh angesetzt. Sie bereiten ihn jetzt darauf vor, aber er möchte, dass wir noch einmal bei ihm vorbeikommen, wenn es geht, mit Flora.«
»Aber wieso …?« Anke konnte es noch immer nicht glauben.
»Frag mich nicht. Er war ziemlich durcheinander und so hat er auch geredet. Nur eins glaube ich verstanden zu haben: Er hat eine junge Frau kennengelernt und sich lange mit ihr unterhalten. Offenbar hat sie ihn so beeindruckt, dass er daraufhin seine Meinung geändert hat.«
Flora erschien an der Tür, sie war im Bad gewesen, ansonsten war sie brav im Bett geblieben. Mit großen Augen sah sie von ihrer Mutter zu ihrem Vater und wieder zurück. »Was ist mit Miro?«, fragte sie mit ganz dünnem Stimmchen.
»Wir fahren jetzt zu ihm in die Klinik, mit dir«, antwortete Rainer. »Er muss operiert werden, Flora, und er möchte uns vorher noch einmal sehen.«
Sie nahmen ein Taxi zur Klinik,