Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
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Der Minister zog sich indessen zurück. Er entschuldigte sich, daß er die schöne Frau Saccard nicht erwarten könne, um ihr seine Bewunderung über die vollendete Anmuth der Nymphe Echo auszudrücken. Er war Arm in Arm mit seinem Bruder zwei- oder dreimal durch den Salon geschritten, hatte einigen Leuten die Hand gedrückt und mehrere Damen begrüßt. Niemals noch hatte er sich Saccard's wegen in solchem Maße bloßgestellt. Der Spekulant strahlte vor Freude, als er ihm bei der Thür angelangt, mit lauter Stimme sagte:
»Ich erwarte Dich morgen; komm' zum Frühstück zu mir.«
Der Ball sollte beginnen. Die Diener hatten die Fauteuils der Damen an die Wände gerückt. Ueber den Boden des großen Salons erstreckte sich nun von dem kleinen, gelben Salon bis zur Estrade der purpurrothe Teppich, dessen große Blumen sich unter dem blendenden Lichte der Kronleuchter zu erschließen schienen. Immer höher stieg die Hitze und der Reflex der rothen Tapeten bräunte das Gold der Möbel und der Decke. Um den Ball zu eröffnen, wartete man nur noch, bis die Damen, die Nymphe Echo, Venus, Pluto und die anderen die Toilette gewechselt haben würden.
Frau von Espanet und Frau Haffner waren die ersten, die zum Vorschein kamen. Sie hatten die Kostüme des zweiten Bildes angelegt; die Erstere stellte das Gold, Letztere das Silber dar. Man umringte, beglückwünschte die Beiden, worauf sie über ihre Eindrücke zu berichten begannen.
»Es fehlte nicht viel, so hätte ich laut zu lachen begonnen,« sagte die Marquise; »als ich von Weitem die große Nase des Herrn Toutin-Laroche erblickte, der mich anstarrte.«
»Mein Hals ist ganz steif,« warf die blonde Susanne schmachtend ein. »Nein, wahrhaftig, wenn dies eine Minute länger gedauert hätte, so hätte ich den Kopf in die natürliche Lage gebracht, denn mein Hals schmerzte fürchterlich.«
Aus der Fensternische, in welcher Herr Hupel de la Noue die Herren Mignon und Charrier gefangen hielt, warf er unruhige Blicke nach der Gruppe, die sich um die beiden jungen Frauen gebildet hatte; er fürchtete, daß man sich dort über ihn lustig mache. Nach einander langten nun auch die übrigen Nymphen an, die alle ihre Kostüme als Edelsteine angelegt hatten; einen unerhörten Erfolg hatte die Comtesse Vanska als Koralle, als man die sinnreichen Details ihrer Toilette in der Nähe bewundern konnte. Darauf trat Maxime in tadelloser Balltoilette, mit lächelnder Miene ein und sofort ward er von einer Fluth von Frauen umringt. Man ging ihm hart zu Leibe, neckte ihn mit seiner Rolle als Blume, mit seiner Leidenschaft für den Spiegel und er verrieth keinerlei Befangenheit, sondern fuhr wie entzückt über seine Persönlichkeit zu lächeln fort, ging auf die Scherze ein und gestand, daß er sich selbst anbete und die Frauen zur Genüge kenne, um sich selbst ihnen vorzuziehen. Darüber wurde noch lauter gelacht, die Gruppe wurde immer größer, während der junge Mann in diesem Meer von Schultern verloren, inmitten dieses Gewirrs flimmernder Toiletten, seinen Duft ungeheuerlicher Leidenschaft, die lasterhafte Sanftmut einer blonden Blume beibehielt.
Als aber Renée endlich zum Vorschein kam, trat eine kurze Stille ein. Sie hatte ein neues Kostüm von so origineller Anmuth und solcher Kühnheit angelegt, daß sogar die an die Überspanntheiten der jungen Frau gewöhnten Herren und Damen ein Murmeln der Ueberraschung nicht zu unterdrücken vermochten. Sie war wie eine Bewohnerin der Insel Otahaiti gekleidet, deren Tracht offenbar eine sehr primitive ist, denn dieselbe bestand blos aus einem zart rosafarbenen Tricot, welches ihr von den Füßen bis zum Busen reichte, Schultern und Arme dagegen vollständig nackt ließ. Ueber diesem Tricot hatte sie eine einfache, kurze Mousselineblouse, die mit zwei Volants besetzt war, um die Hüften ein wenig zu verdecken. In den Haaren trug sie eine Krone aus Feldblumen, an den Fußknöcheln und um die Handgelenke goldene Reifen. Und weiter nichts. Sie war so gut wie nackt. Unter der weißen Blouse war das Tricot von den Formen des Körpers geschwellt und die reine Linie derselben fand ihre Fortsetzung von den Knieen bis zu den Achselhöhlen, nur schwach unterbrochen von den Volants, doch umso schärfer bei der leisesten Bewegung zwischen den Maschen der Spitzen hervortretend. Sie stellte eine entzückende Wilde, eine wollüstige Tochter der Barbaren dar, kaum hinter einer weißen Dunstwolke verborgen, die ihren ganzen Körper errathen ließ.
Mit gerötheten Wangen kam Renée lebhaften Schrittes heran. Céleste hatte das erste Tricot ruinirt, die junge Frau aber in Voraussicht dieser Möglichkeit ihre Vorsichtsmaßregeln getroffen. Dieses zerrissene Tricot hatte die Verzögerung verursacht. Sie schien ihren Triumph gar nicht zu bemerken; ihre Hände brannten, ihre Augen glänzten im Fieber. Dessenungeachtet lächelte sie und antwortete kurz auf die schmeichelhaften Bemerkungen der Herren über die vollendete Schönheit, mit welcher sie die Nymphe »Echo« in den lebenden Bildern dargestellt. Hinter ihr blieb ein Schwarm schwarzer Fräcke zurück, die entzückt von der Durchsichtigkeit ihrer weißen Mousselineblouse waren. Als sie bei der Gruppe der Frauen angelangt war, welche Maxime umgaben, wurden bewundernde Bemerkungen laut und die Marquise, die sie eingehend vom Scheitel bis zu den Füßen musterte, bemerkte halblaut:
»Sie ist herrlich gebaut.«
Frau Michelin, deren Kostüm als indische Tänzerin sich neben dieser hauchleichten Toilette überaus schwerfällig ausnahm, preßte die Lippen zusammen, während ihr Frau Sidonie, die in ihrem Kostüme als Magierin gänzlich zusammengeschrumpft aussah, ins Ohr flüsterte:
»Weiter läßt sich die Unanständigkeit denn doch nicht treiben, nicht wahr, mein Schatz?«
»Gewiß nicht!« erwiderte die hübsche Brünette. »Mein Gatte wäre im höchsten Grade aufgebracht, wenn ich mich dermaßen entkleiden würde.«
»Und mit vollem Recht!« schloß die Spitzenhändlerin.
Die anwesenden ernsten Männer theilten nicht diese Ansicht, sondern waren ganz begeistert. Herr Michelin, den seine Frau zu so ungelegener Zeit als Beispiel anführte, gerieth vor Begeisterung ganz außer sich, nur um dem Baron Gouraud und Herrn Toutin-Laroche, die der Anblick Renée's entzückte, gefällig zu sein. Man sagte Saccard allerlei Schmeichelhaftes über die herrlichen Formen seiner Frau und er verbeugte sich ganz gerührt. Der Abend brachte ihm die Erfüllung so vieler Wünsche und abgesehen von einer gewissen Besorgniß, die zuweilen in seinen Augen aufstieg, wenn er einen raschen Blick zu seiner Schwester hinüberwarf, hätte man ihn für ganz glücklich halten können.
»Nicht wahr, so viel hat sie uns noch nicht sehen lassen?« flüsterte Luise Maxime scherzend ins Ohr, indem sie mit den Augen auf Renée deutete.
Gleich darauf fügte sie aber mit einem unerklärlichen Lächeln hinzu:
»Mich wenigstens nicht.«
Der junge Mann blickte sie unruhig an; sie aber lächelte unbefangen mit der Schelmerei eines Schulknaben, der sich über einen etwas gewagten Scherz freut.
Der Ball nahm seinen Anfang. Die Estrade, auf welcher die lebenden Bilder dargestellt worden, hielt jetzt ein kleines Orchester besetzt, in welchem die Blechinstrumente vorherrschten und die Trompeten und Klapphörner ließen in dem idealen Walde, inmitten der blauen Bäume ihre hellen Töne erschallen. Zuerst wurde eine Quadrille nach der Melodie gespielt: »Ach, Bastian hat Stiefel an!«, die zu jener Zeit in den niedrigen Tanzlokalen sich großer Beliebtheit erfreute. Und die Damen tanzten dazu. Polka's, Walzer und Mazurka's wechselten mit den Quadrillen ab. Die sich wiegenden Paare kamen und gingen, den langen