Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau

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Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe) - Jean Jacques Rousseau

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erkennen ließ, das mich versucht hatte, und wieder Gefallen an der Sittlichkeit in mir erweckte! Was für ein seltenes Glück, daß ich meiner Liebe treuer geblieben, als der Ehre, die mir einst so theuer war! Was für eine Gunst des Schicksals, daß nicht Unbeständigkeit von Ihrer Seite oder eigene mich andern Neigungen in die Hände lieferte? Wie hätte ich einem andern Liebhaber einen Widerstand entgegensetzen können, den der erste bereits überwunden hatte, und eine Scham, die schon gewohnt war, der Begierden zu weichen? Würde ich die Rechte einer erloschenen Liebe mehr geachtet haben, als die der Tugend, als diese noch in der Blüthe ihrer Herrschaft war? Welche Sicherheit konnte ich haben, immer nur Sie allein zu lieben, außer dem innern Gefühl, das alle Liebenden zu haben meinen, wenn sie sich ewige Treue schwören, und sich unschuldigerweise meineidig machen, sobald es dem Himmel gefällt, ihr Herz umzuwandeln? Jede Niederlage würde so die nächste vorbereitet haben; durch die Gewohnheit würde das Laster in meinen Augen seine Scheußlichkeit verloren haben. Aus Entehrung zu Schändlichkeit hinabgerissen, ohne Anhalt, um mich zu retten, würde ich aus einer gemißbrauchten Geliebten eine verlorene Dirne geworden sein, die Schmach meines Geschlechtes und die Verzweiflung meiner Familie. Wer hat mich behütet vor so natürlichen Folgen meines ersten Fehltrittes? wer hat mich zurückgehalten nach dem ersten Schritte? wer hat mir meinen Ruf und die Achtung Derer, die mir theuer sind, bewahrt? wer hat mich unter die Hut eines tugendhaften, verständigen, wegen seines Charakters und selbst seiner Person liebenswerthen Gatten gestellt, eines Mannes, der mir eine Achtung, eine Zuneigung entgegenbringt, die ich sowenig verdient habe? wer endlich verstattet mir noch, Anspruch zu machen auf den Namen einer rechtschaffenen Frau, und verleiht mir den Muth mich seiner würdig zu machen? Ich sehe es, ich fühle es; die hülfreiche Hand, welche mich durch das Dunkel geführt hat, ist dieselbe, welche von meinen Augen jetzt die Decke des Irrthums reißt und mich wider meinen Willen mir selbst zurückgiebt. Die verborgene Stimme, die nicht aufhörte in der Tiefe meiner Seele leise zu mahnen, erhebt sich, und donnert in dem Augenblicke, da ich schon daran war unterzugehen. Der Urquell aller Wahrheit wollte nicht, daß ich aus seiner Gegenwart scheide, beladen mit einem schnöden Meineid, und meinem Verbrechen durch die Mahnungen meines Gewissens zuvorkommend, zeigte er mir den Abgrund, in den ich zu stürzen im Begriffe war. Ewige Vorsehung, die du das Würmchen leitest und den Gang des Firmamentes, du wachest über das kleinste deiner Werke! du erinnerst mich an das Gute, zu dem du mir Liebe eingeflößt hast [Rousseau ist selbst ein großer Verehrer der Vorsehung, und die Worte, die er hier Julien in die Feder giebt, sind ihm aus dem Herzen. Seine Wendungen, so oft er die Vorsehung gegen die Angriffe der Atheisten zu retten sucht, sind durchaus denjenigen verwandt, welche er Julie gebrauchen läßt; sie leiden immer an demselben Gebrechen, und Rousseau ist in dieser Hinsicht stets ganz so kurzsichtig, als er Julie macht, wenn sie z. B. sagt, sie sei durch eine fremde Macht wider ihren Willen zu sich selbst zurückgekommen: während es nichts weiter als ihr Wille ist und sein kann, der endlich, bei ihrem Eintritt in ein festes Verhältniß sich selbst zusammenfaßt. Man vergleiche übrigens ,,Bekenntnisse" Anh, zum 6. Theil, S. 132. D. Ueb.]. Nimm nun das Opfer eines durch deine Huld gereinigten Herzens an, eines Herzens, das du allein würdig machst, dir dargebracht zu werden.

      Im Augenblicke, durchdrungen von einem lebhaften Gefühle der Gefahr, der ich entronnen war, und der ehrenvollen und sichern Lage, in die ich mich versetzt fand, warf ich mich zur Erde, hob meine Hände flehend zum Himmel empor, rief das Wesen an, dessen Thron er ist, und das, wann es ihm gefällt, die Freiheit, welche es uns gegeben hat, durch unsere eigenen Kräfte erhält oder zerstört. Ich will, sprach ich zu ihm, das Gute, welches du willst, und dessen Quelle du allein bist. Ich will den Gatten lieben, den du mir gegeben hast; ich will treu sein, weil es die erste Pflicht ist, aus der alle anderen Nahrung ziehen. Ich will Alles, was der Ordnung der Natur gemäß ist, die du eingesetzt hast, und den Regeln der Vernunft gemäß, die ich von dir habe. Ich stelle mein Herz in deine Hut und mein Verlangen in deine Hand. Mache alle meine Handlungen übereinstimmend mit meinem beständigen Willen, der kein anderer als der deinige ist, und laß nicht mehr zu, daß die Verirrung eines Augenblicks den Sieg über das davontrage, was ich mir für mein Leben erwählt habe.

      Nach diesem kurzen Gebete, dem ersten, das ich je mit wahrem Eifer verrichtete, fühlte ich mich so befestigt in meinen Entschlüssen, es schien mir so leicht und so süß, ihnen nachzuleben, daß ich klar einsah, wo ich künftig die Kraft zu suchen hätte, deren ich bedürfte, um meinem eigenen Herzen zu widerstehen, und die ich in mir selbst nicht finden konnte. Ich gewann aus dieser Entdeckung allein schon ein neues Vertrauen, und beklagte die traurige Verblendung, in der ich es mir so lange hatte entgehen lassen. Ich war nie ganz ohne Religion, aber es wäre vielleicht besser, gar keine zu haben, als eine äußerliche, angelernte, die das Gewissen beschwichtigt, ohne das Herz zu rühren; als sich an Formeln genügen zu lassen und an Gott pünktlich zu gewissen Stunden zu glauben, um dann die übrige Zeit nicht weiter an ihn zu denken. Ich habe dem öffentlichen Gottesdienste immer gewissenhaft beigewohnt, wußte aber nichts daraus für das wirkliche Leben zu gewinnen. Ich fühlte mich von Natur gut und überließ mich meinem Hange; ich dachte gern nach und baute auf meine Vernunft. Da ich den Geist des Evangeliums nicht mit dem der Welt, den Glauben nicht mit den Werken zusammenbringen konnte, so schlug ich einen Mittelweg ein, der meine thörichte Weisheit zufrieden stellte: ich hatte eine Methode für's Glauben und eine andere für's Handeln, ich vergaß hier, was ich dort gedacht hatte, war fromm in der Kirche, und zu Hause philosophirte ich. Ach, ich war hier wie dort nichts Rechtes; meine Gebete waren nur Worte, und meine Urtheile nur Sophismen, und statt einer Leuchte folgte ich dem trüglichen Schimmer der Irrlichter, die mich in's Verderben lockten.

      Ich kann Ihnen nicht sagen, wie sehr der innere Leitstern, der mir bis dahin gefehlt halte, mir nun jene andern verächtlich macht, die mich so schlecht geführt haben. Ich bitte Sie, was war ihr Grundelement und worauf stützten sie sich? Eine glückliche Naturanlage führt mich dem Guten zu. Eine heftige Leidenschaft erwacht; sie hat ihre Wurzeln in derselben Naturanlage: was soll ich thun, um sie zu zerstören? Aus dem Gedanken der Ordnung folgere ich die Schönheit der Tugend und aus dem des gemeinen Nutzens ihre Vortrefflichkeit. Aber was vermag das Alles gegen meinen Eigennutz? Und was liegt mir im Grunde näher, mein Glück auf Kosten aller anderen Menschen oder der Anderen Glück auf meine Kosten? Wenn Furcht vor Schande oder Strafe mich verhindert, zu meinem Vortheil Böses zu thun, so brauche ich nur es heimlich zu thun, und die Tugend hat nichts mehr einzuwenden; und wenn ich mich auf der Schuld ertappen lasse, wird man, wie in Sparta, nicht das Vergehen, sondern die Ungeschicklichkeit bestrafen. Endlich, wenn meiner Seele von Natur das Wesen des Schönen und die Liebe zu ihm eingeprägt ist, so werde ich es so lange zur Richtschnur haben, als das Gepräge nicht verwischt wird. Aber was giebt mir die Gewißheit, daß ich stets in seiner Reinheit dieses innere Bild bewahren werde, für welches es unter den sichtbaren Wesen kein Muster giebt, womit man es vergleichen könnte? Ist es denn nicht bekannt, daß ungeregelte Neigungen das Unheil ebenso bestechen wie den Willen, und daß das Gewissen sich verändert und abweichend gestaltet in jedem Jahrhundert, in jedem Volke, in jedem Einzelnen, je nach der Unbeständigkeit und Mannichfaltigkeit der Vorurtheile?

      Beten Sie das ewige Wesen an, mein würdiger und weiser Freund, und mit Einem Hauche zerstören Sie jeneV ernunftphantome, die nur eine Scheingestalt haben und wie ein Schatten vor der unwandelbaren Wahrheit fliehen. Nichts ist, außer durch Ihn, der ist: Er ist es, der der Gerechtigkeit ein Ziel, der Tugend eine Grundlage, diesem kurzen Leben, wenn es angewendet wird, ihm zu gefallen, einen Werth giebt; Er ist es, der nicht müde wird, den Strafbaren zuzurufen, daß ihre geheimen Sünden alle gesehen sind, und der dem mißachteten Gerechten zu sagen weiß: deine Tugenden haben einen Zeugen; Er ist es, der in seinem unveränderlichen Wesen das wahre Urbild der Vollkommenheiten darbietet, von denen wir alle das Abbild in uns tragen. Mögen es immerhin unsere Leidenschaften entstellen, alle seine Züge, mit dem unendlichen Wesen verwachsen, treten immer wieder vor die Vernunft und helfen ihr das wiederherstellen, was Lüge und Irrthum verunstaltet hatten. Die Unterscheidung scheint mir leicht zu machen, der gemeine Verstand reicht dazu hin. Alles, was unzertrennlich ist von der Idee dieses Wesens, ist Gott, alles Uebrige Menschenwerk. In der Betrachtung des göttlichen Urbildes reinigt und erhebt sich die Seele, lernt ihre niederen Neigungen verachten und ihr böses Trachten überwinden. Ein Herz, welches von diesen erhabenen Wahrheiten durchdrungen ist, giebt sich der Kleinheit menschlicher Leidenschaften nicht hin; jene unendliche

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