Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau

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Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe) - Jean Jacques Rousseau

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Uebrige folgte mit Nothwendigkeit daraus. Ich wollte mich enthalten, diese verderblichen Briefe zu beantworten, die ich mich nicht enthalten konnte zu lesen. Dieser gräßliche Kampf griff meine Gesundheit an: ich sah den Abgrund, in den ich mich zu stürzen im Begriff war; mir graute vor mir selbst, und ich konnte mich nicht entschließen, Sie abreisen zu lassen. Ich verfiel in eine Art Verzweiflung; ich hätte lieber gemocht, daß Sie nicht mehr wären, als daß Sie nicht mein sein sollten: ich ging soweit, Ihren Tod zu wünschen, ja, ihn von Ihnen zu fordern. Der Himmel hat mein Herz gesehen: dieser schwere Kampf muß ein Paar Fehltritte wohl abkaufen.

      Als ich Sie bereit sah, mir zu gehorchen, mußte ich sprechen. Ich hatte von der Chaillot Aufschlüsse erhalten, denen infolge ich die Gefahr eines solchen Geständnisses noch deutlicher einsah. Die Liebe, die es mir ablockte, lehrte mich den Wirkungen desselben ausweichen. Sie waren meine letzte Zuflucht; ich hatte Vertrauen genug zu Ihnen, um Sie selbst gegen meine Schwachheit zu bewehren, ich hielt Sie für würdig mich zu retten, und ich habe nicht zu viel von Ihnen erwartet. Als ich Sie ein so theures Pfand in Ehren halten sah, erkannte ich, daß meine Leidenschaft mich nicht verblendet hatte über die Tugenden, die sie mich in Ihnen gewahren ließ. Ich gab mich mit um so größerer Zuversicht hin, als es mir schien, daß unsere Herzen sich einander genug wären. Sicher, in dem meinigen nur ehrbare Gefühle zu finden, genoß ich ohne Vorsicht die Annehmlichkeiten eines süßen Umganges. Ach, ich sah nicht, daß durch meine Nachlässigkeit das Uebel einwurzelte, und daß die Gewohnheit gefährlicher war als die Liebe. Gerührt von Ihrer Zurückhaltung, glaubte ich ohne Gefahr die meinige einschränken zu können; in der Unschuld meiner Wünsche dachte ich durch Liebkosungen, wie sie die Freundschaft bietet, in Ihnen nur die Tugend aufzumuntern. Ich erfuhr in dem Gebüsch von Clarens, daß ich zu sehr auf mich gerechnet hatte, und daß man den Sinnen nichts bewilligen muß, wenn man ihnen etwas verweigern will. Ein Augenblick, ein einziger Augenblick entzündete in mir eine Glut, die nichts löschen konnte, und wenn mein Wille noch widerstand, so war doch von Stund' an mein Herz verleitet.

      Sie theilten meine Verirrung: Ihr Brief machte mich zittern. Die Gefahr war doppelt; um mich vor Ihnen und vor mir selbst zu beschützen, mußte ich Sie entfernen. Dies war die letzte Anstrengung einer sterbenden Tugend. Durch Ihre Flucht vollendeten Sie Ihren Sieg, und sobald ich Sie nicht mehr sah, nahm mir die Sehnsucht auch das Bißchen Kraft, das ich noch hatte, Ihnen zu widerstehen.

      Mein Vater hatte, als er den Dienst verließ, Herrn von Wolmar mit nach Hause gebracht; er verdankte ihm seine Lebensrettung und war zwanzig Jahre eng mit ihm verbunden gewesen: das machte ihm diesen Freund so theuer, daß er sich nicht von ihm trennen konnte. Herr von Wolmar war schon bei vorgerückten Jahren, hatte aber, obwohl reich und von hoher Geburt, keine Frau gefunden, die ihm zusagte. Mein Vater hatte ihm von seiner Tochter erzählt, und dabei den Wunsch gehegt, seinen Freund zum Schwiegersohn zu haben; es kam darauf an, sie zu sehen und in dieser Absicht machten sie die Reise zusammen. Mein Schicksal wollte, daß ich Herrn von Wolmar gefiel, der nie zuvor geliebt hatte. Sie gaben sich im Geheimen das Wort, und da Herr von Wolmar viele Angelegenheiten an einem nordischen Hofe in Ordnung zu bringen hatte, wo sich seine Familie und sein Vermögen befand, so erbat er sich Zeit hierzu, nachdem er mit meinem Vater einig geworden war. Als er fort war, erklärte uns mein Vater, meiner Mutter und mir, daß er ihn mir zum Gatten bestimmte, und befahl mir in einem Tone, der mich bei meiner Schüchternheit nicht zur Widerrede kommen ließ, mich darauf gefaßt zu halten, ihm meine Hand zu reichen. Meine Mutter, welche die Neigung meines Herzens nur zu gut bemerkt hatte, und sich zu Ihnen von Natur hingezogen fühlte, versuchte mehrmals, seinen Entschluß wankend zu machen. Sie vorzuschlagen wagte sie nicht, sprach aber doch so von Ihnen, daß mein Vater Achtung für Sie gewann und Sie kennen zu lernen wünschte, aber die Eigenschaft, die Ihnen fehlte, machte ihn gleichgültig gegen alle, die Sie besaßen, und wenn er auch zugab, daß die Geburt diese nicht ersetzen könnte, behauptete er doch, daß sie allein ihnen Werth geben könnte.

      Die Unmöglichkeit, mein Glück zu erlangen, entzündete in mir ein Feuer, welches sie hätte auslöschen sollen. Ein schmeichelnder Wahn hielt mich in meiner Bekümmerniß aufrecht; mit ihm verlor ich die Kraft, sie auszuhalten. So lange mir noch einige Hoffnung geblieben war, Sie zu besitzen, würde ich vielleicht den Sieg über mich davon getragen haben; es würde mir weniger schwer gefallen sein, Ihnen mein Leben lang zu widerstehen, als Ihnen aus immer zu entsagen; und der bloße Gedanke an einen ewigen Kampf nahm mir den Muth zu kämpfen.

      Betrübniß und Liebe verzehrten wein Herz; ich fiel in eine Erschöpfung, die an meinen Briefen zu spüren war. Der, welchen Sie mir von Meillerie schrieben, setzte Allem die Krone auf; zu meinen eigenen Schmerzen kam hinzu, daß ich Ihre Verzweiflung fühlte. Ach! die schwächere Seele ist es immer, welche die Leiden aller beiden trägt, Ihr verwegener Vorschlag trieb meine Aengste auf's Aeußerste. Das Unglück meines Lebens stand fest: ich hatte nur die Wahl, ob ich es an das Unglück meiner Eltern oder an das Ihrige knüpfen wollte. Ich konnte den Gedanken dieses furchtbaren Entweder Oder nicht aushalten; alle Kräfte der Natur haben ihre Schranke, die meinigen waren durch so viele Aufregungen erschöpft. Ich wünschte das Leben los zu sein. Der Himmel schien sich meiner zu erbarmen, aber der grausame Tod verschonte mich, um mich zu verderben. Ich sah Sie, ich genas und ich ging unter.

      Wenn ich in meinen Fehltritten das Glück nicht fand, so hatte ich doch auch nie gehofft, es darin zu finden. Ich fühlte, daß mein Herz für die Tugend geschaffen war, und daß es ohne sie nicht glücklich sein konnte; ich unterlag aus Schwäche, nicht aus Irrthum: ich kann mich nicht damit entschuldigen, daß ich verblendet gewesen wäre. Es blieb mir keine Hoffnung; ich konnte nicht mehr anders als unglücklich sein. Unschuld und Liebe, beide waren mir gleich nothwendig; da ich sie nicht beide zugleich bewahren konnte, und da ich Ihre Verstörung sah, nahm ich nur auf Sie bei meiner Wahl Bedacht, und richtete mich zu Grunde, um Sie zu retten.

      Es ist aber nicht so leicht, als man denkt, der Tugend zu entsagen; sie quält Die, welche von ihr weichen, noch lange Zeit, und ihre Reize, welche die Wonne reiner Seelen sind, machen die vornehmste Marter des Bösen aus, der sie noch liebt, und ihrer nicht mehr genießen kann. Strafbar, ohne verderbt zu sein, konnte ich den Gewissensbissen nicht entrinnen, die meiner warteten; die Ehrbarkeit war mir theuer, selbst nachdem ich sie verloren hatte; meine Schande war mir deshalb, weil sie geheim war, nicht minder bitter, ja, wenn der ganze Erdkreis Zeuge davon gewesen wäre, hätte ich sie nicht stärker fühlen können. Ich tröstete mich in meinem Schmerze wie ein Verwundeter, der den kalten Brand fürchtet und daraus, daß er noch Schmerz fühlt, Hoffnung schöpft, geheilt zu werden.

      Indessen war mir dieser Zustand der Schmach unleidlich. Indem ich den Vorwurf ersticken wollte, ohne dem Verbrechen zu entsagen, begegnete mir, was jeder redlichen Seele begegnet, die sich verirrt, und sich in ihrer Verirrung gefällt. Eine neue Vorspiegelung, die ich mir machte, milderte die Bitterkeit der Reue; ich hoffte aus meinem Fehltritt selbst ein Mittel zu gewinnen, um ihn wieder gut zu machen, und ich entwarf den kühnen Plan, meinen Vater zu zwingen, daß er uns vereinige. Die erste Frucht unserer Liebe sollte das süße Band knüpfen; ich forderte sie vom Himmel als das Unterpfand meiner Rückkehr zur Tugend und unseres gemeinsamen Glückes; ich wünschte sie so sehr, als eine Andere an meiner Stelle sie vielleicht gefürchtet hätte. Die zärtliche Liebe, mit ihren Gaukeleien das murrende Gewissen besänftigend, tröstete mich über meine Schwachheit durch die Wirkung, welche ich mir davon versprach, und machte mir aus einer so lieben Erwartung den Reiz und die Hoffnung meines Lebens.

      Sobald sich sichtliche Merkmale meines Zustandes einstellen würden, hatte ich beschlossen, ihn in Gegenwart meiner Familie dem Herrn Perret [Dem Ortspfarrer.] frei und offen zu bekennen. Ich bin freilich furchtsam: ich fühlte, wie schwer es mir werden würde; aber die Ehre selbst spornte meinen Muth, und ich wollte lieber das eine Mal die Beschämung auf mich nehmen, die ich verdient hatte, als ewig die Schande im Grunde meines Herzens nähren. Ich wußte, daß mir mein Vater entweder den Tod oder meinen Geliebten geben würde; diese Ungewißheit hatte nichts Erschreckendes für mich, und auf eine oder die andere Weise erblickte ich in diesem Schritte das Ende aller meiner Leiden.

      Dies, mein lieber Freund, war das Geheimniß, welches ich Ihnen nicht entdecken wollte,

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