Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau

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Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe) - Jean Jacques Rousseau

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mit allen Reizen der Tugend schmückte, und wir uns zu sehr liebten, um Bande, welche diese nicht anerkennt, zwischen uns zu schlingen.

      Was waren wir, und was sind wir geworden? Zwei zärtlich Liebende brachten ein ganzes Jahr mit einander im strengsten Schweigen hin, ihre Seufzer wagten sich nicht hervor, aber ihre Herzen verstanden einander; sie glaubten zu leiden und sie waren glücklich. Ihr Verstehen führte zum Aussprechen; zufrieden aber, sich selbst besiegen und sich gegenseitig dies ehrenvolle Zeugniß geben zu können, brachten sie abermals ein Jahr in nicht minder strenger Zurückhaltung hin; sie sagten einander ihre Leiden und sie waren glücklich. Der lange Kampf wurde schlecht zu Ende geführt; ein schwacher Augenblick verwirrte sie; sie vergaßen sich in ihren Freuden. Hatten sie aufgehört keusch zu sein, waren sie wenigstens treu, der Himmel und die Natur wenigstens gaben ihrer Verbindung Rechte, die Tugend war ihnen theuer, sie übten sie noch und wußten sie noch zu ehren; sie waren weniger verderbt als gesunken. Nicht mehr so werth, glücklich zu sein, waren sie es dennoch.

      Und was thun sie jetzt, diese zärtlich Liebenden, die von einer so reinen Flamme entbrannt waren, die so ganz den Werth der Sittlichkeit fühlten? Wer wird es hören können, ohne über sie zu seufzen? Dem Verbrechen sind sie anheimgefallen, selbst der Gedanke, das eheliche Bett zu beflecken, macht ihnen kein Grausen .... Sie sinnen auf Ehebruch, Wie? Sind sie noch die nämlichen? Sind nicht ihre Seelen verwandelt? Wie kann das entzückende Bild, das der Schlechte sicher nie gesehen hat, aus Herzen schwinden, in denen es strahlte? wie ist es möglich, daß der Reiz der Tugend nicht Denen, die sie einmal gekannt, das Laster auf immer verleide? Wie viele Jahrhunderte waren nöthig, um eine so wunderbare Verwandlung hervorzubringen? Was für Zeiträume bedurfte es, um ein so bezauberndes Andenken zu verwischen, und Dem, der ein wahres Glück gekostet hatte, das Gefühl davon zu rauben? Ach! wenn uns die erste Verirrung schwer wird und langsam kommt, wie leicht, wie blitzschnell sind die übrigen! Blendwerk der Leidenschaft, du bezauberst so die Vernunft, bestichst die Sittsamkeit und wandelst die Natur, ehe man sich dessen versieht! Man verirrt sich einen einzigen Augenblick im Leben, man lenkt um einen einzigen Schritt von der geraden Straße ab, sogleich reißt uns ein unvermeidlicher Abhang tiefer und tiefer in's Verderben; man stürzt in den Schlund, und erwacht voll Entsetzen, sich, bei einem Herzen, das für die Tugend geschaffen war, mit Verbrechen beladen zu finden. Mein Freund, lassen wir den Schleier fallen: haben wir nöthig, den schauerlichen Abgrund zu sehen, welchen er verhüllt, um uns zu hüten, daß wir uns ihm nicht nähern? …. Ich nehme meine Erzählung wieder auf.

      Herr v. Wolmar traf ein, und ließ sich durch die Entstellung meines Gesichts nicht abschrecken. Mein Vater ließ mich nicht zu Athem kommen. Die Trauerzeit um meine Mutter ging zu Ende, und meinen Schmerz konnte die Zeit nicht hinwegnehmen. Ich konnte weder das eine noch das andere anführen, um mein Versprechen zu umgehen; ich mußte es erfüllen. Der Tag, der mich für immer Ihnen und mir nehmen sollte, schien mir mein letzter. Ich würde die Zurüstungen zu meinem Begräbniß mit weniger Grauen angesehen haben, als die zu meiner Hochzeit. Je näher ich dem verhängnißvollen Augenblicke kam, desto weniger vermochte ich meine erste Neigung aus meinem Herzen zu reißen; sie wurde durch meine Anstrengungen, sie zu unterdrücken, nur noch heftiger gereizt. Endlich wurde ich es müde, vergeblich zu kämpfen. In dem Augenblicke da ich mich bereit machte, einem Andern ewige Treue zu schwören, schwor noch mein Herz Ihnen ewige Liebe, und ich wurde zu dem Tempel geführt, wie ein unreines Opfer, das den Altar entweiht, auf welchem es dargebracht werden soll.

      In der Kirche fühlte ich beim Eintritt eine Aufregung, die mir ganz neu war. Eine Furcht, die ich nicht beschreiben kann, ergriff meine Seele an dieser einfachen, erhabenen Stätte, die ganz erfüllt war von der Majestät Dessen, dem man dort dient. Es durchfuhr mich ein Schauer; zitternd und einer Ohnmacht nahe, hatte ich Mühe mich bis an den Fuß des Altars zu schleppen. Weit entfernt zu mir zu kommen, fühlte ich während der Ceremonie meine Verwirrung wachsen; wenn ich noch irgend einen Gegenstand sah, so erschien er mir nur wie ein Schreckbild. Das gebrochene Licht des Gebäudes, das tiefe Schweigen der Zuschauer, ihre bescheidene, gesammelte Haltung, die Anwesenheit aller meiner Verwandten, der Ehrfurcht gebietende Anblick meines Vaters, Alles gab dem, was vorgehen sollte, einen feierlichen Anstrich, der mich zur Aufmerksamkeit und zu frommer Scheu nöthigte und mich bei dem bloßen Gedanken an einen Meineid zittern gemacht hätte. Ich glaubte in dem Priester, der die heilige Liturgie ernst und gemessen ablas, das Organ der Vorsehung zu erblicken und die Stimme Gottes zu vernehmen. Die Reinheit, Würdigkeit, Heiligkeit der Ehe, so eindringlich ausgesprochen in den Worten der Schrift, ihre keuschen, hohen Pflichten, so wichtig zum Glücke, zur Ordnung, zum Frieden, zur Fortdauer des menschlichen Geschlechtes, so süß zu erfüllen an sich selbst — dies Alles machte mir einen solchen Eindruck, daß ich inwendig eine jähe Revolution zu fühlen glaubte. Eine unbekannte Macht schien plötzlich die Unordnung der inneren Regungen zu schlichten, und sie nach dem Gesetze der Pflicht und der Natur wiederherzustellen. Das ewige Auge, welches Alles sieht, sagte ich bei mir selbst, liest jetzt im Grunde meines Herzens, vergleicht meinen geheimen Willen mit der Antwort meines Mundes; Himmel und Erde sind Zeugen der heiligen Verpflichtung, die ich übernehme, und sie werden auch Zeugen sein der Treue, mit welcher ich sie erfülle. Welches Recht kann unter den Menschen Der achten, der das erste von allen zu verletzen wagt?

      Ein zufälliger Blick auf Herrn und Frau v. Orbe, die ich neben einander stehen und mich mit Augen der Rührung betrachten sah, bewegte mich noch gewaltiger als alles Uebrige. Liebenswürdiges, tugendhaftes Paar, seid ihr, weil ihr die Liebe weniger kanntet, weniger vereint? Pflicht und Sittlichkeit binden euch; zärtliche Freunde, treue Gatten, nicht entflammt von einer rasenden Glut, welche die Seele verzehrt, liebet ihr euch mit reinen sanften Gefühlen, welche sie nähren, Gefühlen, welche die Sitte heiligt und die Vernunft leitet; euer Glück ist nur um desto wahrer und dauerhafter. Ach, könnte ich in einem ähnlichen Bande dieselbe Unschuld wiedererwerben und dasselbe Glück genießen! Wenn ich es nicht verdient habe, wie ihr, werde ich mich seiner nach eurem Beispiel würdig machen. Diese Stimmung weckte in mir Hoffnung und Muth. Ich sah das heilige Bündniß, welches ich eingehen sollte, als einen neuen Stand an, der meine Seele reinigen und sie allen ihren Pflichten zurückgeben sollte. Als der Geistliche mich fragte, ob ich Dem, den ich zum Gatten annähme, vollkommene Treue und Gehorsam verspräche, sagte ich mit Mund und Herzen Ja. Ich werde das Versprechen halten bis an meinen Tod.

      Als ich zu Hause wieder ankam, sehnte ich mich nach einer Stunde Einsamkeit und Sammlung. Ich erlangte sie, nicht ohne Mühe; und wie sehr es mich drängte, sie mir zu Nutze zu machen, ging ich doch an meine Selbstprüfung nur mit Widerstreben, denn ich fürchtete, nur eine vorübergehende Aufregung unter den veränderten Umständen erfahren zu haben und eben so wenig eine würdige Gattin an mir zu finden, als ich ein sittsames Mädchen gewesen war. Mein Prüfungsmittel war sicher, aber gefährlich: ich fing damit an, daß ich an Sie dachte. Ich gab mir das Zeugniß, daß kein Liebesgedanke mein feierliches Gelöbniß gestört hatte. Ich konnte nicht begreifen, durch welches Wunder Ihr hartnäckiges Bild, bei so großem Anlaß, es mir zurückzurufen, mich so lange hatte in Frieden lassen können; ich hätte dieser Gleichgültigkeit, dieser Vergessenheit mißtrauen mögen, als einem trügerischen Zustand, der mir zu wenig natürlich war, um von Dauer zu sein. Jedoch war keine solche Täuschung zu befürchten: ich fühlte, daß ich Sie ebenso sehr liebte und vielleicht noch mehr als sonst; aber ich fühlte es, ohne zu erröthen. Ich sah, daß ich, um an Sie zu denken, nicht nöthig hatte, zu vergessen, daß ich eines Andern Weib sei. Indem ich mir sagte, wie theuer Sie mir wären, war mein Herz bewegt, aber mein Gewissen und meine Sinne waren ruhig, und ich erkannte von Augenblick an, daß ich wirklich verwandelt war. Welcher Strom reiner Freude ergoß sich da in meine Seele! welches Gefühl von Frieden, das so lange in mir erloschen gewesen, erfrischte diese von Schmach welke Seele und verbreitete durch mein ganzes Wesen eine neue Klarheit! Ich glaubte mich neu geboren, ich glaubte ein neues Leben zu beginnen. Süße Trösterin, Tugend, dir beginne ich es; du wirst mir es lieb machen, dir will ich es weihen. Ach, ich habe zu sehr erfahren, was es heißt, dich verlieren, um zum zweiten Male von dir zu weichen!

      In der Freude über eine so große, schnelle, unerwartete Veränderung wagte ich meinen Zustand vom vorigen Tage zu betrachten; ich schauderte vor der unwürdigen Versunkenheit, in welche ich durch mein Selbstvergessen gerathen war, vor den

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