Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
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Читать онлайн книгу Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola страница 177
Doch trotzdem sie die Augen geschlossen hielt, sah sie das fleischfarbene Ankleidezimmer vor sich, gleichwie die grauen Seidenvorhänge des Schlafgemaches, das gedämpfte Gold des kleinen Salons, das satte Grün des Treibhauses, – all' diese Reichthümer, die ihre Mitschuldigen waren. Dort hatte sie die schlechten Säfte eingesogen. Auf dem elenden Lager eines kahlen Mansardenstübchens hätte sie nicht mit Maxime geschlafen. Das wäre zu gemein, zu niedrig gewesen. Die Seide hatte ihrer Schuld den Anstrich des Koketten verliehen. Und sie wollte all' diese Spitzen von den Wänden reißen, auf diese Seide speien, ihr großes Bett mit Fußtritten zertrümmern, ihren ganzen Luxus durch die Gosse zerren, damit er abgenützt und verunreinigt gleich ihr wieder zum Vorschein komme.
Als sie die Augen wieder öffnete, trat sie zum Spiegel und betrachtete sich von Neuem. Es war zu Ende mit ihr und sie sah sich todt. Ihre ganze Physiognomie sagte ihr, daß die geistige Zerrüttung Fortschritte mache. Maxime, diese letzte Verirrung ihrer Sinne, hatte das Werk vollbracht, ihre Kräfte erschöpft, ihren Geist gebrochen. Sie hatte keine Freuden mehr zu verkosten, kein Erwachen zu erwarten. Bei diesem Gedanken regte sich ein wilder Zorn in ihr. Und in einer letzten Krise brennenden Verlangens wollte sie ihre Beute wieder an sich reißen, in den Armen Maxime's sterben und ihn mit sich nehmen. Luise konnte ihn nicht heirathen; Luise wußte, daß er nicht ihr gehöre, denn sie hatte es mitangesehen, wie sie einander umarmt und geküßt. Sie warf einen Pelzmantel um ihre Schultern, um nicht nackt unter den Leuten zu erscheinen und stieg hinab.
Im kleinen Salon fand sie sich Frau Sidonien gegenüber, die neuerdings an der Thür des Treibhauses Stellung genommen, um das sich vorbereitende Drama zu genießen. Sie wußte aber nicht, was sie sich denken sollte, als Saccard mit Maxime zum Vorschein kam und ihre mit leiser Stimme gestellten Fragen brutal dahin beantwortete, daß sie wohl geträumt habe und daß »absolut nichts« gewesen sei. Dann ward ihr der Zusammenhang klar. Ihr gelbes Gesicht wurde ganz bleich; die Sache erschien ihr wirklich stark. Und vorsichtig drückte sie das Ohr an die Thür der Treppe, da sie glaubte, sie werde Renée oben weinen hören. Als die junge Frau die Thür öffnete, traf dieselbe beinahe den Kopf ihrer Schwägerin.
»Sie spioniren also hinter mir?« fragte sie zornig.
Frau Sidonie aber erwiderte voll edler Verachtung:
»Kümmere ich mich etwa um Ihre Unfläthigkeiten?«
Und ihren Magiertalar zurechtziehend, entfernte sie sich mit einem hoheitsvollen Blick, indem sie sagte:
»Ich bin ganz unschuldig daran, mein Schatz, wenn Ihnen Unannehmlichkeiten widerfahren ... Ich bin aber keine rachsüchtige Person, das halten Sie stets vor Augen, ebenso, daß Sie in mir eine zweite Mutter gefunden hätten und immer noch finden würden. Wann immer Sie bei mir vorsprechen, sollen Sie mir willkommen sein.«
Renée vernahm ihre Worte gar nicht. Sie trat in den großen Salon und wanderte mitten durch eine sehr komplizirte Kotillonfigur, ohne gar das Erstaunen zu bemerken, welches ihr Pelzmantel erregte. In der Mitte des Raumes standen Damen und Herren, die sich unter einander mengten, während die Stimme des Herrn von Saffré sprach:
»Vorwärts, meine Damen; nun kommt der »Krieg von Mexiko« ... Die Damen, welche das Gesträuch darstellen, setzen sich mit ausgebreiteten Röcken auf die Erde ... Darauf umtanzen die Herren das Gesträuch und sobald ich in die Hände klatsche, tanzt jeder Herr mit seiner Dame.«
Er klatschte in die Hände, das Orchester fiel ein und noch einmal jagte der Walzer die Paare durch den Salon. Die Figur fand nur geringen Beifall. Zwei Damen waren auf dem Teppich sitzen geblieben, da sie sich in ihre Röcke verwickelt hatten. Frau Daste erklärte, daß an dem »mexikanischen Kriege« nichts weiter Ergötzliches sei, als daß sie einen großen »Käse« machte, wie in der Schule.
Im Vestibule angelangt, fand Renée Luise und deren Vater vor, die von Saccard und Maxime begleitet wurden. Baron Gouraud hatte sich bereits entfernt. Frau Sidonie zog sich in Gesellschaft der Herren Mignon und Charrier zurück, während Herr Hupel de la Noue Frau Michelin begleitete, deren Gatte von Weitem folgte. Der Präfekt hatte den Rest des Abends dazu verwendet, der brünetten Schönheit den Hof zu machen und sie schließlich bewogen, in der schönen Jahreszeit einen Monat in dem Hauptorte seines Departements zu verbringen, »wo es wirklich sehenswürdige Antiquitäten gebe.«
Luise, die den Mandelkuchen, den sie in der Tasche hatte, insgeheim verzehrte, ward von einem Hustenanfall erfaßt, als man das Vestibule verlassen wollte.
»Hülle Dich gut ein,« ermahnte ihr Vater.
Und Maxime beeilte sich, die Schnüre ihrer Umhülle fester zusammenzuziehen. Sie hob dabei das Kinn empor und ließ ihn gewähren. Als aber Frau Saccard erschien, trat Herr von Mareuil zurück, um von ihr Abschied zu nehmen. So blieben sie Alle einen Augenblick plaudernd stehen. Um ihre Blässe, ihr Frösteln zu erklären, sagte Renée, es sei ihr kalt gewesen und sie sei darum hinaufgegangen, um diesen Pelz umzunehmen. Dabei lauerte sie auf einen Moment, um Luise, die sie mit ruhiger Neugierde betrachtete, einige Worte zuflüstern zu können. Jetzt reichten sich die Herren die Hände und da neigte sie sich zu ihrem Ohr mit den Worten:
»Sie werden ihn doch nicht heirathen, wie? Das wäre gar nicht möglich, denn Sie wissen ja ...«
Das junge Mädchen fiel ihr aber ins Wort, indem sie sich auf die Fußspitzen emporrichtete und ebenfalls flüsternd erwiderte:
»Oh, seien Sie ganz unbesorgt, denn ich nehme ihn mit mir ... Das hat gar nichts zu sagen, da wir nach Italien reisen.«
Und sie lächelte; es war das geheimnißvolle Lächeln einer lasterhaften Sphinx. Renée war sprachlos. Sie verstand sich nicht auf dieses Geschöpf und meinte, die Buckelige wolle sich über sie lustig machen. Als dann Vater und Tochter fort waren, nachdem sie mehrmals wiederholt hatten: »Auf Wiedersehen am Sonntag!« blickte sie ihren Gatten, blickte sie Maxime aus großen, entsetzten Augen an und da sie Beide so ruhig, so befriedigt sah, schlug sie die Hände vor dem Gesicht zusammen und flüchtete in die Tiefe des Treibhauses.
Hier war Alles einsam und verlassen. Die großen Blätter schliefen und auf der regungslosen Wasserfläche des Bassins erschlossen zwei Nymphäen langsam ihre Knospen. Renée hätte weinen mögen; diese feuchte Wärme, dieser durchdringende Geruch aber, den sie wiedererkannte, packte sie in der Kehle, legte sich wie eine würgende Faust um ihre Verzweiflung. Sie blickte zu ihren Füßen, zu dem Rande des Bassins nieder, auf dieselbe Stelle des gelben Sandes, wo sie im vergangenen Winter die Bärenhaut ausgebreitet hatte und als sie den Kopf emporhob, sah sie durch die zwei offen gebliebenen Thüren abermals eine Kotillonfigur.