Michael Unger . Ricarda Huch
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Читать онлайн книгу Michael Unger - Ricarda Huch страница 14
Die Werke durchzuarbeiten, in denen er sein System ausgeführt hatte, war in der Tat für jeden, auch den willig folgenden und zu gründlichem Studium entschlossenen Leser eine schwierige Leistung. Das lag zum Teile an der Mystik des Inhaltes wie der Form, teils aber daran, daß der Freiherr es verschmähte, sich auf den Standpunkt des Unkundigen zu versetzen, und geflissentlich so schrieb, als ob es nur für ihn selbst bestimmt wäre; eine Unfolgerichtigkeit, da er seine Werke doch drucken ließ, zu deren Erklärung er anführte, daß er sie aufs Geratewohl hinwürfe, damit die wenigen, die auf gleicher Stufe und in gleicher Richtung wie er lebten, sich daran orientieren könnten. Die in seinen Büchern ausgesprochenen und aus seiner allgemeinen Ansicht hervorgehenden Meinungen waren durchaus in ihm lebendig. Er verachtete nicht nur das offenbar Niedere und Grobsinnliche, sondern auch das meiste von dem, das die Gebildeten zu entzücken pflegt, als geistlose Erstgeburt, Seelenballast, Ausdrücke, womit er das an sich Unwesentliche oder notwendig Vergängliche bezeichnete, gab sich aber nicht damit ab, die Irrenden eines Besseren zu belehren.
Das erste Zeichen von Zuneigung gab der Freiherr Michael dadurch, daß er ihm zuredete, das Studium der Medizin aufzugeben oder, wenn er dabei bleiben wolle, Universitätslehrer statt praktischer Arzt zu werden. »Stehen Sie davon ab«, sagte er, »um Geld zu heilen, was noch übler ist, als um Geld zu lehren. Sie werden als Arzt bald von der Wissenschaft abkommen und nichts anderes mehr im Auge haben, als wie Sie die Leute so schnell wie möglich wieder auf die Beine bringen, woran im Grunde nicht so viel gelegen ist. Gibt es überhaupt etwas Widerwärtigeres, als die beständige, erzwungene Berührung mit Menschen an dem Punkte, wo sie am jämmerlichsten dastehen, nämlich in der Sorge um ihren meist sehr übel beschaffenen Körper? Man ermögliche es sich, die Menschen aus der Vogelschau zu betrachten oder in Büchern mit ihnen bekannt zu werden, wo der unvermeidliche Unrat schon ausgeweidet ist oder, besser gesagt, wo die große Destilliermaschine der Zeit den Abhub vertilgt hat und nur der Geist übriggeblieben ist!«
Auf Michaels Einwendung, daß ihn eben das Lebendige, wenn es auch mangelhaft sei, anziehe, sagte der Freiherr unwillig: »Das wäre gut, wenn Sie damit fertig werden könnten. Sie würden rechts und links mit Pflaster, Arznei, Geld und guten Worten wohltun und mitteilen, und schließlich doch nichts Wesentliches gefördert haben. Kennen Sie denn das Lebendige? Sind Sie seiner mächtig? Können Sie Tote auferwecken wie Jesus Christus? Sie werden immer nur ein rasender Träumer sein, der, in Angstschweiß gebadet, vor Traumochsen davonläuft, sich vor Traumfratzen fürchtet und mit Traumwürfeln spielt. Es ist von wenig Bedeutung, ob Sie einem Fieberkranken auf seine Delirien antworten und aus ihrer Nacht heraus einem Nachtwandler die Hand geben; wecken werden Sie ihn doch nicht.«
»Es ist wahr«, sagte Michael, »ich fange erst jetzt allmählich an, zu erwachen. Sollte ich es aber auch nie dahin bringen, erheblichen Einfluß auf den Geist der Menschen zu gewinnen, so wäre es deswegen doch nicht zu verwerfen, wenn ich ihrem körperlichen Leben zu Hilfe zu kommen suchte.«
»Da sehen Sie!« fiel der Freiherr rasch ein. »Da liegt der unglückliche Irrtum! Sie können eben nur dem Geiste zu Hilfe kommen. Die Menschen gehen alle an einer Krankheit zugrunde, nämlich an jener der Mastgans, daß ein Organ auf Kosten des ganzen Organismus überfüttert ist; dies Organ ist bei den Menschen der Körper, während der Geist, an Bleichsucht und Auszehrung leidend, entweder schläft oder Krämpfe hat und irreredet. Notwendiger, als beständig an dem zudringlichen Leibe herumzupfuschen, wäre, daß einer den Menschen beibrächte, ohne denselben und ihm zum Trotze fein und fröhlich und würdig aufzutreten, anstatt mit tropfender Nase und bleiernen Köpfen zu stöhnen und zu schwitzen, wenn ihnen nichts anderes widerfahren ist, als daß sie den Schnupfen haben.«
Michael sagte lachend: »Sie haben wahrscheinlich niemals weder den Schnupfen noch sonst eine Krankheit gehabt.«
»Nein«, antwortete der Freiherr, »allerdings nicht. Wenn ich mich gehenließe wie der winselnde Pöbel und die nörgelnden Gesellschaftsschmarotzer, könnte ich wohl auch dergleichen beibringen. Die Leute möchten wie die Götter und Könige leben, bedächten sie nur zuerst einmal, daß die sich nicht zu Bette legen und die Grippe haben dürfen. Kopf hoch, Krone im Haar, Zepter in der Hand, schön, heil, gnädig und ungnädig, wer alle Morgen so aufstehen kann, der soll sich melden, wo Herrensitze leer stehen.«
Um den Freiherrn ganz zu verstehen, verschaffte sich Michael seine Werke und las sie mit Eifer, konnte sich aber ihres Gehaltes nicht ganz bemächtigen.
Der Freiherr, dem er es gestand, meinte, es möchte ihm noch an naturwissenschaftlichen Kenntnissen und an Übung im philosophischen Denken fehlen; außerdem hätte er, um die abgegriffenen, blechernen Begriffe zu vermeiden, oft tief aus Gedanken und Sprache herausgeschöpft, und wäre so, im Bestreben, das Gedachte richtig zu bezeichnen, dunkel geworden. Übrigens, fügte er hinzu, sei nicht soviel daran gelegen, ob Michael gerade seine Überzeugungen teile, nur überhaupt an etwas glauben müsse man, auf jeder Grundlage könne das himmlische Jerusalem erbaut werden.
Michael lachte und sagte nachdenklich: »Ich fürchte, daß ich keine fromme Natur bin, wenigstens glaube ich, soviel mir bewußt ist, an nichts als an mich selber.«
»Das kann viel und wenig sein«, sagte der Freiherr; »in einem alten Spruche heißt es, es sei ein Gott in uns, und wenn es der Gott in Ihnen ist, an den Sie glauben, so ist nichts weiter nötig. Übrigens ist einem, wie Sie selbst sagen, nicht alles, was im Innern lebt, bewußt.«
Michael, der sich zum erstenmal mit solchen Fragen beschäftigte, sagte, seinen Gedanken nachhängend: »Dieser mein Glaube besteht eigentlich darin, daß ich, obgleich ich in keiner Hinsicht eine hohe Meinung von mir habe, in jeder Lage meinen Eingebungen folge, in der Überzeugung, sie müßten mich zu einem hohen Ziele führen.«
Der Freiherr sah mit Teilnahme und Wohlgefallen in Michaels schönes Gesicht und sagte nach einer Pause: »Der heilige Antonius von Padua begegnete auf der Straße zuweilen einem gewissen Advokaten, einem lebenslustigen Weltmanne, der nur mit Wüstlingen und sittenlosen Weibern verkehrte, und begrüßte ihn zum Erstaunen der Umstehenden jedesmal kniefällig als einen künftigen Märtyrer und Heiligen. So, sehen Sie, verfolgt man oft ganz andere Ziele, als man meint, und je reicher und gesünder ein Mensch ist, desto weniger ahnt er im Anfang seiner Laufbahn, wo und wie beschaffen sein Ende ist. Bleiben Sie nur, wenn ich Ihnen raten darf, bei Ihrem Glauben an sich selbst, und wenn Sie daneben auch etwelchen zu mir fassen können, der ich Ihnen an Alter wie an Schulung und Erfahrung voraus bin, wird es nicht zu Ihrem Schaden sein.«
Der Freiherr stellte Michael seiner Frau vor, einer viel jüngeren, runden, hübschen Dame mit mädchenhaften Zügen, die nach etwa zehnjähriger Ehe noch so verliebt in ihren Mann war, daß für nichts anderes in ihrem Leben Raum zu schaffen war. Mit den Studenten, die der Freiherr gerne in sein Haus einführte und väterlich ermunterte, ihr den Hof zu machen, kokettierte sie zwar, aber nur obenhin, ohne Glanz und ohne Schwung, obwohl sie von Natur nicht wenig dazu begabt zu sein schien. Es wurde gesagt, der Freiherr hätte sie geheiratet, weil sie angedroht hätte, sterben zu wollen, wenn sie nicht die Seine würde, was niemandem unglaublich war, der sie kannte.
Eine größere Auszeichnung für Michael war es, daß der