Die berühmtesten Dramen von Henrik Ibsen. Henrik Ibsen
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Читать онлайн книгу Die berühmtesten Dramen von Henrik Ibsen - Henrik Ibsen страница 21
Ein Mann oben an der Tür. Hoch der Mäßigkeitsverein!
Eine Stimme. Pfui Teufel, ja!
Viele. Seht! Seht!
Aslaksen. Keine Unterbrechungen, meine Herren! – Wünscht einer das Wort?
Stadtvogt. Herr Präsident!
Aslaksen. Herr Stadtvogt Stockmann hat das Wort.
Stadtvogt. In anbetracht des nahen Verwandtschaftsverhältnisses, in dem ich bekanntermaßen zu dem amtierenden Badearzt stehe, wäre mir nichts erwünschter gewesen, als mich hier heute nicht äußern zu brauchen. Aber mein Verhältnis zum Bade und die Rücksicht auf die allerwichtigsten Interessen der Stadt zwingen mich, einen Antrag zu stellen. Ich darf wohl voraussetzen, daß die hier anwesenden Bürger ohne Ausnahme es ungern sehen würden, wenn unzuverlässige und übertriebene Mitteilungen über die sanitären Zustände des Bades und der Stadt in weitere Kreise gelangten.
Viele Stimmen. Jawohl! Ja! Natürlich! Wir protestieren!
Stadtvogt. Ich möchte deshalb vorschlagen, daß die Versammlung dem Herrn Badearzt nicht gestatte, seine Darstellung der Sache vorzulesen oder vorzutragen.
Stockmann aufbrausend. Nicht gestatte –! Was!
Frau Stockmann hustet. Hm – hm!
Stockmann faßt sich. Na; – also nicht gestatte!
Stadtvogt. Ich habe in meiner Erklärung im »Volksboten« das Publikum mit den wesentlichsten Fakten bekannt gemacht, so daß alle wohlgesinnten Bürger sich unschwer ihr Urteil bilden können. Man wird daraus ersehen, daß der Vorschlag des Herrn Badearztes – abgesehen von einem Mißtrauensvotum gegen die Spitzen der Stadtverwaltung, – im Grunde darauf hinausläuft, den steuerpflichtigen Einwohnern eine unnötige Ausgabe von mindestens hunderttausend Kronen aufzubürden.
Äußerungen des Unmuts; hier und dort Pfeifen.
Aslaksen läutet mit der Glocke. Silentium, meine Herren! Ich bin so frei, den Vorschlag des Herrn Stadtvogts zu unterstützen. Es ist auch meine Meinung, daß die Agitation des Herrn Doktor Stockmann einen Hintergedanken hat. Er spricht vom Bade; aber er strebt eine Revolution an, er will die Verwaltung in andere Hände bringen. Niemand zweifelt an den redlichen Absichten des Herrn Doktors. I bewahre – darüber kann es nur eine Meinung geben. Ich bin auch ein Freund der kommunalen Selbstverwaltung, – nur darf sie den Steuerzahlern nicht zu hoch zu stehen kommen. Das aber würde hier der Fall sein; und deshalb –; hol' mich der Henker – mit Verlaub – kann ich diesmal nicht mit Herrn Doktor Stockmann gehen. Man kann auch Gold zu teuer kaufen; das ist so meine Meinung.
Lebhafte Zustimmung von allen Seiten.
Hovstadt. Auch ich fühle mich veranlaßt, meine Stellungnahme zu vertreten. Die Agitation des Herrn Doktor Stockmann schien zunächst einigen Anklang zu finden, und ich unterstützte sie so unparteiisch, wie ich konnte. Dann aber kamen wir dahinter, daß wir uns durch eine falsche Darstellung hatten irreführen lassen –
Stockmann. Falsche –!
Hovstadt. Na also – durch eine nicht ganz zuverlässige Darstellung. Die Erklärung des Herrn Stadtvogts hat das bewiesen. Ich hoffe, daß niemand hier im Saal meine liberale Gesinnung verdächtigt; die Haltung des »Volksboten« in den großen politischen Fragen ist jedem bekannt. Aber ich habe von erfahrenen und besonnenen Männern gelernt, daß in rein lokalen Fragen ein Blatt mit einer gewissen Vorsicht zu Werke gehen muß.
Aslaksen. Vollkommen einverstanden mit dem Redner.
Hovstadt. Und in dem vorliegenden Falle steht es über allem Zweifel, daß Herr Doktor Stockmann die allgemeine Stimmung gegen sich hat. Was ist aber die erste und vornehmste Pflicht eines Redakteurs, meine Herren? Doch wohl die: in Übereinstimmung mit seinen Lesern zu wirken? Hat er nicht sozusagen ein stillschweigendes Mandat, standhaft und unbeirrt die Wohlfahrt seiner Gesinnungsgenossen zu fördern? Oder sollte ich mich hierin irren?
Viele Stimmen. Nein, nein, nein! Hovstad hat recht!
Hovstadt. Es hat mich einen schweren Kampf gekostet, mit einem Manne zu brechen, in dessen Hause ich noch in jüngster Zeit ein häufiger Gast gewesen bin, – mit einem Manne, der bis zu diesem Tage sich bei seinen Mitbürgern des ungeteilten Wohlwollens erfreuen durfte, – einem Manne, dessen einziger – oder wenigstens hauptsächlichster Fehler ist, daß er mehr sein Herz als seinen Kopf um Rat fragt.
Stimmen hier und dort. Sehr richtig! Hoch Doktor Stockmann!
Hovstadt. Aber meine Pflicht der Gesellschaft gegenüber gebot mir, mit ihm zu brechen. Und dann gibt es noch eine Rücksicht, die mich veranlaßt, ihn zu bekämpfen und ihn womöglich von dem schicksalsschwangeren Weg abzubringen, den er eingeschlagen hat; das ist die Rücksicht auf seine Familie –
Stockmann. Bleiben Sie bei der Wasserleitung und der Kloake!
Hovstadt. – die Rücksicht auf seine Gattin und seine unversorgten Kinder.
Morten. Meint er uns, Mutter?
Frau Stockmann. Pst!
Aslaksen. Ich bringe also den Antrag des Herrn Stadtvogts zur Abstimmung.
Stockmann. Ist nicht nötig! Ich gedenke jetzt nicht über die Schweinerei da unten in der Badeanstalt zu reden. Nein, – Ihr sollt etwas ganz anderes zu hören bekommen.
Stadtvogt halblaut. Was ist denn nun schon wieder?
Ein Betrunkener oben an der Eingangstür. Ich bin steuerberechtigt! Und darum bin ich auch meinungsberechtigt! Und ich bin der sichern – festen – unbegreiflichen Meinung, daß –
Mehrere Stimmen. Ruhe da hinten!
Andere. Er ist betrunken! Schmeißt ihn hinaus!
Der Betrunkene wird an die Luft gesetzt.
Stockmann. Habe ich das Wort?
Aslaksen läutet mit der Glocke. Herr Doktor Stockmann hat das Wort!
Stockmann. Vor einigen Tagen noch hätte man sich nur unterstehen und versuchen sollen, mich mundtot zu machen, wie hier in dieser Stunde! Wie ein Löwe hätte ich um meine heiligen Menschenrechte gekämpft! Aber jetzt kann es mir gleich sein; denn nun habe ich mich über wichtigere Dinge auszusprechen.
Die Menge schart sich dichter um ihn. Morten Kiil wird unter den Zunächststehenden sichtbar.
Stockmann fährt fort. Ich habe in diesen Tagen viel gedacht und gegrübelt, – habe so intensiv gegrübelt, daß mir schließlich der Kopf brummte –
Stadtvogt hustet. Hm –!
Stockmann. – dann aber ward mir alles klar; ich sah mit voller Deutlichkeit den Zusammenhang. Und deshalb stehe ich jetzt hier. Ich will große Enthüllungen machen, liebe Mitbürger! Ich will Euch über eine Entdeckung von ganz anderer Tragweite berichten als über die Bagatelle, daß unsere Wasserleitung vergiftet ist und unser Kurort auf verpestetem Boden steht.
Viele Stimmen schreien: Nicht vom Bade reden! Wir wollen es nicht hören! Nichts davon!
Stockmann.