Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
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»Frau von Lauwerens hatte es mir ja gesagt: Sie sind ein Engel.«
Diese Erklärung, in ihrem Hause, in ihrem Wintergarten, erzürnte sie. Wahrhaftig, Frau von Lauwerens hätte ihren Schacher anderweitig betreiben können! Und Renée hätte eine Erleichterung empfunden, wenn sie all' diese Leute, die so schamlos lärmten, aus ihrem Hause hätte weisen können. Vor dem Bassin stehend, blickte sie in das Wasser und fragte sich, wo sich denn Luise und Maxime versteckt haben mochten. Noch immer spielte das Orchester diesen Walzer, dessen wiegende Klänge ihr beinahe Uebelkeiten verursachten. Dies war unerträglich; konnte sie denn in ihrem Hause nicht einmal mehr ungestört nachdenken? Sie war keines klaren Gedankens mehr fähig. Sie vergaß, daß die beiden jungen Leute noch nicht verheirathet seien und sagte sich, daß dieselben ganz einfach zu Bett gegangen seien. Dann erinnerte sie sich des Speisesaales und rasch stieg sie die Treppen des Wintergartens hinan. Doch an der Thür des großen Salons versperrte ihr zum zweiten Male eine Kotillonfigur den Weg.
»Dies sind die »schwarzen Punkte«, meine Damen!« sagte Herr von Saffré fein. »Es ist dies meine eigene Erfindung und Sie bekommen sie zum ersten Male zu sehen.«
Es wurde viel gelacht, während die Herren den Damen die Anspielung erklärten. Der Kaiser hatte ganz kürzlich in einer Rede die Bemerkung gemacht, daß sich am politischen Himmel gewisse »schwarze Punkte« zeigten. Diese schwarzen Punkte hatten, ohne daß Jemand wußte weshalb, Glück gemacht. Die Bevölkerung von Paris bemächtigte sich dieses Ausdrucks und seit acht Tagen drehte sich Alles um die schwarzen Punkte. Herr von Saffré stellte die Herren an einem Ende des Salons derart auf, daß sie den am anderen Ende befindlichen Damen den Rücken kehrten. Sodann gebot er ihnen, ihre Frackschöße emporzuheben, so daß sie damit ihren Hinterkopf verdeckten. Diese Operation wurde inmitten einer tollen Heiterkeit ausgeführt. Buckelig, mit eingezogenen Schultern, mit den aufgehobenen Frackschößen, die ihnen kaum bis zu den Hüften reichten, boten die Herren wahrhaftig einen abscheulichen Anblick.
»Lachen Sie nicht, meine Damen!« rief Herr von Saffré mit drolligem Ernst aus; »oder ich lasse Sie Ihre Spitzentücher zurückschlagen.«
Das allgemeine Gelächter ertönte noch lauter, während er einzelnen Herren gegenüber, die ihre Köpfe nicht verbergen wollten, seine Autorität energisch geltend machte.
»Sie stellen die »schwarzen Punkte« vor,« sagte er zu ihnen. »Verhüllen Sie Ihre Köpfe und zeigen Sie blos den Rücken, so daß die Damen blos Schwarzes zu sehen bekommen ... Und nun vorwärts, mengen Sie sich unter einander, damit man Sie nicht mehr erkennen könne.«
Die Heiterkeit hatte ihren Höhepunkt erreicht. Die »schwarzen Punkte« kamen und gingen auf ihren dünnen Beinen wie Raben, die keine Köpfe haben. Man sah sogar ein Stück von dem Hemde eines Herrn sammt Hosenträger und nun begannen die Damen zu rufen, man möge aufhören, sonst müßten sie ersticken und Herr von Saffré hatte so viel Einsehen, ihnen zu befehlen, sie mögen nun jede sich einen »schwarzen Punkt« aussuchen. Die Damen stoben unter lautem Rauschen ihrer Röcke wie ein Schwarm junger Rebhühner davon und bei den Herren angelangt, erfaßte Jede den Kavalier, der ihr unter die Hände gerieth. Die Verwirrung war eine ungeheure. Und nun tanzten die improvisirten Paare in langer Reihe den Walzer, welchen das Orchester unermüdlich zu Gehör brachte.
Renée hatte sich an die Mauer gelehnt und starrte bleich, mit zusammengepreßten Lippen vor sich hin. Ein alter Herr trat auf sie zu und fragte galant, weshalb sie nicht tanze. Sie mußte lächeln und etwas erwidern. Dann entschlüpfte sie ihm und trat in den Speisesaal. Derselbe war leer. Von den geplünderten Speiseschränken, den benützten Tellern und Flaschen umgeben saßen Maxime und Luise an der Ecke eines Tisches bei einander und soupirten ruhig. Sie schienen sich sehr behaglich zu fühlen und lachten inmitten dieser Unordnung, dieser beschmutzten Gläser, dieser von Fett triefenden Teller und den Ueberresten, die noch warm waren von der Gier der weißbehandschuhten Gäste. Die beiden jungen Leute begnügten sich, die Brosamen wegzuputzen. Baptiste dagegen schritt ernst und würdevoll neben dem Tische auf und ab, ohne anscheinend den Raum zu beachten, in welchem ein Rudel Wölfe gehaust zu haben schien. Er wartete blos, bis die Diener etwas Ordnung geschafft haben würden.
Maxime hatte noch ein ganz erträgliches Souper zusammengestellt. Luise schwärmte für Mandelkuchen mit Pimpernüssen, von welchen noch ein Teller voll in einem Schrank entdeckt wurde. Vor sich hatten sie drei Flaschen Champagner, welche bereits angebrochen waren.
»Papa hat sich vielleicht schon entfernt,« sagte das junge Mädchen.
»Umso besser,« erwiderte Maxime; »dann werde ich Sie nach Hause begleiten.«
Und da sie über diese Worte lachte, fügte er hinzu:
»Sie wissen doch, daß man durchaus will, ich möge Sie heirathen. Das ist kein Scherz mehr, sondern vollster Ernst ... Was werden wir denn thun, wenn wir verheirathet sein werden?«
»Dasselbe was die Anderen thun!«
Die Worte waren ihr etwas zu rasch entschlüpft und so fügte sie lebhaft hinzu, gleichsam als wollte sie dieselben vergessen machen:
»Wir werden nach Italien gehen, was für meine Brust sehr gut sein wird ... denn ich bin sehr krank ... Ach, mein armer Maxime, Sie werden eine absonderliche Frau haben! Ich habe nicht für zwei Sous Fett am Leibe.«
Sie lächelte traurig trotz ihres kecken Pagenkostüms und ein trockener Husten färbte ihre Wangen roth.
»Das kommt vom Mandelkuchen,« sagte sie. »Zu Hause läßt man mich keinen essen ... Reichen Sie mir den Teller, damit ich den Rest in meine Taschen stecken könne.«
Sie hatte gerade den Teller geleert, als Renée eintrat. Sie schritt sofort auf Maxime zu, wobei es ihr eine unerhörte Anstrengung kostete, nicht zu fluchen oder nicht mit den Fäusten über diese Buckelige herzufallen, die sie in so traulicher Unterhaltung mit ihrem Liebhaber antraf.
»Ich will mit Dir sprechen,« stammelte sie mit dumpfer Stimme.
Von Furcht erfaßt zögerte er, da er sich vor einer Unterredung ängstigte.
»Mit Dir allein und zwar sofort,« drängte Renée.
»Gehen Sie doch, Maxime,« sagte Luise mit ihrem unerklärlichen Blick. »Und schicken Sie mir gleichzeitig meinen Vater, den ich immer aus den Augen verliere, wenn wir in Gesellschaft sind.«
Er erhob sich und versuchte die junge Frau noch im Speisesaale aufzuhalten, indem er sie fragte, was sie ihm denn so Dringendes mitzutheilen habe. Sie aber sagte mit aufeinander gepreßten Zähnen:
»Folge mir oder ich sage Alles in Gegenwart der Leute!«
Er wurde sehr bleich und folgte ihr mit dem widerstandslosen Gehorsam eines geprügelten Thieres. Sie glaubte, daß Baptiste sie anblickte; doch was kümmerte sie sich in diesem Augenblick um die klaren, ruhigen Augen dieses Lakaien? An der Thür wurde sie zum dritten Male durch den Kotillon aufgehalten.
»Warte,« murmelte sie; »diese Tölpel wollen noch immer nicht fertig werden.«
Und damit erfaßte sie seine Hand, damit er ihr nicht entschlüpfen könne.
Herr