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Und wie sie da mit der Beharrlichkeit eines allmälig sich verwirrenden Geistes darüber nachgrübelte, was sie denn ganz nackt vor diesem Spiegel wolle, sah sie sich mit einem Male in ihre Kindheit zurückversetzt, als siebenjähriges Kind in den ernsten Räumen des Hôtels Béraud. Sie erinnerte sich eines Tages, da Tante Elisabeth sie Beide, sie und ihre Schwester Christine, in reizende, grauwollene Kleidchen mit kleinen, rothen Vierecken gekleidet hatte. Es war gerade zu Weihnachten gewesen. Wie sehr hatten sie sich dieser gleichen Kleider gefreut! Die Tante verzog sie und schenkte ihnen sogar ein Arm- und Halsband aus Korallen. Die Aermel waren lang, das Leibchen reichte bis an's Kinn und der Schmuck lag ganz auf dem Zeug, was ihnen sehr gefiel. Renée erinnerte sich, daß auch ihr Vater zugegen gewesen, der mit seiner traurigen Miene gelächelt hatte. An diesem Tage waren sie, ihre Schwester und sie, im Kinderzimmer auf- und abgeschritten wie zwei große Personen, ohne zu spielen, um sich ja nicht zu beschmutzen. Im Kloster zur »Heimsuchung Maria« aber hatten sie ihre Kolleginen mit ihrem »Pierrotkostüm« geneckt, das ihr bis zu den Fingerspitzen reichte und die Ohren verdeckte, so daß sie während des Vortrages zu weinen begonnen. Und damit man sich nicht mehr über sie lustig mache, hatte sie während der Schulpause die Aermel emporgeschürzt und den Kragen des Leibchens eingeschlagen. Das Korallenhalsband und Bracelet däuchten ihr nun doppelt so schön auf der weißen Haut des Nackens und der Arme. Hatte sie an jenem Tage begonnen, sich nackt zu gefallen?
Ihr ganzes Leben zog an ihrem geistigen Auge vorüber. Sie sah den langen Rausch, dieses Toben des Goldes und des Fleisches, das in ihr immer ärger geworden, das ihr bis zu den Knieen, dann bis zum Bauche und schließlich bis zu den Lippen reichte. Und nun fühlte sie, wie die Fluth über sie hereinbrach und wild pochend an ihr Gehirn hämmerte. Es war das einem schlechten Safte vergleichbar, der ihre Glieder ermattete, ihr Herz mit den Auswüchsen einer schmachvollen Leidenschaft erfüllte und in ihrem Geiste krankhafte, thierische Begierden zeitigte. Dieser Saft hatte seine Herrschaft ausgeübt, wo sie sich auch befinden mochte, in den Kissen ihres Wagens, in anderen Kissen ebenfalls, auf all' diesem Sammt und dieser Seide, welche sie seit ihrer Verheirathung umgaben. Die Schritte Anderer mußten diesen Giftkeim an diesem Orte zurückgelassen haben, welcher sich immer mächtiger in ihren Adern entfaltete. Sie erinnerte sich ganz deutlich an ihre Kindheit. So lange sie klein war, hatte sich nur Neugierde oder Vorwitzigkeit in ihr geregt. Selbst später, nach jener Vergewaltigung, welche sie in die Arme des Schlechten gestoßen, hatte sie soviel Schmach und Schande nicht angestrebt. Gewiß, es wäre ein besseres Wesen aus ihr geworden, wenn sie sittsam bei Tante Elisabeth geblieben wäre. Und deutlich vernahm sie das Klappern der Stricknadeln der Tante, während sie starr in den Spiegel blickte, um in dieser friedlichen Zukunft zu lesen, die ihr entgangen war. Sie sah aber nichts Anderes, als ihre rosigen Schenkel, ihre rosigen Hüften, dieses fremde Weib in rosa Seide, das sie vor sich hatte und das für die Liebe der Puppen und Hampelmänner geschaffen schien. So weit war es mit ihr gekommen; sie war eine große Puppe geworden, deren zerrissene Brust blos noch einen dünnen, schwachen Ton von sich gab. Und angesichts der Scheußlichkeiten ihres Lebens machte sich das Blut ihres Vaters, dieses spießbürgerliche Blut, welches sie in ihren schweren Stunden so erbarmungslos quälte, geltend und empörte sich in ihr. Sie, die bei dem Gedanken an die Hölle stets von Zittern erfaßt worden, hätte ihr Leben eigentlich in den dunkeln Räumen des Hôtels Béraud verbringen müssen. Wer hatte sie denn ganz nackt entkleidet?
Und in dem bläulichen Schatten des Spiegels glaubte sie die Gesichter Saccard's und Maxime's erscheinen zu sehen. Saccard mit schwärzlichem, grinsendem Gesicht, sah eisenfarben aus, sein Lachen erinnerte an eine Beißzange auf dünnen, kleinen Beinen. Dieser Mann bedeutete einen Willen. Seit zehn Jahren sah sie ihn am Hochofen stehen, vom Glanze der glühenden Metalle bestrahlt, mit verbranntem Gesicht, keuchend, stets in Bewegung und Hämmer schwingend, die seine Kraft um ein Zwanzigfaches überstiegen, auf die Gefahr hin, sich selbst mit denselben zu zerschmettern. Nunmehr verstand sie ihn und er erschien ihr groß in seinen übermenschlichen Anstrengungen, in seinen Schurkenstreichen, die er in unerhörtem Maße betrieb, in seinem unablässigen Ringen nach einem ungeheuren Vermögen. Sie sah ihn über alle Hindernisse hinwegsetzen, sich im Kothe wälzen und sich nicht einmal Zeit zum Reinigen nehmen, nur um je früher anzulangen, ohne daß er unterwegs angehalten hätte, um sich des Gewonnenen zu freuen. Hinter den breiten Schultern des Vaters tauchte jetzt der hübsche Blondkopf Maxime's auf, mit seinem einfältigen Mädchenlachen, seinen ausdruckslosen Augen einer Metze, die sich niemals zu Boden senkten und dem Haartheil in der Mitte der Stirne, welches den weißen Schädel sehen ließ. Er machte sich lustig über Saccard, weil sich derselbe so unsägliche Mühe gab, die Reichthümer zu erwerben, welche er mit so herrlicher Lässigkeit verzehrte. Er war ein Ausgehaltener. Seine langen, weichen Hände verriethen sein Laster, sein schlanker Leib hatte die schlaffe Haltung einer gesättigten Frau. In diesem ganzen feigen, widerstandslosen Wesen, durch dessen Adern das Laster sanft wie laues Wasser rollte, verrieth sich nicht einmal der Schimmer des nach dem Schlechten trachtenden Verlangens. Und als Renée die beiden Schatten aus dem Spiegel treten sah, wich sie einen Schritt zurück, denn sie sah, daß Saccard sie wie einen Einsatz, wie ein Betriebsmittel ausgesetzt hatte und daß Maxime zugegen gewesen, um den aus der Tasche des Spekulanten gefallenen Louis aufzuheben. Sie bildete ein Werthpapier in dem Portefeuille ihres Gatten; er drängte sie zu den Toiletten, die sie während einer Nacht benützte, zu den Liebhabern, die sie einen Monat hatte, tauchte sie in die Flammen seines Hochofens, bediente sich ihrer wie eines Edelmetalls, um das Eisen seiner Hände zu vergolden. Und allmälig war es dem Vater gelungen, sie genügend wahnsinnig, genügend schlecht zu machen, um daß sie sich den Küssen des Sohnes hingebe. Wenn Maxime das entartete Abbild Saccard's war, so fühlte sie, daß sie selbst das Produkt, die blutschänderische Frucht dieser beiden Männer, die Infamie sei, welche jene zwischen sich geschaffen und in welche Beide versunken waren.
Nun wußte sie Alles. Diese Leute hatten sie entkleidet. Saccard hatte ihr Mieder gelöst, Maxime die Röcke heruntergezogen und zu Zweien hatten sie ihr das Hemd vom Leibe gerissen. Jetzt stand sie da, ohne einen Fetzen am Leibe und mit goldenen Spangen wie eine Sklavin. Sie hatten sie vorhin gesehen und nicht einmal gesagt: »Du bist ja nackt!« Der Sohn zitterte wie eine Memme, erschrack bei dem Gedanken, sein Verbrechen zu vollenden und weigerte sich, in ihrer Leidenschaft ihr weiter zu folgen. Der Vater aber bestahl sie, statt sie zu tödten; dieser Mann strafte die Leute, indem er deren Taschen leerte. Eine Namensunterschrift fiel gleich einem Sonnenstrahl in die Brutalität seines Zornes und um Rache zu üben, nahm er diese Unterschrift mit sich. Sodann hatte sie die Schultern der Beiden in dem Dunkel der Treppe verschwinden sehen. Und kein Blut auf dem Teppich; kein Schrei, keine Klage. Beide waren feige Memmen und hatten sie nackt ausgezogen.
Und sie sagte sich, daß sie ein einziges Mal die Zukunft gesehen und zwar an dem Tage, da angesichts der murmelnden Schatten des Monceau-Parkes der Gedanke, daß ihr Gatte sie verunglimpfen und eines Tages dem Wahnsinne preisgeben werde, sie inmitten ihrer wachsenden Begierden erschreckt hatte. Ach! wie schmerzte sie ihr armer Kopf! wie deutlich ward sie sich zu dieser Stunde der Unhaltbarkeit jenes Phantasiegebildes bewußt, welches sie hatte glauben machen wollen, daß sie in einer Atmosphäre glücklichen Genießens und göttlicher Straflosigkeit leben werde! Sie hatte im Reiche der Schande gelebt und ward durch das Ersterben ihres Leibes, durch den Tod ihres in den letzten Zügen liegenden ganzen Wesens bestraft. Und sie weinte, weil sie den eindringlichen Stimmen der Bäume kein Gehör geschenkt.
Ihre Blöße reizte sie zum Zorn. Sie wandte den Kopf ab und blickte um sich. In dem Ankleidezimmer herrschte noch immer die schwere, von Düften gesättigte Luft, dieselbe warme Stille, welche die Walzertöne nur noch wie die sich immer mehr verbreiternden Kreise des Wassers berührten, in welches ein Stein geworfen worden. Diese fernen Klänge einer übersprudelnden Lebenslust machten auf sie den Eindruck unerträglichen Spottes. Sie hielt sich die Ohren zu, um nichts zu hören. Dafür sah sie nun den wollüstigen Luxus des Gemaches. Sie erhob den Blick zu dem rosafarbenen Zelt, bis zu der silbernen Krone, welche