Die berühmtesten Dramen von Henrik Ibsen. Henrik Ibsen
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Verblüffte Stimmen halblaut. Was sagt er da?
Stadtvogt. Solch eine Insinuation –.
Aslaksen mit der Hand an der Glocke. Der Redner wird ersucht, sich zu moderieren.
Stockmann. Ich habe meine Vaterstadt so tief geliebt, wie ein Mann nur die Heimat seiner Jugend lieben kann. Ich war nicht alt, als ich von hier wegging, und die Entfernung, die Sehnsucht und die Erinnerung warfen etwas wie einen gesteigerten Glanz auf den Ort wie auf die Menschen.
Vereinzelter Applaus und Beifallsrufe.
Stockmann. Dann saß ich lange Jahre in einem entsetzlichen Erdwinkel hoch oben im Norden. Begegnete ich einmal einem der Leute, die da zwischen en Steinhaufen verstreut lebten, dann dachte ich zuweilen, es wäre besser für die armen, verkommenen Geschöpfe, wenn sie einen Tierarzt da oben hätten anstelle eines Mannes wie ich.
Gemurmel im Saal.
Billing legt die Feder hin. So etwas habe ich, Gott verdamm' mich, denn doch noch nicht gehört –!
Hovstadt. Das heißt eine ehrenwerte Bevölkerungsklasse verhöhnen!
Stockmann. Nur ein bißchen Geduld! – ich glaube, keiner wird mir nachsagen können, ich hätte da oben meine Vaterstadt vergessen. Ich saß und brütete wie ein Eidervogel; und was ich ausgebrütet habe – das war die Idee dieses Bades.
Applaus und Einspruch.
Stockmann. Und als ich dann endlich nach Jahr und Tag, dank einer guten und glücklichen Schicksalsfügung, in die Heimat zurückkehren durfte, – ja, liebe Mitbürger, da war es mir, als bliebe mir auf Erden kaum noch etwas zu wünschen übrig. Nur den einen Wunsch hatte ich noch: mit heißem, unermüdlichem Eifer tätig zu sein zum Wohl der Heimat und des Gemeinwesens.
Stadtvogt sieht in die Luft. Die Art und Weise ist ein bißchen sonderbar – hm.
Stockmann. Und so schwelgte und schwelgte ich hier im Glücke der Verblendung. Gestern früh aber – oder eigentlich schon vorgestern abend – da gingen mir die Augen meines Geistes weit auf, und das erste, was ich zu sehen bekam, das war die grenzenlose Dummheit der Behörden –
Lärm, Rufe und Gelächter. Frau Stockmann hustet anhaltend.
Stadtvogt. Herr Präsident!
Aslaksen läutet. Kraft meiner Befugnisse –!
Stockmann. Es ist kleinlich, sich an ein Wort zu klammern, Herr Aslaksen. Ich meine nur, daß ich hinter die unglaubliche Schweinewirtschaft gekommen bin, deren sich die Spitzen der Badeverwaltung schuldig gemacht haben. »Spitzen« kann ich auf den Tod nicht leiden; – Leute dieser Art habe ich in meinem Leben dick bekommen. Sie sind wie Ziegenböcke in einer jungen Baumpflanzung; überall richten sie Unheil an; dem freien Manne stehen sie im Wege, wie er sich auch dreht und wendet, – und ich würde es am liebsten sehen, man könnte sie ausrotten wie Raubwild –
Unruhe im Saal.
Stadtvogt. Herr Präsident, dürfen solche Ausdrücke passieren?
Aslaksen mit der Hand an der Glocke. Herr Doktor! –
Stockmann. Ich wundere mich nur, daß mir erst jetzt die Augen über die Herren aufgegangen sind, denn ich habe doch hier beinahe Tag für Tag ein Prachtexemplar vor Augen gehabt, – meinen Bruder Peter – schwerfällig und zäh in seinen Vorurteilen –
Gelächter, Lärm und Pfeifen. Frau Stockmann hustet fortdauernd. Aslaksen läutet heftig.
Der Betrunkene, der wieder hereingekommen ist. Meint er etwa mich? Ich heiße doch nämlich Pettersen; aber der Teufel soll mich holen –
Entrüstete Stimmen. Hinaus mit dem Betrunkenen! Setzt ihn vor die Tür!
Der Mann wird wieder hinausgeworfen.
Stadtvogt. Wer war der Mensch?
Ein in der Nähe stehender. Kannte ihn nicht, Herr Stadtvogt.
Ein zweiter. Er ist kein Hiesiger.
Ein dritter. Es soll ein Holzhändler sein aus – Der Rest ist undeutlich.
Aslaksen. Der Mann hatte offenbar einen Bierrausch –. Fahren Sie fort, Herr Doktor; aber befleißigen Sie sich endlich einmal der Mäßigung.
Stockmann. Na also, Mitbürger, ich werde mich nicht weiter über unsere »Spitzen« auslassen. Wenn einer aus dem, was ich eben gesagt habe, schließen sollte, daß ich heute diesen Herren zu Leibe will, so irrt er, – irrt er ganz gewaltig. Denn ich tröste mich mit dem wohltuenden Gedanken, daß diese Greise da aus einer absterbenden Ideenwelt sich selbst am besten zum Tode befördern; sie brauchen keines Doktors Hilfe, um möglichst schnell in die Grube zu fahren. Und diese Art Leute sind es gar nicht einmal, die für die Gesellschaft die größte Gefahr sind; sie sind es nicht, die zur Vergiftung unserer geistigen Lebensquellen und zur Verpestung des Bodens, auf dem wir stehen, das meiste beitragen; nicht sie sind in unserm Gemeinwesen die gefährlichsten Feinde der Wahrheit und der Freiheit.
Rufe von allen Seiten. Wer denn? Wer sonst? Namen nennen!
Stockmann. Verlaßt Euch drauf, ich werde sie nennen! Denn das ist ja die große Entdeckung, die ich gestern gemacht habe. Mit erhobener Stimme. Der gefährlichste Feind der Wahrheit und Freiheit bei uns – das ist die kompakte Majorität. Jawohl, die verfluchte, kompakte, liberale Majorität, – die ist es! Nun wißt Ihr's!
Ungeheurer Lärm im Saal. Die Mehrzahl schreit, stampft und pfeift. Einige ältere Herren wechseln verstohlene Blicke und scheinen sich zu amüsieren. Frau Stockmann steht ängstlich auf; Ejlif und Morten treten drohend zu den Schulknaben, die Lärm machen. Aslaksen läutet mit der Glocke und mahnt zur Ruhe. Hovstad und Billing sprechen zusammen, ohne daß man sie versteht. Endlich tritt wieder Ruhe ein.
Aslaksen. Der Vorsitzende erwartet, daß der Redner seine unbesonnenen Ausdrücke zurücknimmt.
Stockmann. I, ich denke gar nicht dran, Herr Aslaksen. Die überwiegende Mehrheit in unserer Gesellschaft ist es, die mich meiner Freiheit beraubt und mir verbieten will, die Wahrheit auszusprechen.
Hovstadt. Die Mehrheit hat immer das Recht auf ihrer Seite.
Billing. Und auch die Wahrheit; Gott verdamm' mich!
Stockmann. Die Mehrheit hat nie das Recht auf ihrer Seite. Nie, sag' ich! Das ist auch so eine von den gesellschaftlichen Lügen, gegen die ein freier, denkender Mann sich empören muß. Woraus besteht denn in einem Lande die Mehrheit der Bewohner? Aus den klugen Leuten oder aus den dummen? Wir sind, denke ich, uns wohl darin einig, daß die Dummen in geradezu überwältigender Majorität rings auf der weiten Erde vorhanden sind. Aber zum Teufel noch mal, es kann doch nie und nimmer in Ordnung sein, daß die Dummen über die Klugen herrschen!
Lärm und Geschrei.
Stockmann. Ja, ja; Ihr könnt mich wohl niederschreien, aber Ihr könnt mich nicht widerlegen. Die Mehrheit hat die Macht – leider –; aber das Recht hat sie nicht. Das Recht habe ich und noch ein paar andere. Die Minorität hat immer das Recht.
Wieder großer